Asien:Gefährliche Töne

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In Hongkong werden die Freiheiten immer stärker beschnitten, seit die Regierung im Juni 2020 das berüchtigte Nationale Sicherheitsgesetz beschlossen hat. (Foto: Isaac Lawrence/AFP)

Hongkong will ein Lied verbieten, das die von China eingesetzten Machthaber als subversiv empfinden. Jetzt steht ein Straßenmusiker vor Gericht, weil er dessen Melodie gespielt hat.

Von Kai Strittmatter

In Hongkong steht diese Woche ein Lied vor Gericht. Um genau zu sein: Es steht vor gleich zwei Gerichten, es ist wohl ein besonders gefährliches Lied. "Es schürt Gefühle", warnte der Anwalt der Regierung vor dem Obersten Gerichtshof. Es "wiegelt auf", sagte der Staatsanwalt beim Amtsgericht von Shatin.

Das Lied ist noch jung, "Glory to Hong Kong" heißt es. Vom Komponisten kennt man nur den Vornamen: Thomas. Am 31. August 2019 veröffentlichte er das Lied. Damals gingen die Studenten auf die Straße für ein demokratisches Hongkong. Gegen die Statthalter Pekings, die dabei waren, Hongkong noch die letzten Freiheiten zu rauben. "Warum fließen an diesem Ort wieder Tränen?", beginnt das Lied. "Erhebt euch, sprecht / Möge die Freiheit hierher zurückkehren."

Die Demonstranten adoptierten den Song, er wurde zur Hymne der Bewegung. Beim Fußballspiel Hongkong gegen Iran sangen ihn Fans im Stadion - nachdem sie die chinesische Nationalhymne ausgebuht hatten. Bald gebar das Lied eine eigene Protestform: Überall in Hongkong kamen Menschen zu spontanen Flashmobs zusammen, um im Chor "Glory to Hong Kong" zu singen.

Der Regierung war das unheimlich. Sie stellte den Sängern Strafzettel aus, angeblich wegen Verletzung von Corona-Regeln. Sie verbot Studenten das Singen des Liedes. Peinlich wurde es auch noch: Beim Rugby-Gastspiel in Südkorea spielten die Gastgeber für die Hongkonger Mannschaft aus Versehen "Glory to Hong Kong" anstelle von Chinas Nationalhymne. Im Juni 2020 dann verabschiedete Hongkong das berüchtigte Nationale Sicherheitsgesetz, das staatlicher Willkür gegen angeblich "subversive" und "terroristische Aktivitäten" Tür und Tor öffnete. Hongkong ist jetzt eine Stadt, die Kopfgeld aussetzt auf im Exil lebende Demokraten. Und die ein Lied vor Gericht stellt.

Es gibt zur selben Melodie auch einen chinafreundlichen Text

Die Regierung hat also ein Verbot beantragt beim Obersten Gerichtshof - auch aus dem Internet soll der Song getilgt werden: Google, Spotify und andere will man zur Löschung zwingen. Und vor dem Amtsgericht im Stadtteil Shatin ist der Straßenmusiker Li Jiexin angeklagt. Li nämlich hat auf der Straße ohne Lizenz die zweisaitige Erhu-Laute gespielt. Schlimmer noch: Er fiedelte auf seiner Erhu "Glory to Hong Kong". "Aufwiegelung", donnerte der Staatsanwalt.

Einen geradezu valentinesken Ton bekam der Prozess, als der Musiker Li Jiexin zu Protokoll gab, aber nein, was die Polizei da gehört habe, sei keineswegs die rebellische Hymne an die Demokratie gewesen - er habe vielmehr die von Chinafreunden später in Umlauf gebrachte Parodie-Version "Peace to Hong Kong" gespielt: gleiche Melodie, pekingfreundlicher Text. Ein als Experte herbeigerufener Polizeibeamter wollte das nicht gelten lassen: Als Instrumentalversion stelle auch die gefiedelte Parodie eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung dar. Was der Angeklagte Li mit einem Exkurs über die politische Unschuld von Melodien konterte.

Ob das Amtsgericht den musikphilosophischen Ausführungen Lis folgt, wird sich erst nächste Woche zeigen. Diesen Freitag schon will hingegen das Oberste Gericht sein Urteil fällen. Gut möglich, dass es das Lied dann von den Straßen und aus dem Netz verbannt. Aus den Köpfen aber müssen sie es erst noch rauskriegen.

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