Es war der 30. Juli 1898, als der alte Herr in seinem Haus in Friedrichsruh das Zeitliche segnete und bald darauf schon Eindringlinge vor seinem Bett standen. Mit der Skrupellosigkeit gieriger Paparazzi richteten sie den Kopf des Verstorbenen auf, sie schoben ihm einen Stapel Kissen unter, dann drückten sie ab. Die Blitzlichtaufnahme des toten Bismarck löste einen Presseskandal aus, nachdem die beiden Hamburger Fotografen versucht hatten, das Bild für viel Geld zu verkaufen. Sie wurden verhaftet, und bei dem spektakulären Prozess stellte sich heraus: Die Täter hatten sogar den Förster von Friedrichsruh bestochen, um im richtigen Moment zur Stelle zu sein.
Nicht einmal auf dem Totenbett hatte der Mann seine Ruhe, der heute in den Hitlisten der größten Deutschen nach Adenauer, Luther und Johann Sebastian Bach einen der ganz vorderen Plätze belegt. Das Recht am eigenen Bild war ihm nicht vergönnt.
Zum 200. Geburtstag gibt es einen regelrechten Bismarck-Boom
Otto von Bismarck hat die Fantasie der Deutschen schon immer beschäftigt. In diesem Jahr gibt es allerdings eine regelrechte Gedenkwelle, einen publizistischen Bismarck-Boom: Der preußische Junker, der am 1. April 1815 in Schönhausen an der Elbe zur Welt kam, wird mit Tschingderassabum gefeiert, mit einer Flut von Ausstellungen, Gedenkveranstaltungen, Büchern. Bundespräsident Joachim Gauck wird die Festrede zum 200. Geburtstag in Berlin halten: auf den Machtpolitiker, der 1871 die deutsche Einigung kunstvoll, aber mit Waffengewalt auf den Weg brachte und dann eine maßvolle Außenpolitik betrieb. Auf den konservativen Revolutionär, der einerseits die Sozialgesetzgebung in Deutschland begründete, andererseits die Sozialisten politisch bekämpfte.
Schön und gut, das ist Geschichte. Aber wie lebt man heute, wenn man selbst ein Bismarck ist, also einer Familie angehört, deren Privatleben bis ins kleinste Detail ausgeleuchtet wird? Wie lebt man als Teil eines Clans, der ein Fall für die Geschichtsbücher und ein gefundenes Fressen für die Paparazzi ist?
Die hohe Stirn hat Gregor von Bismarck vom Urgroßvater
Am besten man fragt mal nach bei einem Ururenkel. Ein Besuch in Friedrichsruh im idyllischen Sachsenwald, 30 Kilometer östlich von Hamburg. Gregor Graf von Bismarck, auf dem heute hier die Verantwortung lastet, kommt auf die Minute pünktlich zur Verabredung. Erste Station der privaten Führung: das Museum, in dem jede Menge Devotionalien des Reichskanzlers zu finden sind. Etwa die Chaiselongue, auf der sich der alte Fürst gerne mal ausstreckte, wenn er müde vom Ausreiten war - seine Doggen durften dann an seiner Seite liegen, sie hatten das Möbelstück offenbar zum Fressen gerne, so abgerissen wie das Leder aussieht.
"Meine Vorfahren haben bescheiden gelebt, da durfte nichts weggeworfen werden", sagt Gregor von Bismarck, 50. Er ist, das merkt man rasch, ein höflicher, zurückhaltender Mensch - keiner, der so drauflosplaudert. Die hohe Stirn, die Kahlköpfigkeit, das hat er unverkennbar von seinem Ururgroßvater geerbt: "Das liegt ja in der Familie."
In der Vitrine glänzen Bismarcks Stulpenstiefel
In der Vitrine vor ihm glänzen die schwarzen Stulpenstiefel, die Otto von Bismarck zu seiner Kürassieruniform trug. Die Stiefel haben Historienmaler und Karikaturisten gerne hergenommen, wenn sie den Reichskanzler in Szene setzen wollten. "Als Kinder erschienen sie uns unglaublich, die mussten von einem Riesen stammen, weil sie uns bis zum Hals reichten."
Draußen vor dem Museum. Es ist einer jener Tage im Sachsenwald, an denen sich die Sonne nicht blicken lässt, aber bald werden sie wieder einschwärmen, die Touristen. Der Sachsenwald ist das größte Forstgebiet in Schleswig-Holstein, ein Freizeitrevier für die Hamburger. Seit Generationen kommen Besucher aus der Großstadt, um im Hotel Waldesruh Hochzeiten zu feiern, im Kletterpark zu balancieren oder auf den Spuren Bismarcks zu wandern.
Das Donnergrollen des Alten konnte man bis nach Berlin hören
Im Sachsenwald, den ihm Kaiser Wilhelm I. für seine treuen Dienste geschenkt hatte, verbrachte der Fürst seine letzten Lebensjahre; im Gasthaus Frascati, das er zum Schloss ausbaute, bezog er Quartier. Von hier aus schickte er nach seiner unfreiwilligen Abdankung 1890 immer neue Schmähungen in die Welt, auch gegen die Kamarilla des jungen Kaisers Wilhelm II., der Bismarck aufs Altengleis geschoben hatte. Das Donnergrollen des griesgrämigen Alten konnte man bis nach Berlin hören, jede Äußerung aus dem Hause Bismarck wurde von Zeitungen hochgekocht.