Zum Jahrestag der Räumung des Hambacher Forsts haben Umweltgruppen schwere Vorwürfe gegen die schwarz-gelbe Landesregierung erhoben. "Die Landesregierung hat versucht, ihre Kontakte mit dem Kohlekonzern zu verheimlichen", sagte Kathrin Henneberger vom Aktionsbündnis Ende Gelände am Donnerstag in Düsseldorf. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte zuletzt Gespräche mit der Spitze des Energiekonzerns RWE vor der Räumung eingeräumt und damit frühere Angaben korrigiert. Ein Untersuchungsausschuss sei überfällig und Reul "schon lange nicht mehr tragbar", so Henneberger.
Reul verteidigte im Innenausschuss des Landtags die Räumung. "Ich wollte verhindern, dass Gewalt und Chaos im Wald ausbricht und Hunderte Menschen zu Schaden kommen", sagte er. Der Hambacher Forst sei damals "zum Sammelbecken von Chaoten aus ganz Europa" geworden. "Ich mag mir gar nicht ausdenken, was passiert wäre, wenn wir erst bei der Rodung in den Forst gegangen wären."
Deswegen habe er ein Gutachten einholen und die Rechtsgrundlage einer vorbeugenden Räumung vor der Rodung prüfen lassen. Die Rodung des Forsts sei im Übrigen 2016 von der rot-grünen Vorgängerregierung erlaubt worden. Er sei kein Handlanger von RWE und habe auch mit der Gegenseite gesprochen. "Ja klar gab es Absprachen, wo ist denn das Problem?", fragte Reul. Das Land habe RWE dabei "klare Ansagen" gemacht. Inzwischen gebe es einen parteiübergreifenden Konsens, den Wald zu erhalten. Deswegen habe sich die Situation grundlegend geändert.
Für die SPD sagte Hartmut Ganzke: "Ich glaube Ihnen, dass Sie nicht der Büttel von RWE sind, aber den Anschein haben Sie selbst erweckt." Die Grünen kritisierten, die Landesregierung habe sich zum Interessenvertreter von RWE gemacht und sogar die zivilrechtlichen Ansprüche des Konzerns prüfen lassen. "Sie haben diesen Einsatz auf dem Rücken der Polizei durchgeführt", sagte die Grünen-Politikerin Verena Schäffer.
Der FDP-Abgeordnete Marc Lürbke sagte, RWE sei keine kriminelle Vereinigung, sondern der Eigentümer des Forsts und habe einen Rechtsanspruch gehabt, ihn zu roden. Natürlich habe die Landesregierung mit RWE sprechen müssen. Die Skandalisierung der Opposition sei "Theater".
Journalisten und Abgeordnete konnten am Donnerstagabend Einsicht in die Akten aller mit der Räumung befassten Ressorts nehmen. Im Bauministerium waren insgesamt 22 Ordner und ein Schnellhefter mit Mail- und Briefwechseln von Behörden, Ministerien, Polizei und RWE ausgelegt. Allein 15 Ordner enthielten Schriftverkehr des Innenministeriums zur "Entscheidungsvorbereitung Einsatz Hambacher Forst".
In den Dokumenten sind zahlreiche Einschätzungen von Ministerien, Polizei und Städten zu finden, auf welcher rechtlichen Grundlage die Baumhäuser im Hambacher Forst beseitigt werden dürften. Die vom Bauministerium letztendlich angeführte Begründung des Brandschutzes war dabei durchaus umstritten.
Antje Grothus vom Bündnis Buirer für Buir warf Reul vor, einen gesellschaftlichen Großkonflikt provoziert zu haben. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) habe den Eskalationskurs seines Innenministers unterstützt, anstatt das Urteil des Oberverwaltungsgerichts und die Beratungen der Kohlekommission abzuwarten.
Der Hambacher Forst sei trotz Gerichtsurteils und Kohle-Kompromisses gefährdet, sagte Bastian Neuwirth von Greenpeace. Er werde durch die heranrückenden Tagebaue von RWE ausgetrocknet, dies zeige eine von Greenpeace in Auftrag gegebene Studie. Laschet sehe tatenlos zu.
"Wir werden die Räumung unserer Häuser scheitern lassen", kündigte David Dresen (Alle Dörfer bleiben) an. Der Versuch der Landesregierung, Bewohner der gefährdeten Dörfer und Waldschützer zu spalten, sei durchsichtig.
Anstatt Maßnahmen gegen das Kollabieren der Öko-Systeme zu treffen, habe die Landesregierung Tausende Polizisten in den Wald geschickt, sagte Waldbesetzerin "Indigo". "Die Politik verpasst alle selbst gesetzten Klima-Ziele. Viele Menschen werden ihre Lebensgrundlage verlieren", sagte Tara Cicchetti von Fridays for Future. Die Gruppen kündigten weitere Aktionen in der Lausitz, am Hambacher Forst und zur Automobilmesse IAA in Frankfurt an.