Sozialismus:Kevin Kühnert sollte die Juso-Motorenwerke gründen

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Woher diese Naivität? Juso-Chef Kevin Kühnert. (Foto: dpa)

Sozialismus als Obsession: Warum Kühnert und seine Fans ein autoritäres Weltverständnis zeigen - und eine erstaunliche Ignoranz für die Lehren der Geschichte.

Gastbeitrag von Magnus Brechtken

Wer als Geschichtsinteressierter die jüngste Diskussion um die Thesen des Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert verfolgt, fühlt sich um Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte zurückversetzt. In jene Zeiten, als Obrigkeit, Führer oder Partei wussten, was passend sei fürs Volk, das als unmündige Masse betrachtet wurde.

Keine Frage: Es ist richtig und notwendig, über die Vermögensverteilung in der Bundesrepublik und der Welt nachzudenken und nach den Mechanismen zu fragen, wie sich Politik und Vermögensverteilung zueinander verhalten. Es ist aber ebenso nötig, nach den Voraussetzungen von Wohlstand zu fragen und die Strukturen zu klären, in denen er entstehen kann.

Die Sozialismus-Fans in der jüngsten Debatte setzen bei Symptomen an. Wer erfolgreiches Unternehmertum kollektivieren möchte, selbst aber kein Wirtschaftsmodell präsentiert, das Wohlstand zu generieren vermag, zeigt ein autoritäres Weltverständnis des Eingriffs und der Bevormundung, das jenes Kapital zerstört, das man verteilen zu können meint.

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Woher die Naivität? Kühnert und seine Unterstützer hätten bei Kolleginnen und Kollegen der aufgelösten Geschichtskommission der SPD nach historischen Erfahrungen fragen können (Willy Brandt wusste noch, warum er das Gremium einrichtete). Wer zurückblickt, kann Erfahrungen abrufen. Etwa jene Diskussionen, die seit gut zwei Jahrhunderten zwischen Liberalen, Konservativen, Sozialisten und Kommunisten geführt werden. Insbesondere über die Kernfrage, wie politische Macht, Wirtschaft und Gesellschaft organisiert sein sollten, um einer möglichst großen Zahl von Menschen ein möglichst gutes Leben zu ermöglichen.

Alle daraus folgenden Gesellschaftskonzepte - vom nationalistischen Obrigkeitsstaat über die bolschewistische Diktatur bis zur parlamentarischen Demokratie - sind in zahlreichen Varianten erprobt worden. Das 20. Jahrhundert war blutig geprägt von diesen Konflikten. Die Kosten waren bekanntlich enorm, finanziell, materiell, vor allem aber an Menschenleben. Und wer sich heute umblickt in der Welt, kann immer noch recht schnell zahlreiche Varianten der Modelle erkennen, von Venezuela über die Türkei oder Russland bis hin zur Bundesrepublik. Er kann rasch feststellen, welche politisch-wirtschaftlichen Ordnungssysteme ihren Menschen das vergleichsweise größte Maß an Freiheit, Wohlstand, innerem Frieden und zivilgesellschaftlicher Offenheit bieten.

Die jüngste Diskussion reflektiert dagegen eine geradezu obsessive Abneigung, über diese Erfahrungen und Erkenntnisse nachzudenken. So entlädt sich eine Geisterdebatte unter Geschichtsignoranten. Dabei sind die Einsichten ebenso banal wie geläufig: Im Kern geht es um die rationale Beherrschung der Welt. Immer, ganz gleich in welchem Wirtschaftssystem, müssen unablässig Entscheidungen getroffen, Güter verteilt, Menschen und ihre Arbeit organisiert werden. Immer muss es dazu Regelungsmechanismen geben, die die Komplexität der Abermilliarden Ziele und Wünsche halbwegs auszugleichen und Konflikte zu regeln versprechen. Immer im Bewusstsein, dass der Mensch unvollkommen bleibt, unterschiedlichste Talente ausbildet und die Geschichte keine Zwangsrichtung kennt. Der rechtsstaatlich-demokratisch organisierte Interessenausgleich auf offenen Märkten hat sich als der potenziell fairste Modus dieses Regelungsmechanismus erwiesen.

