Der Facebook-Skandal ist nur ein kleiner Ausschnitt eines viel weiter reichenden Phänomens. Was sind schon 50 Millionen Daten bei Cambridge Analytica; diese Firma handelt mit Hunderten Millionen Daten, andere tun es auch. Die Welt ist zunehmend einem Überwachungssystem ausgeliefert. Dieses wird betrieben unter anderem von Datengiganten und Sicherheitsbehörden - wobei beide kooperieren. Bekannt ist das seit Snowdens Enthüllungen.
Das Bundesverfassungsgericht hat schon 2008 ein neues IT-Grundrecht definiert. Es ist damit im digitalen Zeitalter angekommen und hat Schutzpflichten des Staates definiert. Allerdings werden diese von der Politik bisher nicht ernst genommen. Die Schattenseiten der digitalen Revolution werden ausgeblendet und einem ungebremsten Fortschrittsglauben untergeordnet.
Analysiert man die Koalitionsvereinbarung, so stößt man immer wieder auf einen Vorbehalt zugunsten von Innovation: Da ist von "innovationsfreundlicher" Anwendung der Gesetze die Rede, Daten werden als "der Treibstoff für Innovationen" bezeichnet. "Wir wollen den Spielraum für Innovation und digitale Geschäftsmodelle erhalten", heißt es. "Wir werden darauf achten, dass europäische Innovation am Markt eine gerechte Chance erhält". Chancen und Risiken der Digitalisierung sollen "zu einem gerechten Ausgleich gebracht werden". Wie aber kann man die Verletzung eines Grundrechts zu einem gerechten Ausgleich bringen?
Natürlich ist auch vom Datenschutz die Rede, aber mit deutlichen Berührungsängsten. An keiner Stelle wird gesagt, dass die Menschenwürde der Innovation, die selbstverständlich ein Ziel sein muss, ihre Grenzen setzt.
Was wird aus der Gesellschaft, was wird aus den Menschen, was wird aus der Demokratie? Ersetzt die künstliche Intelligenz unser Bewusstsein? Nichts davon ist thematisiert worden. Wenn man angesichts dieser Fragen auf Antworten besteht, so ist das kein Fortschrittspessimismus, sondern Gefahrenabwehr zur Bewahrung der Freiheit. Dazu braucht man keine neue Ethikkommission.
Der deutschen Politik steht ein Lackmustest bevor. Das Europäische Parlament hat im Oktober einen akzeptablen Entwurf der sogenannten E-Privacy-Verordnung verabschiedet. Sie ist unbedingt erforderlich, um die in Kraft tretende europäische Datenschutzgrundverordnung zu ergänzen. Sie erfasst das, was Facebook macht, die Auswertung von Daten, die wir durch Surfen im Internet hinterlassen. Wer wirklich etwas gegen Facebook und ähnliche Unternehmen ausrichten will, der muss diesem Entwurf zustimmen. Daran wird die Glaubwürdigkeit der Bundesregierung zu messen sein.
Erschreckend ist die von Wissenschaftlern in den USA untersuchte Gefahr, dass Facebook und andere zunehmend Einfluss auf die politische Willensbildung nehmen. In der "Algokratie" übernehmen Programmcodes eine Steuerung der Antworten. Wertentscheidungen durch Algorithmen - das ist Manipulation. Mark Zuckerberg sagt, "wir legen die policies fest". "Für jede Suchanfrage nur einen Treffer", proklamiert Google-Berater Eric Schmidt. Da bleibt kein Raum für abwägende Vernunft.