Man weiß nicht so genau, ob Fernsehen, Presse, Radio und Buchverlage die Jahrestageritis auslösen oder ob sie sich nur an einen Trend hängen, der in der Gesellschaft wabert. Noch scheint kaum das Gedenkjahr 2014 vergangen zu sein, in dem dickleibige Bücher über den Ersten Weltkrieg reüssierten, da sieht man schon allenthalben das Konterfei des Reichskanzlers Otto von Bismarck, der am 1. April vor 200 Jahren geboren wurde.
Im Mai stehen 70 Jahre Kriegsende/Befreiung an, und im Juni wird es dann mit dem 200. Jahrestag der Schlacht von Waterloo Endzeit-napoleonisch. Die Leute, heißt es gern aus der Früher-war-alles-besser-Fraktion, interessieren sich nicht mehr für Geschichte. Unsinn, so viel populär verbreitete Geschichte wie heute war nie zuvor.
Ausgerechnet Gerhard Schröder wird zu Bismarck interviewt
Das ist gut, auch wenn mancher Bildungsbürger die Nase rümpft und der Populärhistorismus gelegentlich seltsame Blüten treibt. Da wird zum Beispiel ausgerechnet Gerhard Schröder zu Otto von Bismarck interviewt, wohl weil er ein Bild des Fürsten an die Wand gehängt hat. Aber vielleicht geht es ja nur darum, Machtmenschen über Machtpolitik räsonieren zu lassen. Der Altbundeskanzler aus Hannover weiß bestimmt, dass Bismarcks Preußen 1866 das Königreich Hannover annektierte, so wie Schröders Putin 2014 die Krim.
Übrigens können Bismarck und Waterloo für das Nachdenken über Europa interessante Ansätze bieten. Der selbsternannte Franzosenkaiser Napoleon war ein Europäer zumindest in jener Hinsicht, als dass er den Kontinent einigen wollte - einigen unter seiner Knute.
Eine Fülle von besiegten Nolens-volens-Alliierten wie Preußen oder Österreich sowie ein Strauß von Klientelstaaten, gerne auch unter der Herrschaft von Bonaparte-Verwandten, sollten das napoleonische Europa bilden. Der Kaiser warf nicht nur nieder, er renovierte auch. Sein Code civil, die napoleonische Form des Bürgerlichen Gesetzbuchs, galt in manchen Regionen Europas noch lange nach dem Ende der Franzosenzeit.
Zwar bedeutete Waterloo, die letzte Schlacht des von Elba Wiedergekehrten, die endgültige Austreibung des Kriegsherrn Napoleon. 1821 starb er, verbannt auf eine Insel am damaligen Ende der Welt. Und dennoch stand das gesamte 19. Jahrhundert unter Napoleons Stern und Unstern.