Klimaschutz:"Greta Thunberg spricht aus, was wir eigentlich längst wussten"

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Fridays-for-Future-Demonstranten protestieren in Essen gegen RWE. (Foto: REUTERS)

Der designierte Chef des Umweltbundesamtes, Dirk Messner, spricht über den Klimakurs der Bundesregierung, eine Gemeinsamkeit von Kinderarbeit und Klimapolitik und seine Empfehlungen an die protestierenden Schüler.

Interview von Michael Bauchmüller und Stefan Braun, Berlin

Wenn es gut läuft, könnte die Bundesregierung an diesem Freitag wieder Kurs nehmen auf den Klimaschutz, sagt Dirk Messner, von Januar 2020 an Chef des Umweltbundesamtes. Durch Gesellschaft und Politik sei ein Ruck gegangen, für den man sich bei den "Fridays for Future" bedanken könne. Doch der Übergang in eine Welt des nachhaltigen Lebens und Wirtschaftens, sagt Messner, "braucht auch eine moralische Revolution".

SZ: Herr Messner, alle reden plötzlich vom Klima. Und das Klimakabinett präsentiert seinen Klimarettungsplan. Wird die Welt ab sofort eine bessere?

Dirk Messner: Sagen wir so: Es gibt Grund zur Hoffnung. Öffentlichkeit, Wirtschaft, Politik - viele verändern ihr Bewusstsein. Der Historiker Osterhammel hat den wunderbaren Begriff der "Häufigkeitsverdichtungen" geprägt, mit dem er den Übergang vom Agrar- zum Industriezeitalter beschreibt. Viele Dinge bewegen sich plötzlich in eine neue Richtung. Wenn wir für einen Moment optimistisch sein wollen: Vielleicht erleben wir 2019 "positive Häufigkeitsverdichtungen" im Übergang zu einer nachhaltigen Gesellschaft und Wirtschaft. Zeit wird es.

Wenn man sich daran erinnert, wie Union und SPD vor einem Jahr noch übers Klima sprachen - reiben Sie sich die Augen, warum vieles plötzlich so schnell geht, was davor so lange gedauert hat?

Ja, da ist ein Ruck durch die Gesellschaft und dann durch die Parteien gegangen. Dafür können wir uns bei "Fridays for Future" bedanken. Dieser Protest hat viele Menschen und Entscheidungsträger beeindruckt. Die Wissenschaft hat seit Dekaden für ein wachsendes Problembewusstsein gesorgt, das nach und nach in die Gesellschaft eingesickert ist. Aber so was dauert Zeit. Denn dass der Mensch dabei ist, das Erdsystem riskant zu verändern, muss ja zunächst "bewiesen", dann kommuniziert, dann verstanden und akzeptiert werden. Lange wollte niemand hören, dass unser Wohlstandmodell, das so vielen Menschen soziale Aufstiege ermöglicht hat, auf tönernen Füßen steht. Vergangenheitsinteressen sind immer besser organisiert als Zukunftsinteressen.

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Klingt fast, als brauche es halt doch eine Revolution.

Wir brauchen tiefgreifende Transformationen. Und in den letzten Jahren wurden schon viele Lösungsansätze entwickelt. Zum Beispiel bei den erneuerbaren Energien oder im Bereich von Null-Emissions-Häusern. Außerdem machen uns viele nordeuropäische Staaten vor, dass man Mobilität in Städten so organisieren kann, dass sie weniger Schadstoffe erzeugt, der Gesundheit nutzt und den Menschen in den Mittelpunkt stellt. Außerdem beginnen viele Länder, Emissionen mit einem signifikanten Preis zu versehen, was unabdingbar für wirksamen Klimaschutz ist.

Aber eines stimmt: Der Übergang in eine Welt des nachhaltigen Lebens und Wirtschaftens braucht auch eine moralische Revolution. Dass etwas schiefläuft, bei den Folgen unseres Wirtschaftens für Klima- und Erdsystem, diskutieren wir lange. Trotzdem haben wir es zugelassen, dass die Emissionen immer weiter stiegen. Das halten uns heute die Schülerinnen und Schüler von Fridays vor Future vor. Viele Menschen wissen und spüren, dass Greta Thunberg in all ihrer Rigorosität ausspricht, was wir eigentlich längst wussten oder hätten wissen können.

Wächst mit den Schülerinnen und Schülern, die auch diesen Freitag auf die Straße gehen, eine Generation heran, die konsequenter das Klima schützt als ihre Eltern?

