Tücken der Statistik:Inflation ist wie Übergewicht

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Die Lebensmittelpreise sind im November im Vergleich zum Oktober leicht gefallen. (Foto: Jens Kalaene/dpa-tmn)

Warum Preise sinken können, obwohl das Leben doch immer mehr kostet.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Jede Hausfrau wisse mehr über die Kaufkraft des Geldes, als es offizielle Statistiken je mitteilen könnten, meinte einst der österreichisch-amerikanische Ökonom Ludwig von Mises. Er hat insoweit recht, als dass jeder Mensch, der täglich einkauft, sofort im eigenen Geldbeutel spürt, wenn etwa der Käse teurer geworden ist. Diese "gefühlte" Inflation in einer Gesellschaft, das zeigen Umfragen, liegt meist deutlich über der offiziell gemessenen Teuerungsrate. Psychologen haben festgestellt, dass Konsumenten steigende Preise bei beliebten Produkten stärker als fallende im Gedächtnis behalten.

Als Korrektiv zur gefühlten Inflation fungiert daher die objektivierte Preismessung des Statistischen Bundesamts. Die Wiesbadener Experten haben die Inflation für den November 2022 auf zehn Prozent taxiert - als Vergleichsbasis diente wie immer der Vorjahresmonat. In der Pressemitteilung fand sich ein weiterer Satz, der aufmerken ließ: Demnach "sanken die Verbraucherpreise im November 2022 gegenüber Oktober 2022 um 0,5 Prozent".

Die Preise sinken, obwohl sie gestiegen sind - wie ist das möglich? Anruf beim Statistischen Bundesamt: Man schildert sein Auskunftsbegehren, wird zwei Mal weiterverbunden, um schließlich mit der Expertin zu sprechen. Sie bestätigt freundlich und ohne Zögern: "Ja, im Oktober waren die Preise 0,5 Prozent höher als im November." Es sei durchaus möglich, dass Preise auf Jahresvergleichsbasis steigen, um dann manchmal auf Monatsbasis zu sinken. "Ein Mensch kann seit November 2021 zehn Kilo zugenommen, aber dennoch im Oktober 2022 ein Kilo abgenommen haben", führte sie als Beispiel an, um dann unerbittlich die Quintessenz vorzutragen. "Man bleibt dennoch übergewichtig."

So ist es auch mit den Preisen. Diese bleiben insgesamt zu hoch, auch wenn beispielsweise die Kosten für Benzin zuletzt gesunken sind. Die deutsche Teuerungsrate im Oktober 2022 lag mit 10,4 Prozent auf dem höchsten Stand seit 1951. Im darauffolgenden November waren es "nur" noch zehn Prozent. Das Statistische Bundesamt schreibt völlig zu Recht, die Inflationsrate habe sich im November "leicht abgeschwächt". Doch das ist kein großer Trost für die Verbraucher, denn die Preise sind immer noch deutlich höher als im vergangenen Jahr. Die Inflation mag zurückgehen, aber die Preise tun es nicht so schnell.

Die Bundesbank rechnet für Deutschland im nächsten Jahr mit einer Inflation von sieben Prozent, in der Euro-Zone könnte das Plus nach Prognose der Europäischen Zentralbank 5,5 Prozent betragen. Deshalb werden Europas Währungshüter am Donnerstag die Leitzinsen wohl erneut erhöhen. Doch Notenbanker können die Uhr nicht zurückdrehen. Der massive Preisschub ist längst in alle Wirtschaftssektoren vorgedrungen und hat sich festgesetzt.

Inzwischen gehen Experten zwar davon aus, dass die Inflationsrate ihren "Höhepunkt" erreicht hat. Doch das bedeutet nicht, dass es nach dem Gipfel auch mit den Preisen wieder abwärts geht. Kaum ein Unternehmer wird die Preise so schnell wieder senken. Im Gegenteil. Lohnerhöhungen, so es welche gibt, können das kaum ausgleichen. Haushalte mit geringen Einkommen werden es auf absehbare Zeit besonders schwer haben.

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