Gasversorgung:Der Hahn ist zu

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Hier fließt noch Gas: Verdichtungsstation in der Nähe von Kiew. (Foto: imago)

Die Ukraine stoppt den Gastransit durch die wichtige Sojus-Pipeline, weil sie durch von Russen besetztes Gebiet läuft. Was heißt das für Deutschland?

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Für das ukrainische Städtchen Nowopskow würde sich vermutlich niemand groß interessieren, wären dort nicht Mitte der Siebziger die Bautrupps angerückt. Gemeinsam verlegten die sozialistischen Bruderstaaten die Gaspipeline Sojus ("Union"), direkt an Nowopskow vorbei. Und seit diesem Mittwoch ist die Kleinstadt an der russischen Grenze der Ort, an dem die Sojus endet, zumindest vorerst. Die Verdichterstation dort, die das Gas mit neuem Druck Richtung Westen befördert, hat am Mittwochmorgen um fünf vor sieben den Dienst eingestellt. Die Pipeline läuft leer.

Der ukrainische Netzbetreiber GTSOU begründet das mit "höherer Gewalt". Denn Nowopskow liegt im Luhansker Gebiet, und das ist von russischen Truppen besetzt. Es sei nicht mehr möglich, die Verdichterstation zu kontrollieren, teilt GTSOU mit. Obendrein hätten sich die Besatzungstruppen unerlaubt am durchgeleiteten Gas bedient, was die Stabilität des Netzes beeinträchtige. Die russischen Besatzer betrieben damit unter anderem Kraftwerke, meldet der ukrainische Gaskonzern Naftogaz, Schaden: rund eine Milliarde Euro im Monat. Höhere Gewalt, sogenannte Force majeure, macht es einfacher, bestehende Verträge anzutasten. Unabhängig überprüfen lassen sich die Vorwürfe nicht.

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Was aber über Nowopskow nicht fließt, kommt einstweilen auch nicht im bayerischen Waidhaus an, einem der wichtigsten Einspeisepunkte ins deutsche Netz. Dort seien die Gasflüsse um ein Viertel zurückgegangen, heißt es im aktuellen Lagebericht der Bundesnetzagentur. Die fehlenden Mengen hätten sich durch Lieferungen aus Norwegen und den Niederlanden ausgleichen lassen, teilt die Bonner Behörde darin mit. "Die Gasversorgung in Deutschland ist stabil." Auch die Preise seien nicht gestiegen. Die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1, die andere wichtige Verbindung aus Russland, liefert nach wie vor am oberen Limit.

Drohen Engpässe? Das hängt von Moskau ab

Aber es gibt noch andere Leitungen. Neben der vergleichbar alten Sojus-Pipeline gibt es in der Ukraine ein weiteres Röhrensystem, zu dem im Wesentlichen die Leitungen Progress und UPU gehören. Täglich 77 Millionen Kubikmeter Gas-Einspeisung sind hier vertraglich vereinbart. Technisch möglich ist aber mehr als das Dreifache, heißt es beim ukrainischen Netzbetreiber GTSOU. Das Gas lasse sich also vorübergehend in das größere System umleiten. Nicht bei Nowopskow, sondern bei einem Ort namens Sudscha würde es die Grenze zur Ukraine queren.

Auch Experten erwarten deshalb nicht zwingend Engpässe beim Gas. Das ukrainische Netz operiere lange nicht an seiner Kapazitätsgrenze, sagt Andreas Goldthau, Pipeline-Experte an der Uni Erfurt. "Ironischerweise ist der Transit durch die Ukraine zuletzt noch gestiegen, trotz des Krieges." Dies werde von Russland auch brav bezahlt. Schon in früheren Situationen habe sich der Gastransit aus der Sojus-Pipeline auf den anderen Teil des "Brotherhood"-Systems verlegen lassen. "Da ist noch genug Puffer im ukrainischen System", sagt Goldthau.

Die Entscheidung allerdings liegt in Russland: Gazprom müsste das Gas für seine westlichen Kunden nach Sudscha leiten, zur anderen Pipeline. Und hier nun beginnt ein skurriler Krieg inmitten des Krieges. Der russische Gasmonopolist Gazprom nämlich hält eine Umleitung über Sudscha für "technologisch unmöglich". Auch den Verweis auf "höhere Gewalt" könne man nicht nachvollziehen.

Die ukrainische Seite wiederum verweist auf die bestehenden Verträge. Die sähen vor, dass man Gazprom rechtzeitig informieren und alternative Routen anbieten müsse, wenn eine Pipeline ausfalle, sagt Sergej Makogon, der Chef des Gasnetz-Betreibers. Das habe man getan. "Leider hat Gazprom nicht geantwortet." Mehr noch: Letztlich habe Gazprom den Hahn zugedreht, nicht die Ukraine. Größere Buchungen über die Alternativroute gebe es bisher nicht.

Fragt sich, wer nun wem gegenüber vertragsbrüchig wird. Aus Kiewer Sicht ist das Gazprom - und zwar gegenüber seinen Kunden in Europa. "Gazprom kann nicht aus seinen Verpflichtungen aussteigen", sagt Juri Vitrenko, der Chef des Naftogaz-Konzerns. Schließlich habe man eine Alternativroute für den Transit angeboten, sogar zum selben Preis. Sollte Gazprom dagegen seinerseits seine Pipeline-Zahlungen kürzen, sehe man sich vor einem Schiedsgericht wieder - mitten im Krieg. Das Ende ist offen.

Deutsche Gasspeicher füllen sich

Einstweilen aber füllen sich in Deutschland die Gasspeicher, auch als Vorsorge für eine Lieferunterbrechung. Zu knapp 39 Prozent waren sie am Mittwoch gefüllt. Fürs Heizen wird derzeit kaum Gas gebraucht, entsprechend mehr fällt für die Speicher ab. Bleibt es beim jetzigen Tempo, sind sie bis Anfang Juni zur Hälfte gefüllt.

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