Corona:Kann eine Impfpflicht noch Recht sein?

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Eingang zur Besuchertribüne des Bundestages: Bei Debatten müssen ungeimpfte Abgeordnete hier Platz nehmen. (Foto: Kay Nietfeld/picture alliance/dpa)

Die Omikron-Variante verändert die Corona-Pandemie - und wirft damit die Frage auf, ob das geplante Gebot zur Spritze mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Entscheidend dafür sind viele Details.

Von Wolfgang Janisch, Karlsruhe

Der Impfpflichtdebatte ergeht es derzeit wie vor Kurzem der Deltavariante. So wie Omikron das Vorgängervirus aus der Pandemie verdrängt hat, so überlagert aktuell der Ruf nach Lockerungen die Forderung nach einer allgemeinen Pflicht zur Immunisierung. Aber da man gelernt hat, dass die Pandemie dynamisch ist, weiß man, Delta kann zurückkommen. Und der Impfpflicht-Hype ebenfalls.

Die Frage, ob eine solche Pflicht verfassungsrechtlich überhaupt zulässig wäre, ist bereits vielfach ausgeleuchtet und überwiegend mit Ja beantwortet worden. Nach dieser Lesart läge der Ball im politischen Feld. Aber ist das wirklich so? Wäre grünes Licht aus Karlsruhe zu erwarten, wenn so ein Gesetz auf den Weg geschickt würde? Stephan Rixen, Professor für öffentliches Recht an der Universität Bayreuth und Mitglied im Deutschen Ethikrat, beantwortet die Frage, grob zusammengefasst, so: Ob so ein Gesetz mit dem Grundgesetz vereinbar wäre, lasse sich erst beantworten, wenn man das Gesetz kenne, und zwar im Detail. Und, in diesem Fall besonders wichtig - inklusive Begründung.

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Das klingt banal, hat aber im dynamischen Corona-Kontext weitreichende Folgen. Eine gesetzliche Impfpflicht bedeutet einen durchaus erheblichen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit. Das ist kein Bagatellgrundrecht. Deshalb muss klar sein, welchem Ziel sie dient und wogegen die Impflinge eigentlich geschützt werden sollen. Und vor allem womit. Da ein solches Gesetz nicht mehr für die aktuelle Welle aufgesetzt werden kann, ist das eine Rechnung mit vielen Unbekannten. Haben wir im Herbst noch Omikron, oder kommt Delta reloaded, oder sind wir im griechischen Alphabet dann schon bei Ypsilon? Wird das Virus dann infektiöser sein oder tödlicher oder beides, oder verliert es seinen Schrecken? Und wie wirksam werden die dann aktuellen Impfstoffe sein? Nur wenn man all dies einigermaßen seriös abschätzen kann, lässt sich beantworten, ob sich damit ein Eingriff in Grundrechte rechtfertigen lässt.

Es geht um die Gefahr für die Gemeinschaft

Dazu braucht es auf der ersten Stufe ein legitimes Ziel. Klar, Gesundheitsschutz - aber schon hier muss man genau hinschauen. Denn seit genügend Impfstoff verfügbar ist, kann jeder und jede eigenverantwortlich das Risiko schwerer Krankheitsverläufe erheblich verringern. Wer auf das Vakzin verzichtet und die Gefahr auf sich nimmt, handelt in autonomer Entscheidung. Wie es übrigens selbst bei lebensbedrohlichen Krankheiten jedem freisteht, eine ärztliche Behandlung abzulehnen.

Die Impfpflicht will also, genau besehen, den Ungeimpften den Schutz der Vakzine nur deshalb aufzwingen, damit das Gesundheitssystem vor Überlastung bewahrt wird. Es geht nicht um ihre persönliche Risikoentscheidung, sondern um die Gefahr für die Gemeinschaft. Die Autonomie der Impfgegner in Gesundheitsfragen wird nur deshalb angetastet, weil es um den Schutz aller geht - um Menschen mit und ohne Impfung, um Covid-Kranke, aber auch Patienten mit anderen Leiden, die durch übervolle Kliniken in Gefahr geraten. "Deshalb brauchen wir vom Gesetzgeber eine klare Auskunft darüber, wie groß die Gefahr einer Überlastung ist", sagte Rixen vor Kurzem in einer Veranstaltung der Karlsruher Justizpressekonferenz. Legt man die aktuelle Entwicklung von Omikron zugrunde, ist das Überlastungsszenario jedenfalls nicht mehr so evident, wie es noch vor ein paar Wochen zu werden schien.

