Unruhen in Indien:Delhi kocht über

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"Für Rechte, gegen Krawalle": Muslime protestieren am Freitag in Delhi gegen die Diskriminierung durch Hindus. (Foto: Bikas Das/AP)

Während Indiens Premierminister Narendra Modi internationale Spitzenpolitiker empfängt, kommt es in der Hauptstadt zu Ausschreitungen zwischen Hindus und Muslimen. Daran hat die Regierungspartei großen Anteil.

Von David Pfeifer, Delhi

Es sind heiße Wochen in der indischen Hauptstadt, nicht nur weil die Temperatur tagsüber selten unter 40 Grad fällt. Russlands Außenminister Sergej Lawrow war zu Besuch, dann gab es eine virtuelle Konferenz zwischen Indiens Premierminister Narendra Modi und US-Präsident Joe Biden. Und am vergangenen Freitag flog Großbritanniens Premier Boris Johnson ein. Die Themen: Handel und Rüstung, zwischen Indien, Russland und dem Rest der Welt. Große Politik also. Indien versucht sich neutral zu verhalten, wenn es um Russland geht. Von Delhi aus betrachtet gibt es größere Probleme in der Welt. China zum Beispiel.

Doch auch im Kleinen ist das Leben derzeit nicht einfach in Delhi, zumindest wenn man Muslim ist. Während in Deutschland Ostern gefeiert wurde, marschierte eine Hindu-Prozession in der Gluthitze durch das belebte muslimische Viertel Jahangirpuri, sie tanzten zu Ehren des Affengottes Hanuman bis zu einer Moschee und riefen dort religiöse Parolen. Dann brach der Ärger los. Steine flogen, es kam zu Ausschreitungen, neun Menschen wurden verletzt, ein Polizist sogar von einer Kugel getroffen. Die Hindus sagten hinterher, sie seien von Muslimen angegriffen worden, die mit Steinen von Dächern auf sie geworfen hätten. Die Muslime gaben an, die Hindus hätten in der Nähe der Moschee provokante Parolen gerufen, was zu dem Streit geführt habe.

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In Indien leben bis zu 180 Millionen Muslime

In den Diskussionen, die daraufhin die Politik erreichten, behaupteten Mitglieder der regierenden Bharatiya Janata Partei (BJP), dass "illegale Einwanderer aus Bangladesch", hinter der Gewalt steckten. Bangladesch und Pakistan, die bis zum Abzug der Briten 1947 zum riesigen Indien gehörten, sind nach Indonesien die größten muslimischen Länder der Welt. Nur Indien hat vergleichbar viele Einwohner dieser Glaubensrichtung, zwischen 160 und 180 Millionen. Nur sind Muslime nach der letzten Volkszählung von 2001 trotzdem eine Minderheit in Indien, mit etwa 13 Prozent Bevölkerungsanteil. Hindunationalisten hantieren schon länger mit Verschwörungstheorien, wie der eines "Love Jihad", in dem Muslime versuchen würden, Hindu-Frauen zu verführen und sich massenhaft fortzupflanzen. Die BJP nutzt geschickt Ressentiments, um die Hindu-Mehrheit von etwa 80 Prozent hinter sich zu versammeln. Im letzten großen Wahlkampf im Bundesstaat Uttar Pradesh hatte die BJP unter anderem mit dem Vorschlag einer Zwei-Kind-Politik Stimmung gegen Muslime gemacht, ohne sie direkt zu nennen.

Die Frage ist nur, wie lange man ein Feuer am Lodern halten kann, bevor es übergreift. 2020 war es in Delhi bereits zu ähnlichen Ausschreitungen gekommen, bei denen mehr als 50 Menschen ums Leben kamen, vorwiegend Muslime. Und in jüngster Zeit eskalierten Hindu-Prozessionen auch in den nordindischen Bundesstaaten Madhya Pradesh und Rajasthan. Nach dem Vorfall in Jahangirpuri gaben 13 Oppositionsparteien in der vergangenen Woche eine gemeinsame Erklärung ab, in der sie ihr Entsetzen über das Schweigen von Premierminister Modi zu den Vorfällen zum Ausdruck brachten. "Dieses Schweigen ist ein beredtes Zeugnis für die Tatsache, dass solche privaten bewaffneten Banden den Luxus offizieller Schirmherrschaft genießen", erklärte ein Abgeordneter der BBC.

Die Regierungspartei stützt die Propaganda

Am Mittwoch nach den Ausschreitungen begann die ebenfalls von der BJP kontrollierte "North Delhi Municipal Corporation" mit dem Abriss von Häusern in Jahangirpuri, die ihrer Ansicht nach illegal gebaut worden sind, auch eine Moschee wurde dabei beschädigt. Der weitere Abriss wurde zwar gerichtlich verboten, aber trotzdem noch weiter betrieben. Der Supreme Court hat nun eine Untersuchung angeordnet. Die religiöse Polarisierung hat seit 2014, als Modis hindu-nationalistische Regierung an die Macht kam, stark zugenommen.

In diesem Zusammenhang ist es sicher kein Zufall, dass die BJP den Film "The Kashmir Files" massiv gefördert und beworben hat, der erfolgreich in den Kinos läuft. Darin wird die Geschichte eines jungen Mannes erzählt, der auf der Universität dagegen protestiert, dass das mehrheitlich muslimische Kaschmir von Indien unterdrückt wird. In Rückblenden erfährt er, dass seine Eltern von Muslimen umgebracht wurden, in Ausschreitungen gegen die dortige Hindu-Minderheit der Pandit, in den 1990er-Jahren. Es geht in dem Film allerdings nicht darum, die überaus komplexe Geschichte Kaschmirs und die schwierige Situation zwischen den Glaubensgruppen als Hintergrund einer dramatischen Handlung auszubreiten.

Einziges Ziel der Erzählung ist die Hetze gegen Muslime. Sie werden ausnahmslos als schmierige, blutrünstige Monster dargestellt, die hinter Hindu-Frauen her sind. Das Ganze ist grob geschnitzt und inhaltlich dünn. Kaschmir ist eine der schönsten Regionen der Welt, es gelingen sehenswerte Bilder, doch dann spritzt wieder Blut auf erschrockene Kindergesichter. Am Ende wird noch ein kleiner Junge vom Muslimen-Führer erschossen und kippt in ein Massengrab. Abspann.

All das wären gute Gründe, nichts über diesen Film zu schreiben. Es ist nur so, dass er auch durch die massive Unterstützung der BJP zum erfolgreichsten Filmstart dieses Jahres in Indien wurde. Umgerechnet mehr als 45 Millionen US-Dollar hat er bislang eingespielt. Und während im klimatisierten Kino seit Wochen die Stimmung angeheizt wird, kocht draußen in Delhi der Hass über.

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