Ja, davon gehe ich aus. So wie in der Geschichte Kinderarbeit, Sklavenarbeit und, zumindest bei uns in Europa, grenzenlose Ausbeutung von Arbeitskräften, irgendwann nicht mehr akzeptabel waren, wird die Zerstörung des Klimasystems moralisch geächtet werden. Nicht nur Schüler gehen voran. Wenn ich in Unternehmen Vorträge halte, ist für die unter 40-Jährigen klar, dass Klimaschutz Teil des Geschäftsmodells werden muss; bei den Managern meiner Generation ist das zuweilen noch umstritten - da geht es auch um Identität und Lebensleistungen.

Am Montag will Angela Merkel in New York die deutschen Pläne für den Klimaschutz vorlegen. Nach dem, was bisher vom Klimapaket bekannt ist: Kann sie da erhobenen Hauptes hinreisen?

Das hängt von den Beschlüssen ab. Es geht um Energie, Mobilität, Städte, Landnutzung. Lauter dicke Bretter. Wenn die Regierung ein kraftvolles Klimapaket verabschiedet, kann die Kanzlerin in New York einen Unterschied machen. Deutschland ist zudem zentrale Stimme für einen Multilateralismus, um den es zurzeit nicht gut steht. Wenn die Kanzlerin deutlich macht, dass Deutschland wieder beginnt, signifikante Beiträge zu leisten, damit die globale Erwärmung noch unter zwei Grad stabilisiert werden kann, könnte dies den gesamten Klimagipfel sehr positiv beeinflussen.

Hat Deutschland eine Vorbild-Funktion?

Dirk Messner, 57, ist Ko-Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats Globale Umweltveränderungen und leitet an der Universität der Vereinten Nationen in Bonn die Abteilung für Umwelt und globale Sicherheit. Zum 1. Januar soll er neuer Präsident des Umweltbundesamtes werden. (Foto: dpa)

Und ob. Als der kanadische Wissenschaftler Andrew Cooper vor drei, vier Jahren bei einem Vortrag in Bonn erklärte, Deutschland sei neben den Großmächten USA und China nun einmal die zentrale Zivilmacht in der Weltpolitik, waren viele deutsche Zuhörer verwundert. Deutschland als die Nummer drei der Welt? Aber ich würde sagen: Ja, Deutschland hat eine große Vorbildfunktion, vielleicht mehr denn je, wenn man bedenkt, dass es eine starke Wirtschaft und Wissenschaft vorweisen kann; dass es im Vergleich zu anderen Ländern des Westens eine stabile Demokratie und Zivilgesellschaft hat. Aber beim Klimaschutz sind andere inzwischen weiter als wir.

Sofortprogramme für den Klimaschutz sind nichts Neues. Verschiedene Bundesregierungen haben so was schon präsentiert. Am Ende aber hat keines die Erwartungen erfüllt. Droht eine Wiederholung?

Ausschließen kann man das nicht. Doch wenn es gelingt, Klimaschutz und Nachhaltigkeit zu einem Modell erfolgreicher Zukunftsgestaltung zu machen, dann wäre dies der wirksamste Schutz vor autoritär-völkischen Rückwärtsrollen. Wenn wir in der kommenden Dekade die Weichenstellungen im Klimaschutz in Deutschland und international dagegen wieder nicht oder nur unzureichend stellen, müssen wir uns darauf einrichten, dass die Klimafolgeschäden uns immer stärker beschäftigen werden.

Die Koalition will ihren Klimaschutz so organisieren, dass er möglichst wenig weh tut. Ist das besonders schlau oder besonders absurd?

Klimaschutz muss fair gestaltet werden und darf untere Einkommensschichten nicht zusätzlich belasten. Hier geht es um Verteilungsgerechtigkeit. Klimaschutz wird zu Verhaltensveränderungen führen müssen: in der Mobilität, bei der Ernährung, bei Flugreisen. Ob das als Verzicht empfunden wird, ist dabei nicht ausgemacht. Ich würde raten, Klimaschutz mit neuen Vorstellungen von besserer Lebensqualität und Wohlfahrt zu verbinden. In den Städten könnte Klimaschutz heißen: gesündere Luft, geringerer Lärm, viel weniger Fahrzeuge, besserer öffentlicher Verkehr, mehr Platz für Grünflächen, öffentliche Räume, Bürgergesellschaft. Eine Renaissance der Städte.

Und was empfehlen Sie den Schülern für künftige Freitage?

Ich empfehle einen Dreischritt: Erstens, dranbleiben, bis die Richtung des Klimaschutzes stimmt. Das wird noch ein paar Freitage dauern. Zweitens, auch mal vom Protest ausruhen, um Kraft, Kreativität und Lebensfreude zu tanken - eine Party am Freitagabend kann da sehr gut tun. Drittens, kann auch an Freitagen in der Schule, an Unis, in der Berufsausbildung an Lösungen für eine lebenswerte Zukunft gearbeitet werden. Also: ein systematischer Ansatz.

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