Zwar gibt es, wenn es juristisch um die Verhältnismäßigkeit von Gesetzen geht, ein Zauberwort. Es heißt "Einschätzungsspielraum". Regierung und Parlament dürfen erst einmal in eigener Hoheit abschätzen, ob zum Beispiel die Impfstoffe wirksam genug sind, um die Kliniklast zu drücken. Die Hürde ist nicht so hoch, es reicht, wenn Impfung zumindest einigermaßen hilfreich ist. Die politisch Handelnden haben zudem - Stichwort Impfpflicht oder Impfkampagne - einen gewissen Freiraum in der Wahl der Mittel. Und auch in der Frage, ob Corona-Maßnahmen den Menschen "zumutbar" sind, hat das Verfassungsgericht zuletzt die Grenzen weit gesteckt. "Aber all dies bedeutet nicht, dass der Gesetzgeber ins Blaue hinein eine Impfpflicht verabschieden darf", gibt Rixen zu bedenken.

Die Effekte müssten fundiert dargelegt werden

Der Professor wirft daher ein anderes Juristenwort in die Debatte, die "Darlegungslast". Wer eine Pflicht in einem so sensiblen Bereich einführe, der müsse ihre Effekte möglichst fundiert und präzise darlegen, gegebenenfalls mithilfe des Expertenrats. "Wenn das nicht geschieht, befinden wir uns in einer Art Blindflug." Klar, niemand könne exakt vorhersagen, was im Herbst bevorstehe. "Deshalb brauchen wir epidemiologische Projektionen dessen, was wahrscheinlich auf uns zu kommt." Das Bundesverfassungsgericht habe im Beschluss zur Bundesnotbremse den Gesetzgeber dazu verpflichtet, rechtzeitig Erkenntnisse zu sammeln.

Es gäbe freilich zwei Möglichkeiten, wie sich die Politik ungewisse Langfristprognosen ersparen könnte. Entweder, man verständigt sich jetzt politisch auf ein bestimmtes Modell der Impfpflicht, formuliert das eigentliche Gesetz aber erst im Sommer, wenn der Herbst in Sichtweite kommt. Oder man schafft ein Rahmengesetz, das die grundsätzlichen Punkte regelt, aber für die Details eine Verordnungsermächtigung schafft. Damit wäre Flexibilität für rasche Anpassungen geschaffen, Verordnungen erlässt das Gesundheitsministerium - das kann schnell gehen. Rixen regt an, in ein solches Prozedere auch den Gesundheitsausschuss einzubinden, dann wäre das Parlament mit an Bord.

Geregelt werden müssen überdies viele Details, die verfassungsrechtlich ebenfalls über Wohl oder Wehe der Impfpflicht entscheiden können. Darunter die schwierigste aller Fragen: Wie lässt sie sich überhaupt durchsetzen? Mit Stichproben und Bußgeld? Reicht das, um - siehe oben - das Ziel zu erreichen? Und welche Konsequenzen drohen den Impfverweigerern darüber hinaus? Bei der einrichtungsbezogenen Impfpflicht hat die Ampelkoalition scheu das Wort "Kündigung" vermieden. Kein Lohn für Ungeimpfte, heißt es dort, aber dann: "Weitere arbeitsrechtliche Konsequenzen können im Einzelfall in Betracht kommen." Klarheit sieht anders aus.

Zu den Details gehört, bei derzeit knapp 250 000 bestätigten Neuinfektionen täglich, zudem folgende Frage: Unterliegen denn auch all die unerkannt Genesenen einer Impfpflicht? Oder können sie sich mit einem Antikörpertest freitesten? Reicht die Immunisierung durch Infektion ebenso weit wie durch Impfung? Angesichts einer vermutlich hohen Dunkelziffer Infizierter könnte dies für Millionen Menschen relevant sein. Und wenn bis zum Herbst Omikron und seine Kumpels durchs Volk gerauscht sind und Millionen immunisiert haben, stellt sich womöglich doch wieder die Frage: Braucht es die Impfpflicht eigentlich noch?

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