Fritz Stern über Otto von Bismarck:"Ein ungewöhnlicher Knabe"

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Der US-Historiker und Schriftsteller Fritz Stern auf der Frankfurter Buchmesse im Jahr 2007 (Foto: picture-alliance/ dpa)

Wie war der erste Reichskanzler wirklich? Historiker Fritz Stern spricht über die ungewöhnlichen Begabungen des Preußen und erklärt, wie Bismarck zur Zielscheibe von Judenhassern wurde.

Interview von Oliver Das Gupta

Fritz Stern kam 1926 in Breslau zur Welt. Weil die Familie jüdisch war, floh sie wegen der Verfolgung in Nazi-Deutschland vor Beginn des Zweiten Weltkrieges in die USA. Stern war Professor an der New Yorker Columbia University und gilt als wichtigster amerikanischer Historiker der deutschen Geschichte. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen und war Gastredner im Bundestag.

Eines seiner wichtigsten Bücher ist "Gold und Eisen" (Neuauflage als Taschenbuch bei C.H. Beck ISBN 3406568475). In dem fulminanten Werk dokumentiert Stern das Verhältnis des ersten Reichskanzlers Otto von Bismarck (1815 - 1898) und seines Bankiers Gerson von Bleichröder (1822 - 1893) - und die wichtige Rolle, die der Finanzmann bei der Reichseinigung gespielt hat.

Fritz Stern: Sie wollen über Bismarck und Bleichröder sprechen?

SZ: Genau. Sie haben über das Verhältnis der beiden ein spannendes Buch geschrieben. Es ist bis heute das Standardwerk zum Thema.

Das Buch ist von 1977. Wie alt waren sie damals?

Drei.

Damals war ich älter als Sie heute sind. Fast 40 Jahre ist das her... Sie müssen entschuldigen, wenn ich nicht mehr alles so präsent habe. Versuchen wir es.

Sie haben sich jahrelang mit Bismarck beschäftigt, Akten gesichtet und Briefe erschlossen.

Tausende und Abertausende von Briefen! Mich faszinierte der junge Bismarck. Er war kühn, ambitiös, selbstbewusst und liebte Shakespeare und Lord Byron. Ein ungewöhnlicher Knabe. Bismarck sprach fließend Französisch und gutes Englisch, Latein und Griechisch konnte er sowieso. Und das lernte er alles nebenbei. Früh entwickelte er die Gabe, sich in die europäische Politik einzufühlen. Bismarck hatte ein ungeheures Geschick darin, eigene Interessen durchzusetzen, ohne andere Interessen zu stören. Und er setzte dabei auf ziemlich ungewöhnliche Mittel.

Zum Beispiel?

1866, nach dem gewonnenen Krieg gegen Österreich, rang er dem preußischen König Wilhelm in einem Weinkrampf ab, nicht in Wien einzumarschieren - und ersparte den Habsburgern die große Schmach. Aber, leider Gottes, manchmal zeigte er auch eine andere Seite.

Seine unsensible Seite?

Das kann man wohl sagen. Bismarck konnte demütigen und das hatte mitunter fatale Folgen. Nach dem Sieg über Frankreich, 1871, annektierte das neue Reich Elsass-Lothringen. Damit legte er den Grundstein für eine Feindschaft, die nicht mehr wegzuwischen war. Innenpolitisch war er es ja, der von Anfang an von "Reichsfeinden" gesprochen hat. Das gab dem neuen Reich den inneren Zwist.

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Vom wilden Studentenleben bis zum Schaumweintrinken mit dem Kaiser: Das Leben des ersten deutschen Reichskanzlers Otto von Bismarck hat jenseits aller politischen Urteile einen gewissen Unterhaltungswert.

Bismarck vertraute jahrzehntelang in allen Finanzangelegenheiten seinem jüdischen Bankier Gerson von Bleichröder. Wie war seine generelle Einstellung zu Juden?

Als junger Mann hatte Bismarck sicherlich Vorurteile gegenüber Juden, die in seiner Gesellschaftsschicht damals normal waren. Das waren wohlgemerkt konventionelle Abneigungen und nicht der rassistische Judenhass, der später aufkam. Bismarcks Ansichten zu Juden änderten sich ins Positive in der Zeit, als er preußischer Gesandter beim Deutschen Bund in Frankfurt am Main war.

Was ließ ihn umdenken?

In Frankfurt hat er sich mit Europas großem Bankier Mayer Amschel Rothschild in Verbindung gesetzt. Rothschild hatte Macht und Bismarck war stets an Macht interessiert. Rothschild hat ihm Bleichröder in Berlin empfohlen.

Der Beginn einer wirkmächtigen Finanz- und Politpartnerschaft.

Ja, es war der Anfang einer engen Beziehung, da Bleichröder über Jahrzehnte Aufsicht über Bismarcks private Finanzen hatte und zu Rate gezogen wurde bei Staatsgeschäften. Er fungierte als Bismarcks verlängerter Arm in heiklen Missionen und Europa wusste von diesem Verhältnis. Da es im schönen 19. Jahrhundert noch möglich war, bescheidene Aufmerksamkeiten einem Gönner zu übermitteln, hat Bleichröder Bismarck regelmäßig mit großen Mengen Kaviar versorgt, dessen Ankauf in Russland er selbst organisierte. Was diese enge Beziehung mit dem mächtigsten Mann in Preußen für Bleichröder bedeutete, braucht nicht weiter kommentiert zu werden.

