Nordrhein-Westfalen:Fehler in der Flut

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Das "Danke" gilt den vielen Helfern. Die Fluten des Vichtbachs richteten in der Innenstadt des rheinischen Stolberg große Schäden an. (Foto: Hans-Jürgen Serwe/Imago)

Die Landesregierung bilanziert, was vor und während der Hochwasser-Katastrophe schieflief. Im Krisenmanagement haperte es offenbar an einigen Stellen.

Von Christian Wernicke, Düsseldorf

Während der Flutkatastrophe Mitte Juli in Nordrhein-Westfalen sind der Landesregierung Fehler unterlaufen. Das räumte Innenminister Herbert Reul (CDU) rückblickend am Montag ein. Als Beispiel nannte Reul den Entschluss, keinen landesweiten Krisenstab einzuberufen, obwohl am 14. Juli die Fluten im südlichen Rheinland rapide stiegen.

Diese Entscheidung, so Reul, habe er an jenem Tag nach Rücksprache mit Regierungschef Armin Laschet (CDU) gefällt: "Wir waren uns einig, keinen Krisenstab einzurichten", sagte Reul bei einer Pressekonferenz in Düsseldorf. Er sei mit dem Ministerpräsidenten übereingekommen, dass eine am selben Tag im Innenministerium eingesetzte Koordinierungsgruppe von Experten genüge. Dieser sogenannte kleine Krisenstab habe "super funktioniert".

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Bei dem Hochwasser waren allein in NRW, vor allem im Rheinland zwischen Aachen und Köln, 48 Menschen ums Leben gekommen. Ursache der Jahrhundertflut waren tagelange, flächendeckende Starkregen, die etwa in den Städten Stolberg, Euskirchen und Erftstadt kleine Flüsse zu reißenden Strömen anschwellen ließen und ganze Straßenzüge zerstörten. Umweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) kündigte an, auch dort, wie schon am Rhein, nun ein Frühwarn- und Prognosesystem zu schaffen, das vor künftigen Fluten früher und verlässlicher Alarm schlagen soll.

In Düsseldorf sieht sich die schwarz-gelbe Landesregierung fünf Wochen nach dem Hochwasser wachsender Kritik seitens der Opposition ausgesetzt. SPD und Grüne bemängeln den fehlenden Krisenstab: Ein Gremium auf Ministerniveau - statt auf der Ebene von Fachbeamten - wäre nach ihrer Meinung ein Signal an die Bevölkerung gewesen und hätte wirkungsvoller handeln können. Zudem beklagt die Opposition, die Regierung habe die Städte und Kreise bei der Einschätzung der Gefahren zu spät und zu wenig unterstützt.

Armin Laschets Staatssekretär soll Lageberichte nicht weitergeleitet haben

Innenminister Reul räumte eine solche "symbolische Wirkung" eines Krisenstabs inzwischen ein. Zudem benannte er als Problem, dass die Abstimmung und der Informationsfluss zwischen Hochwasser-Experten einerseits und Katastrophenschützern andererseits auf Landesebene zunächst nicht optimal geklappt habe. Nach massiven Warnungen vom Deutschen Wetterdienst und dem Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz (Lanuv) habe man zwar am 14. Juli - also nur Stunden vor dem Höhepunkt der Fluten im südlichen Rheinland - im Innenministerium einen sogenannten kleinen Krisenstab geschaffen. An der ersten Sitzung am Mittwochnachmittag nahm jedoch kein Wasserexperte aus dem Umweltministerium teil. Der zuständige Abteilungsleiter wurde erst tags darauf, am Donnerstag, geladen.

Obendrein lagen den Katastrophenschützern im Innenministerium anfangs nicht die "Hydrologischen Lageberichte" des Lanuv vor. Diese Dokumente lieferten eine Einschätzung der heraufziehenden Hochwasserlage. Umweltministerin Heinen-Esser erklärte nun, diese Lageberichte habe sie ab 14. Juli im Rahmen ihrer regelmäßigen Kontakte dem Leiter der Staatskanzlei, Staatssekretär Nathanael Liminski, zugeleitet. Liminski, der als engster Vertrauter und rechte Hand von Ministerpräsident Armin Laschet gilt, hat diese Berichte jedoch nach Auskunft eines Sprechers des NRW-Innenministeriums nicht an den "kleinen Krisenstab" weitergeleitet. Spätere Versionen der Lageberichte habe man dann jedoch direkt vom Umweltministerium und vom Landesamt erhalten.

Die zuständige Bezirksregierung reagierte relativ spät

Hingegen soll der Informationsfluss an die bedrohten Städte und Kreise nach Aussage von Ministerin Heinen-Esser wie geplant geklappt haben. Die "Hydrologischen Lageberichte" ihres Ministeriums seien vom Landesamt Lanuv an die fünf Bezirksregierungen im Bundesland gegangen und von dort in die Rathäuser und Kreisverwaltungen weitergeleitet worden.

Die nur vorläufige Bilanz der Landesregierung vom Montag offenbart jedoch, dass die für den Katastrophenraum zwischen Köln und Aachen zuständige Bezirksregierung vergleichsweise spät reagierte. Dort wurde (später als anderswo) erst am Abend des 13. Juli um 21.30 Uhr eine Hochwasser-Meldezentrale geschaffen, und ihren "Krisenstab Unwetter" rief die Bezirksregierung erst am frühen Abend des 14. Juli ins Leben. Zu diesem Zeitpunkt stand zum Beispiel die Stadt Stolberg nahe Aachen schon unter Wasser. Patrick Haas, der dortige Bürgermeister, rief per Lautsprecherwagen bereits seit 15.45 Uhr die Bewohner auf, die Innenstadt in der Nähe des inzwischen reißenden Vichtbachs zu evakuieren.

Zusätzliche Zweifel am Krisenmanagement in Nordrhein-Westfalen weckte am Montag zudem ein Bericht des Senders WDR über Versäumnisse in der Sammelgemeinde Erftstadt. Demnach soll die dortige Feuerwehr bis zu 20 Stunden lang nicht auf Flutwarnungen des für die Wasserwirtschaft zuständigen Erft-Verbands reagiert haben. Deshalb seien viele Bewohner am Morgen des 15. Juli im Schlaf vom Hochwasser überrascht worden. Sämtliche Kommunikationskanäle der Feuerwehr hätten versagt. Als die Feuerwehrmänner morgens zu ihrem Gerätehaus vordrangen, sei bereits ein Großteil der Ausrüstung unbrauchbar gewesen.

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