Coronavirus:Welle des Todes in Iran

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Kaum ein Ende in Sicht: Friedhofsmitarbeiter legen außerhalb der Hauptstadt Teheran neue Gräber an. (Foto: Ebrahim Noroozi/AP)

Jeden Tag sterben Hunderte Menschen. Die US-Sanktionen erschweren Iran Impfungen und die Versorgung der Patienten. Doch Teheran will Vakzine aus bestimmten Staaten selbst nicht haben.

Von Paul-Anton Krüger, München

Die Arbeiter schichten graue Betonziegel übereinander zu einem Schachbrett aus Rechtecken, mehr als zwei Meter hoch. Es sind neue Gräber auf Irans größtem Friedhof Behescht-e Sarah am Rand der Hauptstadt Teheran. Überragt von den goldenen Minaretten des Mausoleums von Revolutionsführer Ajatollah Ruhollah Chomeini liegen hier die Märtyrer des acht Jahre währenden Krieges mit Saddam Hussein. Doch jetzt kommen jeden Tag mehr Tote hier an als während der schlimmsten Schlachten gegen Saddam Hussein.

Said Khal, der Direktor des Friedhofs, sagte jüngst im Staatsfernsehen, dass jeden Tag bis zu 350 Verstorbene zu bestatten seien. Mehr als 150 von ihnen seien an einer Covid-Infektion gestorben. Es seien "die härtesten und traurigsten Tage" in der 50-jährigen Geschichte des Friedhofs. In aller Eile wird eine neue Leichenhalle errichtet.

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Iran befindet sich mitten in der vierten Corona-Welle, und es ist mit Abstand die schlimmste. Gesundheitsminister Said Namaki warnte bereits vor Wochen vor einer "Welle des Todes". Zum persischen Neujahrsfest Norouz Ende März hatten viele Iraner trotz Warnungen von Präsident Hassan Rohani Verwandte besucht - seither steigen die Infektionszahlen.

Offiziell verzeichnet das Land mit seinen geschätzt 85 Millionen Einwohnern ähnliche Werte wie Deutschland: etwa 25 000 Neuinfektionen pro Tag. Die Zahl der Toten stieg in dieser Woche auf fast 500 pro Tag. 40 000 Patienten liegen auf den Covid-Stationen, die Regierung fürchtet, es könnten bald 60 000 sein. Die Dunkelziffer bei Infektionen und Todesfällen ist hoch.

Covid-Patienten werden im Shohadaye Tajrish Hospital behandelt. (Foto: Ebrahim Noroozi/dpa)

Hatte die Regierung die erste Welle noch vertuscht, reagiert sie jetzt mit einem neuerlichen Teil-Lockdown. Der Große Basar von Teheran, noch immer das pulsierende Herz der Hauptstadt, hat die dritte Woche in Folge geschlossen - auch das gab es nicht einmal im Golfkrieg der Achtzigerjahre. Moscheen und Restaurants sind auch im laufenden Fastenmonat Ramadan dicht, es gibt Beschränkungen für die Nutzung privater Autos und für Reisen zwischen den Provinzen. Abends treffen sich die Menschen deswegen privat in ihren Häusern zum Fastenbrechen, was wiederum Ansteckungen begünstigt.

Die U-Bahn in Teheran ist trotz der rapide steigenden Zahlen voll, berichten Bewohner. Viele Menschen können es sich schlicht nicht leisten, nicht zur Arbeit zu gehen; sie können sich oft nur mit mehreren Jobs über Wasser halten. "Entweder sterben wir an Corona oder wir verhungern", beschreibt am Telefon eine Frau die Lage. Verschärft wird die Situation durch die schwerste Wirtschaftskrise seit Jahren: Folge von jahrzehntelanger Korruption, Inkompetenz und Missmanagement des Regimes, aber auch der Sanktionen der USA. Über deren Aufhebung verhandelt die Regierung gerade in Wien mit den anderen Parteien des Atomabkommens von 2015.

Die Sanktionen aber hindern Iran auch daran, die Pandemie wirkungsvoll zu bekämpfen. Obwohl es Ausnahmen für humanitäre Güter gibt, findet die Regierung kaum Banken, die bereit sind, Transaktionen für den Kauf von Beatmungsgeräten, Medikamenten, Schutzausrüstung oder dringend benötigten Impfstoff abzuwickeln. Gerade einmal 700 000 Impfdosen hat Iran erhalten, mit denen vor allem das Personal im Gesundheitswesen immunisiert wird. Allerdings hatte der Oberste Führer, Ajatollah Ali Chamenei, Vakzine aus den USA und Großbritannien abgelehnt. Das Land entwickelt nun eigene Präparate, die aber frühestens im September verfügbar sind.

Deutschland liefert Schutzanzüge und Ausrüstung für Tests

"Die Sanktionen schaden nicht nur der iranischen Wirtschaft, sondern auch dem Recht der Iraner auf Gesundheit, indem sie den Zugang zu lebensrettenden Medikamenten einschränken", sagte Mahmoud Farazandeh, Irans Botschafter in Berlin, der Süddeutschen Zeitung. Leider hielten sich die europäischen Länder "an die ungerechten amerikanischen Regeln und verweigern die Zusammenarbeit mit Iran sogar auf dem Gebiet der Medizin".

Tatsächlich kritisierte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch schon im Oktober 2019, dass die US-Sanktionen grundlegende Menschenrechte vieler Iraner beeinträchtigten, darunter den Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten. Die frühere US-Regierung unter Präsident Donald Trump richtete zwar mit der Schweiz einen humanitären Zahlungskanal ein, der allerdings keine greifbare Verbesserung brachte.

Aus dem Auswärtigen Amt in Berlin heißt es, Frankreich, Großbritannien und Deutschland hätten Iran gleich zu Beginn der Pandemie materielle und finanzielle Hilfe zukommen lassen. So wurden Ausrüstung für Labortests, Schutzanzüge und Handschuhe eingeflogen und fünf Millionen Euro für Hilfe über die Weltgesundheitsorganisation bereitgestellt. Erst kürzlich seien bei einem Gespräch zwischen der Botschaft in Teheran und dem iranischen Gesundheitsministerium Möglichkeiten der Unterstützung bei der Pandemiebekämpfung erörtert worden.

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