Bayern führt sie gerade, Hessen hatte sie schon - die Debatte ums Gendern. Am vergangenen Dienstag kündigte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) an, das Gendern in bayerischen Schulen und der Verwaltung solle verboten werden. In Hessen enthielt das Sondierungspapier von CDU und SPD eine Passage, wonach auf das Gendern mit Sonderzeichen in Schulen, Universitäten und dem Rundfunk verzichtet werden soll. Das wolle man festschreiben, notierten die Verhandler im November.
Der Freistaat holt also nach, was sich in Hessen schon zugetragen hat. In einer entscheidenden Sache aber hat Bayern die Nase vorn: Während CSU und Freie Wähler seit Wochen gemeinsam regieren, basteln die Unterhändler in Wiesbaden noch an einer Koalition. Dabei haben beide Bundesländer am selben Tag gewählt, dem 8. Oktober.
Langsam steuern nun auch die Hessen auf eine neue Regierung zu. Am Wochenende sollten letzte Details des Koalitionsvertrags von CDU und SPD "inhaltlich finalisiert" werden, hieß es aus CDU-Verhandlungskreisen. Im Laufe der Woche sollten die Ergebnisse verschickt werden, denn am kommenden Wochenende sind die Parteigremien am Zug: Bei der SPD stimmt am 16. Dezember ein außerordentlicher Parteitag in Groß-Umstadt über das Papier ab, bei der CDU berät am selben Tag in Frankfurt der Landesausschuss, eine Art kleiner Parteitag. "Und dann gehe ich mal davon aus, dass wir am 18. Dezember einen Koalitionsvertrag unterschreiben können. Das ist jedenfalls das Ziel", sagte Ministerpräsident Boris Rhein vergangene Woche der Deutschen Presse-Agentur.
Gegenentwurf zu Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen
Mit seiner Entscheidung für die SPD als Koalitionspartner - und gegen die Grünen - zog Rhein im November einen harten Schnitt. Schwarz-Grün hatte Hessen knapp zehn Jahre lang regiert, die Grünen gelten hier als besonders pragmatisch und anpassungsfähig. Indem er sich für die Sozialdemokraten aussprach, brachte Rhein einen koalitionären Gegenentwurf zu schwarz-grünen Bündnissen auf den Weg, die gerade etwa in Schleswig-Holstein oder Nordrhein-Westfalen regieren. Manche sahen darin einen ersten Fingerzeig in Richtung einer Neuauflage der Großen Koalition auf Bundesebene.
Interessant ist daher auch, wie Rhein und die SPD bei den Koalitionsverhandlungen vorgingen: In einem breiten Prozess arbeiteten knapp 200 Personen in 15 Arbeitsgruppen an einem Koalitionsvertrag. Herausgekommen sei "nicht irgendein Wünsch-dir-was-Programm", wie es Rhein formuliert, sondern "die Renaissance der Realpolitik". Die Gespräche seien "sehr konstruktiv und atmosphärisch außergewöhnlich angenehm" gewesen. Das lag wohl auch an der Haltung der SPD, wie es einer aus Unionskreisen ausdrückt: "Man merkt bei den Sozialdemokraten, dass sie Lust haben loszulegen, dass sie Lust haben zu regieren."
Dabei trug das Sondierungspapier der Bündnispartner - die Grundlage der Koalitionsverhandlungen - die deutliche Handschrift der Union. CDU und SPD bekennen sich darin etwa zur Begrenzung der Migration und wollen "eine echte Rückführungsoffensive starten". Daneben soll es mehr Stellen für die Polizei geben. Mit dem "Hessengeld" will die Koalition zudem junge Familien beim Kauf von Wohneigentum unterstützen.
Dass die Genossen zu solchen Zugeständnissen bereit sind, mag einerseits an ihrem Wahlergebnis von etwa 15 Prozent liegen, andererseits aber auch an der Sorge, nach fast einem Vierteljahrhundert in der Opposition und ohne eine baldige Regierungsbeteiligung landespolitisch kaum mehr eine Rolle zu spielen. Ein Platz am Kabinettstisch verspricht hingegen Ministerien und die damit verbundene Aufmerksamkeit.
Die Posten sind wohl noch nicht verteilt
Der genaue Zuschnitt der Ressorts, deren Verteilung und Besetzung stehen dem Vernehmen nach aber noch aus. Bereits im Sondierungspapier festgehalten ist ein eigenes Ministerium, das sich um Land- und Forstwirtschaft, Weinbau, Jagd sowie Heimat kümmert. Gut möglich, dass ein sogenanntes Zukunftsministerium hinzukommt. Das hatte die CDU in ihrem Wahlprogramm gefordert, es soll Bereiche aus Forschung, Technologie und Digitalisierung bündeln. Noch offen scheint auch, ob die SPD am Ende auf drei Ministerposten kommt - oder auf vier, wie es bei den Grünen derzeit noch der Fall ist.
Dass die Regierungsbildung in Hessen länger dauert als in Bayern, hat auch mit der Verfassung zu tun. Die zwingt Politiker im Freistaat nach Wahlen zu zügigem Handeln. Spätestens am 22. Tag nach der Wahl muss der Landtag konstituiert - eine Woche später der Ministerpräsident gewählt sein. Zwar braucht es dafür keine Koalition, aber sollte die Wahl innerhalb von vier Wochen nicht zustande kommen, muss der oder die Landtagspräsidentin das Parlament auflösen und neu wählen lassen. In Hessen konnte sich Boris Rhein mehr Zeit lassen, erst am 18. Januar konstituiert sich der neue Landtag.