Georgien:Schwere Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Demonstranten in Tiflis

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Die georgische Polizei geht in Tiflis mit Tränengas und Wasserwerfern gegen Demonstranten vor. (Foto: Zurab Tsertsvadze/dpa)

Seit Wochen wird in Georgien gegen ein neues Gesetz protestiert: Die Regierung will mehr Kontrolle, die Zivilgesellschaft fürchtet um ihre Freiheiten. Jetzt setzt die Polizei Tränengas ein.

In Georgien ist die Polizei am Dienstagabend mit Gewalt gegen eine Menschenmenge friedlicher Demonstranten vorgegangen. 63 Menschen wurden festgenommen. Die seit Wochen andauernden Proteste im Südkaukasus richten sich gegen Pläne der Regierung, einen angeblichen ausländischen Einfluss auf die Zivilgesellschaft zu unterbinden.

Zu den Festgenommenen zählte auch Lewan Chabeischwili, der Vorsitzende der größten Oppositionspartei Vereinte Nationalbewegung UNM. Chabeischwili veröffentlichte ein Foto, das ihn mit blutig geschwollenem Gesicht zeigt. Er erklärte, von der Polizei misshandelt worden zu sein.

Die Sicherheitskräfte waren am Dienstagabend mit Tränengas und Wasserwerfern gegen die Demonstranten vorgegangen und hatten sie vom Parlamentsgebäude weggedrängt. Die Hauptstraße Rustaweli-Prospekt wurde geräumt. Georgische Medien berichteten, mehrere Menschen seien verletzt worden. Die Polizei sprach davon, dass die Kundgebung nicht mehr friedlich gewesen sei. Die öffentliche Ordnung müsse wiederhergestellt werden. Erst in der Nacht beruhigte sich die Lage. Für Mittwoch waren neue Proteste angekündigt.

Präsidentin Salome Surabischwili forderte die Polizei auf, das gewaltsame Vorgehen gegen die ihren Worten nach friedlichen jungen Demonstranten sofort einzustellen. Im Parlament debattierten die Abgeordneten in zweiter und damit vorletzter Lesung über das umstrittene Gesetz, das nach Auffassung seiner Gegner wie in Russland zur Kontrolle der Zivilgesellschaft eingesetzt werden soll. Die Abgeordneten im Parlament der Ex-Sowjetrepublik nahmen am Mittwoch die zweite Lesung des umstrittenen Gesetzes an. Für die Annahme des Gesetzes sind drei Lesungen notwendig.

Der Entwurf sieht vor, dass Nichtregierungsorganisationen ausländische Geldquellen offenlegen müssen. Die Regierungspartei Georgischer Traum will nach eigenen Angaben auf diese Weise mehr Transparenz schaffen und ausländische Einflussnahme kontrollieren. Viele Projekte zur Demokratieförderung in Georgien werden vom Westen finanziert, auch aus der EU und den USA. Kritiker befürchten, dass dieses Gesetz nach Moskauer Vorbild missbraucht werden soll, um Geldflüsse zu stoppen und prowestliche Kräfte zu verfolgen.

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Die Proteste in der Ex-Sowjetrepublik, die EU-Beitrittskandidat ist, dauern schon seit Wochen an. Im Herbst steht die Parlamentswahl an. Am Montag brachte die Regierungspartei ihrerseits etwa 100 000 Anhänger zu einer Kundgebung in Tiflis zusammen. Der starke Mann der Partei, der Milliardär Bidsina Iwanischwili, hielt dabei eine Rede, die einen deutlich autoritären Kurs ankündigte. Vor der Regierungszeit seiner Partei ab 2012 sei Georgien von ausländischen Einflussagenten geführt worden, sagte er.

Iwanischwili bezeichnete die oppositionelle Nationale Bewegung als "eine einzige kriminelle und verräterische Gruppe" und drohte damit, sie nach der Wahl zur Rechenschaft zu ziehen. Dem Westen warf der Ex-Regierungschef vor, Georgien wie die Ukraine als Kanonenfutter im Kampf gegen Moskau zu missbrauchen.

Die EU und viele ihrer Mitgliedsstaaten haben das geplante Gesetz über sogenannte Auslandsagenten scharf kritisiert. Vergangenes Jahr hatte die Führung in Tiflis den Entwurf angesichts von Massenprotesten auf Eis gelegt. Bei dem neuen Anlauf sind Iwanischwili und Ministerpräsident Irakli Kobachidse aber entschlossen, das Gesetz einzuführen. Präsidentin Surabischwili steht hingegen auf der Seiten der meist jungen, proeuropäischen Demonstranten.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell kritisierte den Polizeieinsatz gegen friedliche Demonstranten. "Georgien ist EU-Beitrittskandidat. Ich rufe die Behörden auf, das Recht auf friedliche Versammlungen zu gewährleisten", schrieb er im sozialen Netzwerk X (früher Twitter). "Der Einsatz von Gewalt, um dieses zu unterdrücken, ist inakzeptabel."

Tschechien wirbt für neue EU-Erweiterungsrunden

Unterdessen hat sich Tschechien für baldige neue Erweiterungsrunden ausgesprochen. Dies sei eine "geostrategische Notwendigkeit", sagte der tschechische Präsident Petr Pavel am Dienstag auf einer Europakonferenz in Prag, an der auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier teilnahm.

"Wenn wir die Westbalkanstaaten, die Ukraine, die Republik Moldau und Georgien zu lange vor der Tür stehen lassen, liefern wir sie Akteuren wie Russland aus, die es mit den Europäern und Europa keineswegs gut meinen", mahnte der Ex-Nato-General Pavel. "Diese Länder wollen zum Westen gehören", sagte der tschechische Regierungschef Petr Fiala. "Geben wir ihnen diese Chance und nutzen wir die Möglichkeiten, die eine Erweiterung bietet", forderte der liberalkonservative Politiker.

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Pavel rief die Kandidatenländer auf, sich seriös auf einen künftigen Beitritt vorzubereiten. Dabei könne Tschechien mit seinen Erfahrungen helfen. Zugleich mahnte der Präsident Reformen der EU an. Man müsse sich die Frage stellen, ob Europa besser sein könnte. Die Antwort laute: "Mit Sicherheit Ja."

Vor 20 Jahren, am 1. Mai 2004, waren Tschechien, Polen, die Slowakei und sieben weitere Staaten der Europäischen Union beigetreten. Pavel würdigte das als einen "Meilenstein". Heute gelte: "Unsere Heimat ist nicht nur Tschechien, sondern Europa." Sechs Länder des westlichen Balkans streben derzeit den Beitritt zur EU an, befinden sich dabei aber in unterschiedlichen Phasen: Albanien, Bosnien-Herzegowina, Kosovo, Nordmazedonien, Montenegro und Serbien.

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