Grüne ringen um Position zu Atomausstieg:Kampf um den Markenkern

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Der schwarz-gelbe Atomausstieg setzt die Grünen unter Druck: Die vielen Neuwähler schätzen an der Partei ihren Öko-Pragmatismus, ein Nein zur Energiewende würden viele nicht verstehen. Bald soll ein Sonderparteitag darüber entscheiden, unter welchen Bedingungen die Partei zustimmen kann. Wichtigstes Ziel: Bloß nicht das grüne Kernthema verlieren.

Thorsten Denkler, Berlin

Die Grünen haben jetzt einiges zu tun. Es geht um eine geradezu detektivische Kleinarbeit. Was sie finden müssen: Das Haar in der Suppe des schwarz-gelben Atomausstieges. Und zwar ein derart schwarzes und langes, dass ihnen ein Nein zu den Ausstiegsgesetzen nicht als Spielverderberei ausgelegt wird. Auf solche Haare hin prüfen die Grünen das Paket "bis aufs letzte Komma und in jede Fußnote", erklärte Parteichefin Claudia Roth.

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Die Bundesspitze der Grünen wird die Entscheidung jedoch nur vorbereiten. Am 25. Juni soll ein Sonderparteitag der Grünen darüber befinden, ob und unter welchen Bedingungen die Partei dem Konsensvorschlag von Schwarz-Gelb zustimmen kann. Nur eines wollen sie tunlichst verhindern: Dass ihnen das Thema Atomkraft mit einem Ja ein für allemal abhandenkommt.

Verbal werden da schon die ersten Geschütze in Stellung gebracht. Das sei gar keine richtige Energiewende, wenn vornehmlich neue Kohle- und einige wenige Gas-Kraftwerke zur Kompensation der abgeschalteten Atommeiler gebaut werden sollen. Der Ausstieg sei nicht schnell genug, weil er nach neuen Erkenntnissen auch 2017 schon abgeschlossen sein könnte. Über Energieeffizienz und Strom sparen stehe zu wenig in den Gesetzen. Es gebe keinen Plan für den Fall, dass die Netzbetreiber sich weigerten, neue Leitungstrassen zu bauen. Dies sei aber nötig, um den Strom von den geplanten Offshore-Windanlagen in der Nord- und Ostsee in den Süden zu transportieren.

"Wir werden vielen Gesetzen so nicht zustimmen können", erklärt die Veteranin der grünen Umweltpolitik, Bärbel Höhn, zu sueddeutsche.de. Das Gesetzespaket sehe "erst einmal nach viel Wind aus, oftmals ist es aber heiße Luft oder die Pferdefüße sind unübersehbar".

Was die Grünen hier bemängeln, sind zwar alles wichtige Punkte. Allerdings handelt es sich dabei dann doch um Details im Vergleich zu den Kernbeständen des schwarz-gelben Ausstiegsplans:

[] Sofortiges Stilllegen der sieben ältesten Meiler plus Krümmel.

[] Alle restlichen Atomkraftwerke sollen spätestens 2022 abgeschaltet sein.

[] Ein verbindlicher Stufenplan sorgt dafür, dass es für jeden Meiler einen festen Abschalttermin gibt.

[] Das Ganze wird durchgezogen, ohne die Atomindustrie einzubinden.

Hätten die Grünen diese Punkte schon 2000 gegen die SPD durchsetzen können, sie hätten sich damals nicht so schwer getan, den eigenen Atomausstieg als Erfolg zu feiern.

Mehr als zehn Jahre später befinden sich die Grünen in einem beispiellosen Aufwind. Ein Nein ließe sich den vielen neuen Wählern kaum vermitteln. Sie schätzen die Grünen für ihren Öko-Pragmatismus. Ein neuer Öko-Fundamentalismus würde sie zweifelsohne abschrecken.

Aus den Reihen der Grünen gibt es auch deshalb reichlich Lob für das schwarz-gelbe Ausstiegspaket. Das sei aus Sicht von Union und FDP schon ein "Quantensprung", sagt einer aus der Fraktion. Fraktionschefin Renate Künast sieht den Ausstieg auf dem "richtigen Weg". Das Paket lese sich auf den ersten Blick "gar nicht so schlecht".

