Krieg in Gaza:Warnsignale mit vielen Adressaten

Lesezeit: 2 min

US-Präsident Joe Biden hat sein Ziel verfehlt, noch vor dem Ramadan einen Waffenstillstand herbeizuführen. (Foto: Evelyn Hockstein/REUTERS)

Der US-Präsident Joe Biden verschärft seine Kritik am israelischen Ministerpräsidenten. Den Demokraten treibt dabei nicht allein die Sorge um den Nahen Osten an.

Von Fabian Fellmann, Washington

Noch hat sich der Neumond nicht gezeigt, der den ersten Tag des Fastenmonats Ramadan vorgibt. Doch es erscheint bereits so gut wie sicher, dass die Muslime im Gazastreifen ihren heiligen Monat im Krieg beginnen werden. US-Präsident Joe Biden hat sein wiederholt erklärtes Ziel verfehlt, vorher einen Waffenstillstand herbeizuführen - obwohl er die Hoffnung noch nicht ganz aufgeben will. CIA-Chef Bill Burns sei noch in der Region und setze sich weiterhin für einen Abschluss der Verhandlungen ein, sagte Biden in einem Interview, das der US-Sender MSNBC am Wochenende ausstrahlte.

Seiner zunehmenden Enttäuschung verlieh Biden allerdings ebenfalls Ausdruck, indem er sich kritischer als je zuvor über den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu äußerte. Netanjahu "schadet Israel mehr, als er Israel hilft", sagte Biden. "Er muss den unschuldigen Menschenleben mehr Aufmerksamkeit schenken, die verloren gehen." Mehr als 31 000 Menschen sind in dem Krieg gemäß Angaben des Gesundheitsministeriums von Gaza ums Leben gekommen. "Das ist das Gegenteil dessen, wofür Israel steht", sagte Biden. "Es ist ein schwerer Fehler." Er warnt Netanjahu seit Wochen, die internationale Unterstützung aufs Spiel zu setzen durch das gewaltsame Vorgehen in Gaza.

SZ PlusNahostkonflikt
:Das sind Menschen

Lasst uns über Dehumanisierung sprechen, dann lassen sich Zyklen des Hasses durchbrechen. Selbst in Nahost.

Gastbeitrag von Joana Osman

Von einer "roten Linie" sprach Biden in Bezug auf die Pläne, den Grenzort Rafah anzugreifen. Dorthin sind rund 1,3 Millionen Palästinenser geflohen - vor dem Krieg im Rest des Gazastreifens. Die USA verlangen von Israel ein Konzept zum Schutz der Zivilbevölkerung, das sie bisher nicht erhalten hätten. Allerdings weichte der US-Präsident seine rote Linie in dem Interview sofort wieder auf. "Ich werde Israel nie alleinlassen", sagte Biden. "Es gibt keine rote Linie, wegen der ich die Lieferung von Waffen einstellen würde." Notfalls will sich Biden sogar über Netanjahus Kriegskabinett hinwegsetzen und sich direkt an die Knesset, das Parlament in Jerusalem, wenden. Zumindest bejahte er die Interviewfrage, ob er das in Erwägung ziehen würde. Konkrete Pläne scheint er allerdings nicht schmieden zu wollen.

Die jüngsten Bemerkungen Bidens reihen sich ein in eine ganze Serie von Warnsignalen aus Washington an den israelischen Ministerpräsidenten, wobei zumindest eines wohl nicht für die Ohren der Welt bestimmt war. Nach seiner Rede zur Lage der Nation am Donnerstag wurde der Präsident im Saal des Repräsentantenhauses von Abgeordneten umringt, wobei sein Mikrofon weiterlief. Es schnappte Bidens Bemerkung auf, er habe "Bibi" gesagt, er werde mit ihm ein "come to Jesus meeting" abhalten. Der Ausdruck "zu Jesus kommen" ist eine Metapher für Momente der Erleuchtung, der Umkehr, der Einsicht in eine falsche Vorgehensweise. Ihn auf einen jüdischen, israelischen Politiker anzuwenden, hat jedoch einen antisemitischen Unterton. Der US-Präsident rechtfertigte sich, die Redewendung sei gebräuchlich in Pennsylvania, wo er aufgewachsen sei. Netanjahu wisse, wie das zu verstehen sei, er kenne ihn seit 50 Jahren.

Netanjahu dürfte jedoch auch wissen, dass in Bidens Bemerkungen eine ganze Menge Wahlkampf steckt. Der US-Präsident steht wegen seiner Unterstützung für Israel unter Druck aus dem linken Parteiflügel sowie von muslimischen Wählern in wichtigen Swing States. Bei Vorwahlen in Michigan und Minnesota wurde sichtbar, dass die Bewegung stark genug ist, um Biden bei der Präsidentschaftswahl im November entscheidende Stimmen wegzunehmen. Das stellte Biden in Abrede. Jene, die sich der Stimme enthielten, hätten dafür eine Vielzahl von Gründen, sagte er zu MSNBC.

Doch hatte er den Nahost-Krieg zu einem wichtigen Thema seiner Rede zur Lage der Nation gemacht. Unter anderem kündigte er dabei den Bau eines schwimmenden Piers vor der Küste Gazas an, über den Hilfsgüter an die von Hunger bedrohte Bevölkerung geliefert werden sollen. In Betrieb gehen kann dieser frühestens in zwei Monaten. Und kurz nach der Vorwahl in Minnesota hatte Biden den israelischen Ministerpräsidenten bloßgestellt, dem er seit Monaten eine Einladung ins Weiße Haus verweigert. Dafür empfing Vizepräsidentin Kamala Harris seinen Erzrivalen Benny Gantz.

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusEuropawahlen
:Ursula von der Leyens schrecklich nette Familie

Die EVP kürt die EU-Kommissionspräsidentin zur Spitzenkandidatin für die Europawahl. Aber sie gibt ihr auch gehörigen Ballast mit auf den Weg.

Von Josef Kelnberger

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: