Hochwasser-Katastrophe:"Viel lila, viel Sorge"

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Jörg Kachelmann am Freitag im Düsseldorfer Landtag. (Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Hätten die NRW-Behörden die Bürger im Juli früher warnen können vor den tödlichen Fluten? Im Düsseldorfer Landtag nähren der Wetterexperte Jörg Kachelmann und eine britische Sachverständige den Verdacht: Ja.

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Die Besucherin aus England strahlt Ruhe aus. Ernst, aber gelassen wirkt Hannah Cloke, die als "sachverständige Zeugin" am späten Freitagnachmittag an einem Tisch mitten in Saal E3D001 des Düsseldorfer Landtags aussagt. Nur ab und an legt sich die Stirn der 43-jährigen Hydrologin in tiefe Falten. Etwa, wenn sie erzählt, wie sie daheim im englischen Reading Mitte Juli die Fernsehbilder sah von der Flutkatastrophe im Westen Deutschlands. "Da waren Menschen in den Nachrichten, die sagten, sie seien nicht gewarnt worden, aber viele waren gestorben," sagt Cloke, "da wusste ich, dass etwas schief gelaufen ist".

Cloke spricht von "einem kollektiven Systemversagen." Die Britin gilt als Expertin, vor beinahe 20 Jahren half sie, das europäische Flut-Frühwarnsystem Efas aufzubauen. Sie sei deshalb "erschüttert" gewesen, als sie die Berichte von den Sommer-Fluten sah: "Denn das Hochwasser war so, wie es mehrere Tag vorher die Prognosen von Efas vorhergesagt hatten."

Cloke war, wie auch der später auftretende TV-Wettermann Jörg Kachelmann, auf Antrag der Opposition geladen worden. SPD und Grüne wollen aufklären, ob die Bevölkerung früher vor dem verheerenden Hochwasser hätte gewarnt werden können. 49 Menschen waren nach tagelangem Starkregen allein in NRW in den Fluten im Rheinland sowie am Südostrand des Ruhrgebiets ums Leben gekommen. Zudem wollen die Oppositionsparteien wissen, warum die Landesregierung während der Unwetter-Katastrophe nie einen Krisenstab auf Ministerebene einberief. Die Untersuchungen sind politisch brisant, denn im Mai 2022 stehen an Rhein und Ruhr Landtagswahlen an.

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:Fehler in der Flut

Die Landesregierung bilanziert, was vor und während der Hochwasser-Katastrophe schieflief. Im Krisenmanagement haperte es offenbar an einigen Stellen.

Von Christian Wernicke

Eine Stunde währt die Düsseldorfer Befragung der Britin inzwischen. Es zieht sich hin, die Abgeordneten lassen sich Clokes Aussagen (konsekutiv) übersetzen. Dann hält ihr der SPD-Abgeordnete Stefan Kämmerling einige Efas-Karten vom 10. bis 13. Juli vor: Computer-Simulationen, angefertigt vier bis einen Tag vor jenen Stunden, als die Wassermassen Kämmerlings Heimat östlich von Aachen verwüsteten.

"Es musste niemand ums Leben kommen"

Auf einer Karte sind viele lila Streifen auszumachen: "Es ist sehr wichtig, dass - wenn alles lila ist - man dann sehr, sehr aufmerksam ist," sagt Cloke, "viel lila, viel Sorge." Sie betont, ihre Kritik ziele "nicht auf einzelne Teile des Systems in NRW." Dazu habe sie "keine Untersuchungen angestellt", sagt sie mit ruhiger Stimme. Für die Emotion ist Kämmerling zuständig. Der Sozialdemokrat zieht sein Zwischenfazit der Befragung, dabei hält er nochmals eine Pappe mit einer vergrößerten Efas-Karte vom 13. Juli mit den vielen lila Streifen in die Luft: "Das war 17 Stunden, bevor der erste Mensch gestorben ist," ruft er in den Saal. Cloke nickt und schweigt.

Dann sitzt Jörg Kachelmann im Zeugenstand, der TV-Meteorologe. Er verweist auf eigene Karten, die flackern jetzt bunt auf den Bildschirmen der Abgeordneten. Der 63-jährige Zeuge berichtet, wie sein privater Wetterdienst am Sonntag vor jenem Szenario zu warnen begann, das die NRW-Bürger ab Mittwoch (14. Juli) nördlich der Eifel dann heimsuchte. "Die Modelle haben - furchtbarerweise - gute Arbeit geleistet." Auch die Arbeit des Deutsche Wetterdienstes sei "hervorragend" gewesen.

Aber dann? "Es ist die Frage", sagt der Zeuge tastend, "wer hat was wann danach nicht gemacht?" Er meint die Behörden, er zielt auf die Politik, die nicht laut Alarm geschlagen und nirgendwo früh genug evakuiert hatte: "Warum hat niemand 24 Stunden vorher gesagt: Verlassen Sie die Täler für 36 Stunden!" Kachelmann entschuldigt sich nebenbei bei NRW-Innenminister Herbert Reul, den er im Juli einen "Lügner" gescholten hatte. Der CDU-Politiker hatte behauptet, die Naturkatastrophe hätte "nicht vorhergesagt" werden können. Aber Kachelmann sagt auch, ohne Reul oder den damaligen Landesvater Armin Laschet beim Namen zu nennen: "Es musste bei dieser Situation niemand ums Leben kommen - wenn alle getan hätten, was getan hätte werden können."

Es gab auch Warnungen zu kleineren Flüssen

Und auch dies kam raus am Freitag: Die Hydrologin Cloke berichtete, jeder der derzeit 900 Kunden und Partner des Frühwarndienstes EFAS erhalte Warnungen per Email und könne jederzeit die Prognosen im Internet aufrufen, inklusive Worst-Case-Szenarien. Seit geraumer Zeit liefere Efas "auch Informationen zu Sturzfluten von kleinen Flüssen". NRW-Umweltministerin Ursula Heinen-Esser hatte nach dem Hochwasser wiederholt bedauert, dass NRW ein solches Frühwarnsystem an kleinen Flüssen wie der Erft (etwa in Bad Münstereifel und Erftstadt) oder dem Vichtbach (in Stolberg nahe Aachen) gefehlt hätte.

Am 24. August hatte ihr Ministerium in einem Bericht noch angegeben, das Landesumweltamt (Lanuv) habe die Efas-Meldungen nicht abonniert. Leider. Am Freitag nun nennt die Efas-Website das Lanuv als einen Partner des Frühwarnsystems. NRW hat also nachgebessert und - irgendwann nach der Flut - nun doch die Frühwarnungen abonniert.

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