Dabei waren die Grünen an den Atomgesprächen gar nicht richtig beteiligt. Zweimal durften sie sich im Kanzleramt von Kanzlerin Angela Merkel informieren lassen. In den Verhandlungen der Länder mit der Bundesregierung saß zwar mit Winfried Kretschmann der erste grüne Ministerpräsident am Tisch. Allerdings als nur einer von 16 Amtskollegen.

Merkel hat die Oppositionsparteien bewusst außen vor gelassen. Sonst hätte sich der Eindruck noch verstärkt, die Koalition laufe Grünen und Sozialdemokraten hinterher. Und doch sei auf "die Befindlichkeiten der Opposition" Rücksicht genommen worden, erklärt Peter Altmaier, Fraktionsgeschäftsführer der Union im Bundestag.

Für die selbsternannte Industrie- und Infrastrukturpartei SPD etwa sieht der Ausstiegsbeschluss neue Kohlekraftwerke vor. Die Grünen haben den Stufenplan geschenkt bekommen. Das hat einige dann doch sehr verwundert, wie leicht das zu holen war. Die Grünen betonen, dass die jetzigen Ausstiegspläne ihr Erfolg von 30 Jahren hartnäckiger Opposition gegen die Atomkraft sei. Der Stufenplan mit Abschaltterminen für jedes einzelne Kraftwerk sei auf die harten Verhandlungen ihres grünen Ministerpräsidenten Kretschmann zurückzuführen. Kretschmann mag in den Verhandlungen der Länder mit der Kanzlerin überzeugend gewesen sein.

Aber dass ein einzelner Ministerpräsident solche Macht haben soll, dürfte dann doch etwas dick aufgetragen sein. Es hat vielmehr den Anschein, als wolle Merkel das Atomthema schlicht endgültig vom Tisch haben. Dafür ist sie offenbar zu jedem Zugeständnis bereit.

Jetzt erwartet die Union, dass die Grünen liefern. Renate Künast und ihr Ko-Fraktionschef Jürgen Trittin sollten auf dem Sonderparteitag Ende Juni ebenso vehement für den Atomkonsens werben wie einst der grüne Außenminister Joschka Fischer für den Einsatz der Bundeswehr im Kosovokrieg, sagte Unions-Fraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier. "Man wird den Grünen nicht durchgehen lassen, wenn sie an dieser Stelle lavieren."

Ja im Grundsatz, Nein zu den Details

Da könnte Altmaier recht haben. Das wissen auch die Grünen. Darum werden für den Sonderparteitag Ende Juni schon Szenarien entwickelt, wie die Grünen aus der Nummer raus kommen, ohne das Thema zu verlieren, das Teil ihres Gründungsmythos ist.

Plausibel erscheint folgendes Vorgehen: Die Grünen stimmen dem Ausstieg grundsätzlich zu. Sie formulieren aber zugleich, wie unter einer möglichen grünen Regierungsbeteiligung ab 2013 der Ausstieg noch beschleunigt und der Ausbau der erneuerbaren Energien ambitionierter vorangetrieben werden kann.

Außerdem bekommt die Bundestagsfraktion den Auftrag genau zu prüfen, welchen der acht Ausstiegsgesetze sie zustimmen kann und welchen nicht. Es wird ein differenziertes Abstimmungsverhalten geben. Also: Ja im Grundsatz, nein in den Details.

Theoretisch gibt es für die Grünen sogar noch die Chance, ihre Positionen sehr deutlich in den Gesetzen zu verankern. Die Regierungskoalition verfügt im Bundestag über eine Mehrheit von 19 Stimmen. In den Sonderfraktionssitzungen von Union und FDP am Montag aber haben 21 Abgeordnete dem Ausstiegspaket nicht zugestimmt. Wenn es dabei bleibt, wird Merkel wohl doch gezwungen sein, noch mal echte Verhandlungen mit Grünen und der SPD aufzunehmen.

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