Wer Ungleichheiten sinnvoll bekämpfen will, sollte Vermögens-Bildung fördern

Was bedeutet dies für die aktuelle Debatte? Konzentrieren wir uns auf das Schlagwort Kollektivierung, das als Heilmittel gegen Vermögensungleichheit behauptet wird. Wer dafür plädiert, übersieht nicht nur Kleinigkeiten wie den Rechtsschutz des Eigentums. Er verkennt, dass Vermögen laufend entstehen, sich wandeln und auch vergehen. Das mag überraschend klingen, aber der Blick in die Wirtschaftsgeschichte offenbart den Wandel. Wer kennt noch Carl Fürstenberg, Hugo Stinnes oder Willy Schlieker; wer kannte 1980 die Namen Gates, Bezos oder Zuckerberg? Wir wissen nicht, wer auf der Top-Ten-Reichenliste des Jahres 2040 stehen wird. Gewiss, große Vermögen verschwinden selten vollständig. Aber die Möglichkeiten sind offen.

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Vor gut 60 Jahren erwarb der Unternehmer Herbert Quandt die Mehrheit an den Bayerischen Motoren Werken. Ohne seine Investition wäre die Marke vermutlich verschwunden. Quandts Kinder kontrollieren das Unternehmen noch heute. Wer die Vergesellschaftung ihres Anteils fordert, mag den Applaus derer erhalten, die das zugrunde liegende Prinzip nicht akzeptieren wollen: dass die Investition vor 60 Jahren auch hätte verloren gehen können. Und unternehmerischer Erfolg steht potenziell jedem offen. Auch Kevin Kühnert steht es frei, Juso-Motoren-Werke zu gründen, den Markt aufzurollen und mit seinen Arbeitern kollektiv das Unternehmen zu führen.

Die Kollektivierungsadvokaten übersehen zudem, dass die meisten Aktiengesellschaften, etwa im Dax, "vergemeinschaftet" sind. Das "Kollektiv" der Eigentümer sind meist amerikanische und britische Rentner, die ihre Altersvorsorge über Pensionstöpfe erhalten, in die sie investieren. Im Unterschied zu mehr als 80 Prozent der Deutschen besitzen diese Rentner gern Anteile deutscher Unternehmen.

Nochmals: Es ist richtig und notwendig, Vermögensdebatten zu führen. Die Verwerfungen des Immobilienmarktes sind ein weiteres Beispiel. Die Hauspreisinflation der zurückliegenden Jahre hat die Vermögensdifferenz zwischen Immobilieneigentümern verschiedener Regionen deutlich steigen lassen, zu Mietern ohnehin. Auch hier werden jedoch die kurzfristigen Symptome diagnostiziert, statt nach den langfristigen Ursachen zu fragen. Die Preisentwicklung ist auch eine Folge politischer Prozesse. Warum zeigen sich Bayern und Baden-Württemberg über die Jahrzehnte erfolgreicher als Nordrhein-Westfalen? Welche politischen Entscheidungen haben bewirkt, dass nicht das Ruhrgebiet mit Universitäten, zentraler Verkehrslage und reichlich Arbeitskräften zur Boomregion wurde wie München oder Stuttgart? So wirkt Politik auf Vermögensentwicklung. Mochte ein Haus im Ruhrgebiet und eines im Erdinger Moos vor 50 Jahren Ähnliches kosten, liegen die Preise heute weit auseinander. Nicht die Hausbesitzer haben das bewirkt, sondern politische Konzepte.

Womit wir bei der Frage sind, warum sozialistische Parolen immer noch Anhänger finden, obwohl deren desaströse Vermögenswirkungen historisch wie aktuell für jedermann sichtbar sind. Eine deutsche Antwort drängt sich auf: die Abneigung, sich ernsthaft mit Geld auseinanderzusetzen, bisweilen ein Finanz-Analphabetismus, wie ihn die aktuelle Debatte an zahlreichen Beiträgen illustriert. Wem das Anliegen ernst ist, Geld und Vermögen gleichmäßiger zu verbreiten, sollte Vermögens-Bildung im doppelten Wortsinn fördern. Menschen zu finanzieller Mündigkeit zu ermutigen und zu erziehen sollte als Grundrecht verstanden werden. Ein Schulfach Wirtschaft und Finanzen ist seit Langem dringend gefordert. Wer dagegen Kollektivismus propagiert, muss sich fragen lassen, mit welchem Interesse er Menschen unmündig halten möchte.

Magnus Brechtken, 55, ist stellvertretender Direktor des Instituts für Zeitgeschichte in München.

© SZ vom 10.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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