In Brüssel kursieren zurzeit drei Europakarten. Bunt sind sie, das schon. Aber die Erkenntnis dürfte für manchen Betrachter ziemlich bitter sein. Die drei Karten aus der Europäischen Kommission illustrieren die teils drastischen Folgen eines britischen EU-Austritts für die Regionen in der Union. Auch Deutschland könnte der Brexit hart treffen. Auf der einen Karte sind die neuen Bundesländer in einem kräftigen Orangeton eingefärbt, auf der anderen ist der Farbton deutlich blasser: Die ostdeutschen Länder sind nur noch in Weiß eingezeichnet. Weiß bedeutet, dass künftig keine Aufbauhilfe aus Brüssel mehr nach Ostdeutschland fließen soll.
Bisher zählen die neuen Bundesländer noch zu den großen Profiteuren der EU-Strukturförderung. Wenn zwischen Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern eine Altstadt aufgehübscht oder eine Sportanlage neu gebaut wird, ist meistens Geld aus Brüssel mit im Spiel. In Sachsen werden zum Beispiel gerade Weiterbildungsmaßnahmen mit 660 Millionen Euro aus dem europäischen Sozialfonds finanziert. Und im thüringischen Ilmenau spendiert die EU demnächst eine Schwimmhalle. Das Fördergeld ist bereits auf dem Konto der Gemeinde eingegangen, doch die Frage ist, wie lange das so weitergeht.

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Nach dem Brexit klafft jedenfalls eine Lücke von mindestens zehn Milliarden Euro im EU-Haushalt. Geld, das irgendwie eingespart werden muss, so viel ist sicher. Denn während die Ausgaben für Verteidigung und Sicherheit steigen, sind Nettobeitragszahler wie Deutschland, Frankreich oder Schweden nur bedingt bereit, für die Briten in die Bresche zu springen. Im Frühjahr 2018 will EU-Haushaltskommissar Günther Oettinger den finalen Budgetentwurf vorlegen. Solange werden die Beitragszahler hinter den Kulissen streiten, wer die größte Brexit-Last tragen muss.
Deutschland könnte 18 Milliarden Euro Fördermittel verlieren
Im günstigsten Fall bleibt alles, wie es ist. Die ostdeutschen Länder könnten dann weiter mit großzügigen Hilfen rechnen. Im letzten Haushaltsrahmen von 2014 bis 2020 waren es etwa acht Milliarden Euro, mit denen Brüssel den Aufbau Ost unterstützte. In der Kommission sprechen sie in diesem Fall von einem "Null-Szenario". Gleiche Einnahmen, gleiche Ausgaben. Falls es jedoch anders kommt, hat die Kommission Alternativpläne parat. Sie sehen vor, dass die westeuropäischen Länder leer ausgehen. Mit Ausnahme von Zypern, Portugal und Griechenland. Allein Deutschland würde dann 18 Milliarden Euro Fördermittel verlieren. Geld, auf das man in Berlin nur ungern verzichten will.
In einer ersten Stellungnahme zur EU-Förderpolitik nach 2020 hat die Bundesregierung bereits Widerstand angemeldet. Sie fordert, dass die EU auch weiter Regionen unterstützt, die vor "tief greifenden Herausforderungen" stehen. Berlin denkt dabei an die Integration von Flüchtlingen und die Bewältigung des demografischen Wandels. Kategorien, die in jedem Fall auf Ostdeutschland zutreffen. Laut wird auch darüber nachgedacht, ob man die Vergabe von Fördergeld künftig davon abhängig macht, ob die Empfänger sich an "rechtsstaatliche Grundprinzipien" halten. Damit will Berlin etwa Polen unter Druck setzen, das sich immer stärker von jenen Prinzipien lossagt.
Das wirtschaftliche Gefälle zwischen den Regionen bleibt groß
Ursprünglich sollten mit den Strukturhilfen die Wohlstandsgefälle in der EU verringert werden. Seit dem Lissabon-Vertrag liegt der Fokus stärker auf Maßnahmen zur allgemeinen Wirtschaftsförderung. Auch Regionen, denen es im Vergleich zu anderen Teilen Europas gut geht, erhalten Unterstützung aus Brüssel. Sie dürften nun aber die Ersten sein, die von Einsparungen betroffen sind.
An diesem Montag will die EU-Kommission einen Fortschrittsbericht zur Ungleichheit in Europa vorstellen. "Nicht alles ist gut", heißt es gleich in der Einleitung. Zwar seien die regionalen Unterschiede bei der Arbeitslosenquote und dem Wirtschaftswachstum pro Kopf leicht zurückgegangen. Das Gefälle bleibe aber groß. Vor allem, wenn es um die Innovationskraft geht. Ein Grund sind aus Sicht der Kommission zu geringe öffentliche Investitionen in Osteuropa. Die Brüsseler Behörde stellt zudem fest, dass die sogenannten Übergangsregionen Schwierigkeiten haben, mit dem Wachstum der anderen mitzuhalten. Sie könnten weder mit den Niedriglohnländern in Osteuropa konkurrieren, noch gegen die Wirtschaftszentren im Westen bestehen. In diese Gruppe fallen die ostdeutschen Bundesländer.
In der Staatskanzlei von Sachsen-Anhalt will man sich bemühen, dass auf den Ausfall Großbritanniens als EU-Beitragszahler "kein abrupter Absturz" bei den Fördermitteln folgt. Es gebe noch andere Möglichkeiten, sagt ein Sprecher. Wie die konkret aussehen, werde sich zeigen. Man wolle zunächst die Verhandlungen abwarten. Wie es aussieht, kommt der Brexit so langsam in der Regionalpolitik an.