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Als Staatsmann prägte Otto von Bismarck das neue deutsche Reich - und lieferte allerlei Sprüche. Bonmots aus seiner politischen Karriere.

Welche Rolle spielte Bleichröder bei den drei Einigungskriegen, an deren Ende die Gründung des Kaiserreichs stand?

Bei den Kriegen 1864 gegen Dänemark und 1866 gegen Österreich erwies sich Bleichröder als äußerst hilfreich. Da Bismarck sich im Kampf mit dem Preußischen Landtag befand, musste er das notwendige Geld für Kriege anderswo besorgen. Bleichröder gab ihm Ratschläge, wie man das Geld mobilsieren könnte. Unter anderem fädelte er den Verkauf von Staatsanteilen an einer Eisenbahngesellschaft ein.

Und was war Bleichröders Rolle beim Krieg gegen Frankreich?

Beim dritten Einigungskrieg 1871 war die Funktion des Bankiers eine andere: Jetzt wurde er sogar nach Versailles bestellt, wo er als Bismarcks Repräsentant mit den französischen Rothschilds und anderen die Reparationsansprüche verhandelte (für die damalige Zeit waren die Reparationen ziemlich hart - das wurde nach 1919 kaum erwähnt.)

Setzte sich Bismarck für die Interessen der jüdischen Bevölkerung ein?

Ja. Unter seiner Regierung wurde 1869 die rechtliche Gleichstellung der Juden im Norddeutschen Bund realisiert und 1871 im ganzen neugegründeten Kaiserreich. Und auf dem Berliner Kongress unterstützte Bismarck den Vorschlag, die Anerkennung der Balkanstaaten Rumänien, Bulgarien und Serbien von der rechtlichen Gleichstellung der Juden abhängig zu machen.

Man könnte meinen, dass Bleichröder von der engen Verbindung zu Bismarck profiert hat. Aber er hat nie die Aktpezanz der Oberschicht erlangt.

Stimmt. Er erhielt zwar viele Auszeichnungen und wurde als zweiter ungetaufter Jude in Deutschland in den Adelsstand ehoben - vor ihm hatte das nur ein bayrischer Bankier geschafft. Bleichröder galt sogar als reichster Mann Deutschlands. Aber die Oberschichten des deutschen Kaiserreichs benutzten ihn, da sie auch Geld brauchten. Aber das vollzog sich selbstverständlich im Geheimen.

Kurz nach der Reichsgründung entstand eine regelrechte Welle des Antisemitimus, die sich auch gezielt gegen Bleichröder richtete. Wie wurde er zur Hassfigur?

Das hatte mit dem Börsenkrach von 1873 zu tun, der schlesische Herzöge genauso mitgerissen hat wie Schuhputzer in Berlin. So hat es Bismarck dem französischen Bortschafter erklärt. Eigentlich hat Bleichröder damals - ganz im Sinne Bismarcks - den Adeligen geholfen, die sich mit rumänischen Eisenbahnaktien verspekuliert hatten. Doch nach dem Crash war er genau dadurch für Judenhasser zu einem Geschenk geworden: Sie übertrieben seine Rolle maßlos und behaupteten, er wäre der Mann, der hinter dem Reichskanzler die Fäden zieht. So kam auch Bismarck in die Kritik.

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Bismarck trat dem Antisemitismus nie entschieden entgegen. War der Eiserne Kanzler zu feige?

Die Attacken auf ihn wegen Bleichröder waren für Bismarck unter seinem Niveau. Nein, Feigheit passt wirklich nicht zu ihm, auch wenn er bisweilen opportunistisch war. Er hat sich aus dieser Debatte schlichtweg herausgehalten.

Judenhass gab es auch in Bismarcks unmittelbarem Umfeld. Sein Sohn Herbert war überzeugter Antisemit.

Allerdings. Genau wie der junge Kaiser Wilhelm II., der 1888 den Thron bestieg und der sich als eine Unglücksfigur der deutschen Geschichte entpuppen sollte. Der Antisemitismus in Deutschland wuchs noch ernorm während des Ersten Weltkrieges. Der junge Kaiser verachtete außerdem Bismarcks gesamtes Verständnis von Politik, das auf Diplomatie und Ausgleich basierte. Wilhelm verkörperte den Militarismus. Allerdings muss man sagen, dass Bismarck nicht völlig unschuldig war: Denn er gefiel sich immer in Uniform und trat immer so auf.

Wilhelm II. war es auch, der Bismarck 1890 aus dem Amt mobbte. Hatte der geschasste Kanzler danach noch Kontakt mit Bleichröder?

Ihr Verhältnis scheint zuletzt fast freundschaftlich gewesen zu sein. Nur zwei Wochen vor Bleichröders Tod 1893 lud ihn der Reichskanzler a. D. in einen Brief ein, ihn in seinem Alterssitz Friedrichsruh zu besuchen. Er schrieb "geehrter Freund" und unterzeichnete den Brief mit: "der Ihrige Bismarck".

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