Wie wichtig ist das Geschäft mit Rohstoffen für Russlands Präsident Wladimir Putin? Schon die Dimension der täglichen Transfers macht das deutlich. Allein für Gaslieferungen zahlen EU-Staaten derzeit etwa 400 Millionen Dollar (370 Millionen Euro) an Russland. Dass der Kreml darauf angewiesen ist, zeigt, dass Gas selbst durch die Pipelines in der hart umkämpften Ukraine weiter fließt. Immer heftiger aber streitet man in Deutschland darüber, ob man den Kriegstreibern aus Moskau wirklich weiter ungebremst solche Einnahmen ermöglichen darf.
Eine neue Studie facht diese Diskussionen nun noch weiter an. Denn nach Berechnungen der Umweltorganisation Greenpeace muss Deutschland Russland in diesem Jahr für Öl und Gas voraussichtlich Rekordsummen überweisen. Die Ausgaben der Bundesrepublik für russisches Öl drohen der Studie zufolge 2022 im Vergleich zum Vorjahr von 11,4 Milliarden Euro auf 14,3 Milliarden Euro anzusteigen. Die Importrechnung für Gas könnte sich sogar verdoppeln, von 8,8 im vergangenen Jahr auf 17,6 Milliarden Euro.
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Nachdem bereits die Lieferung von "Gepard"-Panzern bewilligt wurde, erwägt die Ampel der Ukraine noch ein weiteres schweres Waffensystem zukommen zu lassen. Die Gasspeicher in Deutschland müssen bis November zu 90 Prozent voll sein.
Deutschland würde damit in diesem Jahr insgesamt fast 32 Milliarden Euro an Russland zahlen. Das entspräche 57 Prozent des russischen Militärbudgets von 2020. Bei Gas ist Deutschland weltweit der größte Abnehmer, bei Öl die Nummer zwei. Für die Studienautoren ist klar: "Das Gerede der Bundesregierung über mögliche Importstopps ohne handfeste Taten ist in hohem Maße kontraproduktiv", sagt Greenpeace-Volkswirt Mauricio Vargas. "Es treibt die Gaspreise weiter in die Höhe und spült Rekorderlöse in Putins Kriegskasse. Dieser Kriegsfinanzierung muss ein Riegel vorgeschoben werden."
Bei den steigenden Rohstoffpreisen profitiert Russland ausgerechnet auch von den Unsicherheiten, die das Land mit dem eigenen Angriff auf die Ukraine selbst geschaffen hat. Die Angst vor Lieferausfällen und Versorgungslücken ist groß und versetzt die Rohstoffmärkte weltweit in Aufruhr. Gerade zu Beginn des Ukraine-Kriegs herrschte am Weltmarkt Panikstimmung. Der Gaspreis stieg am Spotmarkt zwischenzeitlich auf mehr als 300 Euro je Megawattstunde (MWh) und lag damit mehr als zehnmal so hoch wie noch vor einem Jahr. Aktuell kostet Gas mit etwa 100 Euro pro Megawattstunde immer noch etwa viermal so viel wie vor einem Jahr.
Greenpeace hat für die Studie bereits vorliegende Zahlen genutzt und den weiteren Verlauf der Preise anhand von Indizes berechnet. Die Umweltorganisation kommt zu einem eindeutigen Schluss: "Aus friedenspolitischer Sicht wäre also ein sofortiger Importstopp für russische Kohle, Öl und Gas definitiv geboten", heißt es in dem Papier. Die NGO spricht sich aber nicht klar dafür aus. Denn die ökonomischen Auswirkungen eines Importstopps insbesondere von Gas seien aufgrund der hohen Abhängigkeit Deutschlands unklar. Es sei bei Gas auch nur bedingt möglich, auf andere Anbieter auszuweichen.
Das Energiegeschäft finanziert etwa ein Drittel des russischen Staatshaushalts
Allerdings fordern die Greenpeace-Experten bei einem Embargo-Verzicht alternative Maßnahmen. "Wenn die Bundesregierung vor einem Gasembargo zurückscheut, muss sie umgehend alternative Sanktionsinstrumente wie eine Friedensabgabe auflegen, die den Geldfluss nach Russland eindämmen." Greenpeace empfiehlt, Teile der Exporterlöse Russlands abzuschöpfen und einzubehalten. Die Einnahmen könnten die Folgen des Krieges lindern, etwa als Wiederaufbaufonds für die Ukraine, oder zum Ausbau der erneuerbaren Energien genutzt werden. "Als Energiegeld für Bürgerinnen und Bürger könnten die Einnahmen die hohen Kosten für Energie abfedern", heißt es weiter in dem Papier.
Die gesamte russische Wirtschaft ist stark von den Rohstofferlösen abhängig. Etwa ein Drittel des russischen Staatshaushalts finanziert sich aus den Einnahmen aus dem Energiegeschäft. Mehr als zwei Drittel der Importe werden durch den Export von fossilen Energieträgern finanziert.
Auch führende Wirtschaftsforscher sprachen sich zuletzt für eine härtere Gangart gegenüber Russland und dessen Energie- und Rohstoffsektor aus. Es komme darauf an, die immensen Zahlungen an Russland zu stoppen, forderte zuletzt etwa die Wirtschaftsweise Veronika Grimm. Schließlich dämpften die Einnahmen aus dem Geschäft mit Rohstoffen die Wirkung der Sanktionen. Andere führende Ökonomen warnen dagegen deutlich vor einem Embargo. Michael Hüther, Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), fürchtet bei einem Ende der Gaslieferungen aus Russland einen Anstieg der Arbeitslosenzahlen im Millionenbereich.