Demonstration in Berlin:"Was dieser kriegsbesoffene Haufen so von sich gibt"

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Früher bei den Linken, jetzt auf eigener Mission: Sahra Wagenknecht. (Foto: Michele Tantussi/Getty)

Einige Tausend Menschen demonstrieren am Brandenburger Tor "für den Frieden". Dass darunter nicht alle das Gleiche verstehen, wird nicht nur bei der Rede der ehemaligen Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht deutlich.

Von Angelika Slavik, Berlin

Es gibt keinen Zweifel daran, wer an diesem Samstagnachmittag im Berliner Nieselregen der Star ist. Sahra Wagenknecht, ehemalige Linken-Politikerin und derzeit mit der Gründung einer nach ihr selbst benannten Partei befasst, wird am Brandenburger Tor mit lautem Jubel empfangen. Sie ist die Hauptrednerin einer Demonstration, die hier angemeldet ist. Titel: "Nein zu Kriegen - Rüstungswahnsinn stoppen - Zukunft friedlich und gerecht gestalten".

Es ist nicht die erste sogenannte Friedensdemonstration, die Wagenknecht in diesem Jahr bespielt - im Frühjahr hatte sie gemeinsam mit der Frauenrechtlerin Alice Schwarzer ein "Manifest für den Frieden" verfasst und danach vor etwa 13 000 Zuschauern ebenfalls am Brandenburger Tor gesprochen. Damals gab es viel Zuspruch von rechts, unter anderem erklärte die AfD ihre Unterstützung. In der Summe war es eine Veranstaltung, die den Bruch zwischen Wagenknecht und der Linken, der sie damals noch angehörte, beförderte.

Die Ex-Linke weiß, was ihr Publikum hören will

Einen Parteiaustritt später steht Wagenknecht nun also wieder in Berlin-Mitte, diesmal haben die Veranstalter im Demonstrationsaufruf klargestellt, dass rechte Gruppen und explizit die AfD nicht erwünscht sind. Zentrale Forderung der Kundgebung sind Verhandlungen mit Russland. Aber das heißt natürlich längst nicht, dass alle, die gekommen sind, auch wirklich die gleichen Überzeugungen teilen.

Zunächst aber weiß Wagenknecht, was ihr Publikum hören will: Es sei "in der Welt von heute unheimlich wichtig", dass man sich für den Frieden ausspreche. Anders als das etwa die Ampelkoalition und vor allem der Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) täten - dessen Formulierung, wonach Deutschland wieder "kriegstüchtig" werden müsse, wird im Laufe des Nachmittags in fast allen Wortmeldungen zum Thema werden. "Er sagt allen Ernstes kriegstüchtig. Er sagt nicht verteidigungsfähig, er sagt kriegstüchtig", schimpft Wagenknecht. "Noch schlimmer" seien nur die Grünen: Man könne kaum glauben, dass die Partei mal aus der Friedensbewegung entstanden sei, so Wagenknecht, wenn man höre, "was dieser kriegsbesoffene Haufen so von sich gibt".

Vor dem Brandenburger Tor demonstrieren am Samstag mehrere Tausend Menschen. (Foto: Christian Ditsch/Imago/epd)

Bis hierhin ist man sich hörbar einig unter den laut Polizei etwa 5000 Besuchern am Brandenburger Tor: Man solle doch bitte schön mit Russland Friedensverhandlungen führen und der Ukraine keine Waffen mehr liefern. Die Frage, wie das genau funktionieren soll, ist an diesem Ort kein Thema.

Komplizierter wird es, als es um die Situation im Nahen Osten geht. Wagenknecht verurteilt die Anschläge der Hamas und sagt: "Nichts, kein Unrecht dieser Welt, rechtfertigt solche Verbrechen." Ein Teil des Publikums verweigert ihr da die akustische Zustimmung. Ein Stimmungskracher dagegen: "Ich finde, wir sollten genauso schockiert sein über die Bombardements im Gazastreifen." Deutschland habe eine besondere Verantwortung für jüdisches Leben, so Wagenknecht, "aber diese Verantwortung verpflichtet uns nicht, die rücksichtslose Kriegsführung der Regierung Netanjahu als Selbstverteidigung schönzureden".

Auf manchen Schildern steht: "Putin = Peace"

Später wird auf der gleichen Bühne der Musiker Pablo Miró auftreten und ein Stück vortragen, das er "Dringender Song für Palästina" nennt. Miró leitet es mit folgenden Worten ein: "Ich bin nun wirklich kein Antisemit. Doch obwohl ich jede Tötung eines Zivilisten aus tiefstem Herzen verurteile, sehe ich in den Gräueltaten Israels und aller Unterstützer eine noch schlimmere Nummer. Schlimmer kann es gar nicht sein." Der Text des Refrains lautet "Free Palestine". Miró wird von der Menge mit freundlichem Applaus bedacht.

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Auch sonst muss man den Eindruck gewinnen, dass sich hier eine wilde ideologische Mischung zusammengefunden hat: Es gibt Menschen, die Plakate mit Friedenstauben mitgebracht haben oder bunte "Pace"-Fahnen. Aber man sieht auch Schilder, auf denen "Putin = Peace" steht, also: Putin ist Frieden. Es gibt Schilder, auf denen von einem "Genozid in Gaza" die Rede ist und andere, die die Freilassung von Julian Assange verlangen. Man sieht Vertreter der "Friedensglockengesellschaft" - und später gibt es im Internet auch noch Fotos, die nahelegen, dass sich mindestens vereinzelt auch ultrarechte Gruppen unter die Demonstrierenden gemischt haben.

In dieser wilden Melange geht fast unter, dass es auch der stellvertretende Parteichef der Linken, Ates Gürpinar, auf die Rednerliste geschafft hat. Er kritisiert die hohen geplanten Verteidigungsausgaben der Bundesrepublik. Es ist wohl ein Versuch, das wilde Spektrum der unterschiedlichen Friedensbewegten nicht der neuen Konkurrenz durch die Wagenknecht-Partei zu überlassen. Zum Duell kommt es allerdings nicht: Als Gürpinar in der Berliner Winterkälte zur Menge spricht, hat Sahra Wagenknecht ihren Auftritt schon seit Stunden hinter sich.

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