Sie sind gar nicht so leicht einzuhalten, diese Regeln, besonders nicht für einen wie Lindsey Graham. Kaum ein Politiker schafft es bis zum Senator, wenn er sich selbst nicht gerne reden hört, und Graham hört sich besonders gerne. Der republikanische Senator aus South Carolina war einst einer von Donald Trumps größten Kritikern. Heute ist er einer seiner eifrigsten Verteidiger, bei Fox News und in anderen Medien, natürlich, aber regelmäßig auch im Saal des Senats. Doch nun sitzt er dort auf seinem Sessel und muss wie alle Senatoren schweigen, "unter Androhung von Gefängnisstrafe", wie der Sergeant at Arms des Senats zu Beginn der Verhandlung erklärt hat. So sehen es die Regeln während eines Impeachment-Verfahrens vor.
Und es ist ja nicht nur das Redeverbot. Auch der Gebrauch ihres Handys ist den Senatoren untersagt, es sind im Saal keine Tablets zugelassen, keine Laptops. Nicht einmal essen dürfen die Politiker an ihrem Platz, sich frei bewegen schon gar nicht. Und Graham, das zeigt seine Körpersprache, passt das ganz und gar nicht. Die Verhandlung am Dienstag dauert noch keine halbe Stunde, als er erstmals auf seinem Stuhl rumrutscht, demonstrativ gähnt und die Augen schließt. Als er sie wieder aufmacht, starrt er hoch zur Pressetribüne, kribbelt auf einem Notizzettel herum - alles, um nicht stillzusitzen. Und kaum ruft vorne der Chief Justice zur ersten Pause des Tages, verlässt Graham fluchtartig den Saal und greift zum Handy, um einen giftigen Tweet gegen die Demokraten abzusetzen. Das musste wohl raus.
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Der Senat ist eine sehr spezielle Institution, mit einem Selbstverständnis, das auf seine Mitglieder abfärbt - nicht nur an historischen Tagen wie diesem. Schon seit dem 19. Jahrhundert nennen viele den Senat "das bedeutendste Parlament der Welt". Zu den Eigenheiten des Senats gehört, dass er in Momenten wie diesem - nach der Anklage gegen den Präsidenten durch das Repräsentantenhaus - keine gewöhnliche Parlamentskammer mehr ist, sondern zu einer Jury mit 100 Geschworenen wird. Diese Geschworenen müssen am Ende des Verfahrens eine sehr weitreichende Frage beantworten: Soll der Präsident der Vereinigten Staaten seines Amtes enthoben werden?
Es gibt nicht wenige Senatoren, die das schon einmal erlebt haben. 27 Mitglieder des Gremiums waren bereits beim letzten Mal dabei, als ein Präsident angeklagt wurde. Auch damals, beim Impeachment gegen Bill Clinton vor 21 Jahren, war die Atmosphäre in Washington vergiftet, standen sich Republikaner und Demokraten feindselig gegenüber. Aber trotzdem schafften es die Senatoren beider Parteien, sich vor Beginn des Prozesses auf Regeln zu einigen, die sie alle unterschreiben konnten.
Was sich dagegen nun abspielt, am ersten Verhandlungstag des Impeachment gegen Trump, ist kein Kompromiss, sondern ein verbissener Kampf um die Grundsätze. Mitch McConnell, der Mehrheitsführer der Republikaner, hat schon früh klargemacht, welche Art von Verfahren er sich wünscht: möglichst kurz, möglichst ohne Zeugen. Das zeigt sich in dem Fahrplan, den er am Dienstag vorgelegt hat. "McConnells Regeln", schimpft der demokratische Minderheitsführer Chuck Schumer, "wurden entwickelt von Präsident Trump für Präsident Trump, und McConnell und die Republikaner führen aus, was er will." Immer wieder fällt der Begriff Fairness. Der Prozess müsse fair gegenüber Trump sein, sagt McConnell.
Cipollone: "Es ist höchste Zeit, dass wir dieses lächerliche Schauspiel beenden"
Für die Opposition heißt ein faires Verfahren dagegen etwas anderes: Sie wollen, dass der Senat gleich zu Beginn des Verfahrens über die Anhörung von Zeugen und die Zulassung von Beweismitteln abstimmt, deren Herausgabe das Weiße Haus bisher verweigert hat. Nur so, argumentieren sie, könne der Senat zu einem objektiven Urteil darüber kommen, was Trump in der Ukraine-Affäre vorgeworfen wird: Machtmissbrauch und Behinderung des Kongresses. McConnell hat dagegen eine andere Strategie gewählt: Er will erst nach den Eröffnungsplädoyers und den schriftlichen Fragen der Senatoren über die Zeugen entscheiden. So habe man das schon beim Impeachment gegen Clinton gehandhabt. Die Demokraten sehen darin eine kaum verschleierte Verzögerungstaktik, die den ganzen Prozess ad absurdum führe.
Der Mann, der das an diesem Tag am dringlichsten vorträgt, ist Adam Schiff. Der demokratische Abgeordnete ist einer der sieben "impeachment managers", welche die Anklage durch das Repräsentantenhaus vertreten. Die Frage nach Zeugen und Beweismitteln sei "die wichtigste Frage überhaupt", sagt er den Senatoren, "noch wichtiger als Ihre Entscheidung über Schuld oder Unschuld". Schon jetzt glaubten viele Amerikaner nicht, dass der Senat willens sei, einen fairen Prozess durchzuführen. "Sie glauben, dass der Präsident ohnehin freigesprochen wird, nicht weil er unschuldig ist, sondern weil er die nötigen Stimmen hat." Es sei aber im Interesse aller Senatoren, den Verdacht auf ein abgekürztes und mangelhaftes Verfahren zu beseitigen.
Für die Antwort des Präsidenten sind zwei Anwälte besorgt: Pat Cipollone, Rechtsberater des Weißen Hauses, und Jay Sekulow, Trumps persönlicher Anwalt. Beide stützen sie wenig überraschend den Kurs der Republikaner. "Es ist höchste Zeit, dass wir dieses lächerliche Schauspiel beenden und uns der kommenden Wahl zuwenden", sagt Cipollone. Trumps Verteidiger können sich zumindest bis jetzt auf die republikanische Mehrheit verlassen: Dass diese ihre Regeln durchbringen werden, steht an diesem Tag nie ernsthaft in Zweifel. Denn dafür reicht die einfache Mehrheit, die Trumps Partei im Senat nun einmal hat.
Die Demokraten erzwingen trotzdem eine Serie von Abstimmungen über Zeugen und Beweismitteln, die sie einfordern wollen, auch wenn längst klar ist, wie das Resultat aussehen wird: Die Republikaner setzen sich mit 53 zu 47 Stimmen durch, in allen Punkten, es bleibt beim Fahrplan McConnells. All dies zieht sich über Stunden hin: Antrag der Demokraten auf einen Zeugen, zweistündige Debatte, Abstimmung, nächster Antrag, nächste Debatte. Aus dem ersten Verhandlungstag wird ein Marathon, der bis in die späte Nacht dauert.
Dabei ist es bereits am späten Nachmittag nicht mehr nur Lindsey Graham, der im Senatssaal ab und zu die Augen schließt. Und auch das Essverbot wird da von einigen schon länger ignoriert, spätestens dann nämlich, als der Republikaner Bill Cassidy gut hörbar einen Schokoriegel auspackt und verschlingt. All die Regeln, all die Einschränkungen: Sie sind gar nicht so leicht einzuhalten. Nicht mal an historischen Tagen.