Kampf um Ramadi:Keine Hoffnung auf Stabilität

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Auf der Flucht vor den Kämpfen und dem IS: Menschen aus Ramadi, die sich Richtung Bagdad retten wollen. (Foto: Hadi Mizban/AP)
  • Angesichts des vorrückenden IS ist der Sicherheitsapparat in Bagdad offenbar in Panik. Premier Haidar al-Abadi hat sunnitische Stammesvertreter gebeten, die schiitischen Volksmobilisierungseinheiten nach Ramadi schicken zu dürfen.
  • Die Niederlage der Regierung hatte sich schon längst abgezeichnet. Sie ist der schwerste Rückschag für die Regierung seit der Rückeroberung von Tikrit.
  • In Bagdad aber wird trotz der ernsten Lage um Macht und Zugang zu Ressourcen gerungen - auch für die Zeit, wenn der Islamische Staat aus Irak vertrieben sein sollte.

Von Paul-Anton Krüger, Kairo

Sie kamen mit massiven Autobomben und sprengten sich den Weg frei in die letzten von Regierungstruppen gehaltenen Viertel. Nach allem, was an Nachrichten aus dem umkämpften irakischen Gouvernement Anbar dringt, ist es der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) wohl gelungen, die 110 Kilometer von Bagdad entfernte Provinzhauptstadt Ramadi weitgehend einzunehmen. Ähnliche Meldungen gab es schon Anfang des Monats - sie stimmten nicht.

Gezielt gestreute Gerüchte sind Teil der psychologischen Kriegsführung und machen es schwierig, die Situation in den Kampfgebieten zu beurteilen. So räumte das US-Verteidigungsministerium ein, dass der IS in Ramadi militärisch im Vorteil sei, und Außenminister John Kerry zeigte sich zuversichtlich, dass eine Rückeroberung der Stadt möglich sei. Das Pentagon aber teilte mit, die Lage sei zu sehr im Fluss, um abschließende Aussagen treffen zu können.

Der Sicherheitsapparat soll in Panik sein

Die Regierung in Bagdad sah sich dennoch zum Handeln gezwungen; Quellen in der Hauptstadt berichteten, der Sicherheitsapparat sei in Panik. Bei einem Treffen mit Vertretern des Provinzrates von Anbar, wo fast ausschließlich Sunniten leben, holte sich Premier Haidar al-Abadi Sonntagabend die Zustimmung der Stammesvertreter, die schiitischen Volksmobilisierungseinheiten nach Ramadi zu schicken, im Irak Hashid el-Shaabi genannt.

Das hatten die Stämme bislang überwiegend abgelehnt und die Amerikaner an ihrer Seite gewusst. Als Gründe nannten sie die Sorge vor Rachemorden und Plünderungen der Milizen und noch schärferen Spannungen zwischen den Glaubensrichtungen, die zum Auseinanderbrechen des Landes führen könnten. Nun blieb ihnen keine Wahl: Die irakische Armee und Einheiten der Nationalpolizei hatten sich am späten Abend entgegen der Anweisung des Premiers zurückgezogen, weil sie dem Vormarsch der Extremisten nicht länger standhalten konnten. Bei den Gefechten sollen laut einem Mitglied des Provinzrates in den vergangenen Tagen 500 Menschen getötet worden sein, unter ihnen viele Zivilisten. Tausende flohen aus Ramadi.

Es ist der schwerste Rückschlag für Abadis Regierung seit der Rückeroberung von Tikrit. Und der größte militärische Erfolg für den Islamischen Staat in diesem Jahr, auch wenn er mehr propagandistischen als strategischen Wert hat. Abadi hatte eine Offensive zur Befreiung von Anbar angekündigt, nachdem schiitische Milizen den IS im April aus Tikrit vertrieben hatten, doch die Dschihadisten kamen dem mit einer Gegenoffensive zuvor. Sie wollten zeigen, dass sie nicht entscheidend geschwächt sind, auch wenn sie Tikrit verloren haben.

