Generaldebatte im Bundestag:Restlos verschleudert

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"Albtraum" oder "Zukunftspolitik": Bei der Generaldebatte im Bundestag greift SPD-Fraktionschef Steinmeier die Regierung an. Auch Kanzlerin Merkel geht in die Offensive - aber weniger gegen die SPD als gegen ihren neuen Lieblingsgegner.

Angesichts der jüngsten Terrordrohungen hatte die Polizei ihre Sicherheitsvorkehrungen am Berliner Reichstag deutlich verschärft. Vor der Generaldebatte war das Parlament am Mittwochmorgen weiträumig mit Absperrgittern abgeriegelt. Berittene Beamte patrouillierten im Regierungsviertel, die Polizei kontrollierte Passanten.

Erfolgsgeschichte oder Albtraum? Kanzlerin Angela Merkel verteidigt bei der Generaldebatte im Bundestag die Arbeit ihrer Regierung. (Foto: dpa)

Unter der Reichstagskuppel war von diesem Ausnahmezustand wenig später nichts mehr zu merken. Die Abrechnung der Opposition mit der Arbeit der Regierung, zu der die Generaldebatte als Höhepunkt der viertägigen Haushaltsberatungen jedes Jahr genutzt wird, lieferte markige, manchmal martialische Worte - aber das gehört zum Handwerk.

Das bewies als erster Redner Frank-Walter Steinmeier. Der SPD-Fraktionschef warf der Koalition "Regierungschaos ohne Ende" vor. Union und FDP hätten innerhalb eines Jahres das Vertrauen der Wähler "restlos verschleudert". Die Koalition habe die eigene Klientel betreut, ohne sich um das Allgemeinwohl zu kümmern, rief Steinmeier unter dem Beifall seiner Fraktion. Die Bundesbürger hätten von politischer Führung geträumt, sagte der SPD-Fraktionschef. "Und was haben Sie bekommen: Einen Albtraum, Regierungschaos ohne Ende, so viel Durcheinander und so viel Unernst war noch nie."

Kanzlerin Angela Merkel erzählt Steinmeiers Albtraum als Erfolgsgeschichte. Die deutsche Wirtschaft sieht die CDU-Chefin auch mittelfristig auf Wachstumskurs. In den nächsten Jahren seien "vernünftige Wachstumsraten" möglich. Nach einem Konjunkturplus von voraussichtlich 3,4 Prozent in diesem Jahr werde für 2011 ein Zuwachs von fast 2,0 Prozent erwartet.

Sparen gab Merkel als zentrales Ziel ihrer Regierung aus. "Was wir an Konsolidierung machen, ist Zukunftspolitik", sagte Merkel. Es gehe dabei um Generationengerechtigkeit. "Wir sparen nicht an der Zukunft", sondern "für die Zukunft", etwa für Bildung und Forschung, versicherte Merkel.

Die Kanzlerin wies Vorwürfe der Opposition zurück, die Koalition trickse bei der Schuldenbremse, indem sie von zu hohen Defiziten ausgehe. Aus Sicht der Opposition wollen Union und FDP sich so Reserven und eine "Kriegskasse" für Wahlkampfgeschenke im Jahr 2013 schaffen.

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Die geplante Neuverschuldung von 48,4 Milliarden Euro im Haushalt für 2011 rechtfertigte Merkel mit der "schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise seit Jahrzehnten". Es fielen noch "unglaubliche Summen" von Schulden an.

Merkel bekräftigte das Ziel, zum 1. Januar 2012 Maßnahmen für ein einfacheres Steuerrecht umzusetzen. Auch für eine Reform der Kommunalfinanzen würden Vorschläge gemacht. Dies sei ein "drängendes Problem".

Und bevor die Opposition weiter auf der Regierung rumhacken konnte ging Merkel schon mal präventiv in die Offensive - gegen ihren neuen Lieblingsgegner, die Grünen. "Wenn das so weitergeht, werden die Grünen für Weihnachten sein, aber gegen die davor geschaltete Adventszeit", sagte Merkel. Die Grünen seien ziemlich fest verbandelt mit dem Wort dagegen.

Die Grünen seien angeblich für den Zugverkehr, aber sobald ein neuer Bahnhof oder eine neue ICE-Strecke gebaut werden solle, seien die Grünen dagegen. Ähnlich sei es beim Sport. Die Grünen seien natürlich für den Sport, "wahrscheinlich auch für Sport im Grundgesetz", aber wenn es um die Olympischen Spiele in Deutschland gehe, komme auch da ein Nein. "So geht es nicht. So werden Sie auch nicht durchkommen", sagte die Kanzlerin an die Adresse der Grünen. Die Partei drücke sich vor der Verantwortung und stelle sich den Realitäten nicht.

Auch FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger attackierte die Grünen: "Es geht Ihnen nicht um die Sache, es geht Ihnen um Protest." Die Partei spiele sich zur "Moralinstanz" auf, dies sei jedoch eine "Lebenslüge". Die Grünen müssten der Wirklichkeit endlich ins Gesicht sehen. "Das, was Sie versprechen, können Sie nicht halten", so Homburger. Mit ihren "Utopien" und ihrer "Wohlfühlpolitik" werde die Partei scheitern.

Bevor die Grünen auf die Angriffe reagieren konnten, durfte erst Gesine Lötzsch ans Pult. Die Parteichefin der Linken fasste die jüngeren Leistungen der Koalition unter dem Titel "Herbst der Fehlentscheidungen" zusammen.Die Politik von Schwarz-Gelb sei "schändlich" und "verlogen": Die Bilanz sei eindeutig: "Noch nie wurden so viele sichere Arbeitsplätze in schlecht bezahlte umgewandelt", so Lötzsch. Es sei auch eine "Schande", wenn den Bürgern in teuren Anzeigen der Regierung vorgegaukelt werde, die Kosten für die Gesundheit sollten bezahlbar bleiben. Das Gegenteil sei der Fall.

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