Hambacher Forst:Verheizte Heimat

Hambacher Forst

Das kleine Waldstück liegt am Rande des Braunkohle-Tagebaus Hambach.

(Foto: dpa)

In Zeiten der Energiewende ist kaum noch zu erklären, warum ein ganzer Landstrich verfeuert werden muss - auch wenn es eine alte Genehmigung dafür gibt. Die Braunkohle ist nicht mehr unverzichtbar.

Kommentar von Michael Bauchmüller

Heimat. Sie ist der Landesregierung in Nordrhein-Westfalen so wichtig, dass dafür ein eigenes Ministerium geschaffen wurde, für Heimat und Bau. Von dort stammt die Weisung, Demonstranten aus einem kleinen Waldstück am Rande des Tagebaus Hambach zu vertreiben, damit der Forst recht bald den Braunkohlebaggern weichen kann. Dieses Ministerium arbeitet in Wahrheit nicht für Heimat und Bau, sondern für den Raubbau an der Heimat.

Denn um Heimat geht es vielen der Braunkohlegegner. Seit einem halben Jahrhundert erleben Anwohner, wie sich die Bagger in die Landschaft fressen. Dörfer und Dorfgemeinschaften verschwanden, dafür entstand mit dem Tagebau Hambach eines der größten Löcher, die Menschen je gegraben haben. Es gab Zeiten, da war man im Rheinland auf derlei Superlative sogar stolz; die Gegend galt als Kraftzentrum Westdeutschlands. Klimaschutz? Ökostrom? Das war weit weg.

Der Protest im Hambacher Wald ist ein Symbol dafür, wie sehr sich die Zeiten geändert haben. Die Braunkohle ist eben nicht mehr der unverzichtbare Garant sicherer Energieversorgung, seit mehr erneuerbare Energien fließen - die obendrein immer besser gespeichert oder durch kleine, flexible Gaskraftwerke ergänzt werden können. In Zeiten von Energiewende und Digitalisierung lässt sich kaum noch erklären, warum ganze Landstriche in den Dampfkesseln fossiler Kraftwerke verheizt werden sollen. Dass derzeit ausgerechnet Landesregierungen in den Braunkohleländern Brandenburg und NRW den Ökostromausbau bremsen, spricht Bände. Der Kampf im Hambacher Wald, er ist auch ein Kampf um die Energieversorgung der Zukunft.

Noch mehr aber ist der Wald selbst Symbol. Es steht Natur gegen Maschine, in Bäumen gebundener Kohlenstoff gegen Bagger, die eben solchen Kohlenstoff aus der Erde holen wollen - damit er in den größten CO₂-Schleudern Europas verbrannt werden kann. Die Regierenden in Berlin geben sich als begeisterte Klimaschützer, aber niemand redet gern darüber, dass die Bundesrepublik nach wie vor der größte Braunkohleförderer der Welt ist. Noch klimaschädlicher als hierzulande lässt sich Strom kaum erzeugen.

Während sich die Landesregierung in Düsseldorf für den Fortbestand dieser Kraftwerke einsetzt, hinterlassen in deren Nachbarschaft die Traktoren der Landwirte riesige Staubwolken auf den Feldern. Auch im Rheinland müssen nach dem Dürresommer viele Bauern aufgeben. Auch ihre Arbeit hat viel mit Heimat zu tun. Doch über den Zusammenhang zwischen wachsenden Löchern im Rheinland und den Klimaproblemen in nah und fern schweigen die Regierenden in Bund und Land.

Stattdessen wäscht die Landesregierung in Düsseldorf ihre Hände in der Unschuld bestehender Genehmigungen. Tatsächlich kann sich der Bergbau- und Stromkonzern RWE auf rechtskräftige Zusagen berufen, die auch vor Gericht standhielten. Und ja: Der Staat darf die Polizei rufen, wenn sich Genehmigungen nicht anders durchsetzen lassen. Was aber, wenn sich die Bedingungen für die Genehmigungen grundlegend geändert haben?

Als das Hambacher Loch genehmigt wurde, gab es noch keinen Klimavertrag von Paris, kein Versprechen der Industriestaaten, "so bald wie möglich" den Scheitelpunkt der globalen Emissionen zu erreichen. Auch eine Energiewende war noch nicht in Sicht, im Gegenteil: Wind- und Sonnenenergie galten als hübsche Utopie, die nie viel Strom würde liefern können. Inzwischen stellen erneuerbare Energien 36 Prozent des deutschen Stroms.

Der Hambacher Forst wird zur Bühne für den Streit um die Energiezukunft

Mag sein, dass der Wald am Ende doch weichen muss. Aber einstweilen sollten die Kettensägen ruhen. Denn wenn in Berlin nun eine Kommission über die Zukunft von Kohle und Kohlerevieren verhandelt, dann stehen auch geltende Genehmigungen zur Debatte. In den nächsten Jahren müssen Tagebaue aufgegeben oder verkleinert werden, in dem Maße, in dem erneuerbare Energien die Versorgung übernehmen. Die Bundesregierung will bis 2030 einen Ökostromanteil von 65 Prozent erreichen. Das Ziel ist gut - begänne sie nur endlich, ernsthaft darauf hinzuarbeiten.

So wird der Hambacher Forst zur Bühne für den Streit um die Energiezukunft. Die Verteidiger des Waldes haben das Rampenlicht angeknipst, unter tätiger Hilfe der Vollzugsbehörden. Mit der beginnenden Räumung des Waldes ist öffentliche Aufmerksamkeit für die nächsten Wochen garantiert. Mag sein, dass die Polizei auf gewaltbereite Gegner stoßen wird; die erweisen der Sache einen schlechten Dienst. Aber der Widerstand hat viele Gesichter. Es gibt Geistliche, die Gottesdienste im Forst abhalten, und Familien, die sich zu Hunderten zum friedlichen Protestspaziergang aufmachen - in einem Wald, der für sie ein Stück Heimat ist.

Will sie gegen diese Menschen kämpfen? Eine heikle Frage für die Landesregierung in Düsseldorf - der doch Heimat angeblich so wichtig ist.

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