Die Niederlage für die Regierung hatte sich seit Längerem abgezeichnet. Trotz wochenlanger schwerer Gefechte schickte sie nur wenige Hundert Mann Verstärkung, um Ramadi zu halten. Dabei hatte der IS seit Monaten Gebiete auf drei Seiten der Stadt unter Kontrolle. Auch erfüllte sie zunächst gemachte Zusagen offenbar nicht, den sunnitischen Stämmen Waffen zur Verfügung zu stellen.

In Amiriat al-Fallujah, der letzten von der Regierung kontrollierten Stadt auf dem Weg nach Bagdad, beklagte jüngst der für die Sicherheit zuständige Scheich Schaker al-Essawi im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung, die Stämme hätten zwar 3000 freiwillige Kämpfer mobilisiert, aus Bagdad aber nichts erhalten außer Versprechungen. "Ich weiß nicht, wie sie Bagdad verteidigen wollen, wir sind die letzte Pufferzone vor der Hauptstadt", fügte er hinzu. Das deckt sich mit Aussagen anderer sunnitischer Stammesführer aus Anbar. Mächtige schiitische Politiker hätten Abadis Pläne hintertrieben, heißt es in Bagdad.

Sie unterstellen den Sunniten in Anbar, die zu den Stützen und Profiteuren des von den USA gestürzten Diktators Saddam Hussein gehörten, den IS zumindest gewähren zu lassen. In Anbar gab es seit 2012 immer wieder Proteste und bewaffnete Aufstände gegen die Vorgängerregierung Nuri al-Malikis - dessen Politik die Spaltung Iraks entlang konfessioneller und ethnischer Trennlinien nur noch vertiefte.

Eine dauerhafte Stabilisierung könnte unmöglich werden

Die Tausenden Flüchtlinge, die nun wieder in Amiriat al-Fallujah an der einzigen Pontonbrücke über den Euphrat gestrandet sind, verstärken Zweifel an den angeblichen Sympathien zumindest einer Mehrheit der Menschen für den IS. Die meisten versuchen nur, ihr Leben zu retten - wer immer gerade über sie herrscht. Sie haben gar nicht die Mittel, sich zu wehren gegen den IS und seine geheimen Netzwerke, mit denen er Teile Iraks und Syriens unterwandert und seinen militärischen Vormarsch lange vorbereitet hat, wie der Spiegel jüngst anhand interner Dokumente der Terrormiliz belegte. Alles, was den Menschen bleibt, ist die Flucht.

In Bagdad aber wird trotz der ernsten Lage um Macht und Zugang zu Ressourcen gerungen - auch für die Zeit, wenn der Islamische Staat aus Irak vertrieben sein sollte. Die dominanten schiitischen Parteien wollen verhindern, dass die Sunniten erstarken, und den Einfluss der USA zurückdrängen. Sie haben dabei Iran als Verbündeten; Verteidigungsminister Hossein Dehghan besuchte am Montag Bagdad. Teheran kontrolliert etliche schiitische Milizen.

Forderungen der Sunniten, unterstützt von den USA, ähnlich wie beim von den US-Truppen geführten Kampf gegen al-Qaida 2006/07 die Stämme in Anbar zu bewaffnen, betrachten die schiitischen Parteien als Versuch, Irak zu spalten, ebenso die Kooperation des Westens mit den Kurden. Abadi hat zwar zugesagt, die Sunniten einzubinden im Kampf gegen den IS, kann sich damit in Bagdad aber offenbar nicht durchsetzen. Ähnlich wie die Amerikaner sieht auch er die Gefahr, jede Befriedung und dauerhafte Stabilisierung Iraks könnte unmöglich werden, wenn die Sunniten weiter an den Rand gedrängt werden. Doch fürs Erste hat der Premier wohl kaum Alternativen, will er nach Ramadi nicht noch mehr Boden verlieren.

© SZ vom 19.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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