Frankreich hat eine neue Lieblingsprotestform. Nachdem Plakate und Macron-Puppen, die aus Mülleimern hervorlugen, nicht gereicht hatten, um die umstrittene Rentenreform zu stoppen, versuchen es die Französinnen und Franzosen nun mit: Topfschlagen. Als Präsident Macron vor Kurzem eine Fernsehansprache hielt, versammelten sich vor etlichen französischen Rathäusern Menschen zum concert de casseroles. Ihr Ziel: mit Pfannen, Töpfen und Kochlöffeln die präsidialen Beschwichtigungsfloskeln zu übertönen.
Seitdem gab es immer wieder spontane Konzerte in Frankreich. Als der Bildungsminister in dieser Woche von einer Zugreise zurückkam, musste er zunächst im TGV sitzen bleiben, weil ihn am Pariser Bahnhof eine mit Kochgeschirr ausgestattete Gruppe von Reformgegnern erwartete. Als Präsident Macron vor wenigen Tagen in der Kleinstadt Vendôme über das Gesundheitssystem sprechen wollte, erließ die Präfektur im Vorfeld ein Versammlungsverbot inklusive "Verbots von klangverstärkenden Tongeräten". Nachdem mehrere Organisationen dagegen geklagt hatten, kippte ein Verwaltungsgericht das Verbot wieder. Als Macron ankam, klapperten die Töpfe also weiter.
In den französischen Medien werden inzwischen Historiker zur Kulturgeschichte des Topfschlagens interviewt. Und da gibt es durchaus etwas zu lernen. Schon im Mittelalter gab es die Tradition des Charivari, auch Katzenmusik genannt, also das Krachmachen als Protest. Damals protestierten die Menschen mit Töpfen, Ratschen und Pfeifen - zum Beispiel, wenn ihnen eine anstehende Hochzeit missfiel. Der Historiker Emmanuel Fureix spricht von Charivaris als "einer Art Volkstribunal".
Politiker, mit denen man zufrieden war, bekamen eine wohlklingende Serenade
Während der französischen Julimonarchie in den 1830er-Jahren politisierte sich das Topfschlagen. In der konstitutionellen Monarchie waren die Menschen zunehmend enttäuscht von der Politik des Königs und seiner Regierung. Wenn unbeliebte Abgeordnete von Paris aufs Land kamen, wurden sie mit dem Lärm von Töpfen und Pfannen empfangen. Politiker, mit denen man zufrieden war, bekamen hingegen eine Serenade, ein abendliches Ständchen mit echten Instrumenten.
Später verteilte sich die Protestform auf der ganzen Welt. In den Siebzigerjahren protestierten die Menschen in Chile mit Kochlöffeln - erst gegen den sozialistischen Präsidenten Salvador Allende, dann gegen den Diktator Augusto Pinochet. 2001 klapperten in Argentinien bei Demonstrationen gegen die Wirtschaftskrise die Töpfe. Die Cacerolazos, wie die Konzerte auf Spanisch heißen, gab es später auch in Venezuela und Spanien.
Schon immer empörten sich die Mächtigen über die Protestform. Als die Franzosen zur Zeit der Julimonarchie ihre Abgeordneten mit Lärm empfingen, schrieb die konservative Zeitung Journal des débats: "Da werden Unfähigkeit und Unwissenheit zum Recht erhoben, und Verwirrung und Unordnung zur Institution."
Frankreichs Präsident Macron, gegen den sich das Topfschlagen aktuell richtet, sagte vor Kurzem: "Es sind nicht Töpfe, die das Land voranbringen werden." Sehr zum Ärger eines westfranzösischen Topfherstellers übrigens. Der konterte sogleich, dass seine Produktion sehr wohl dabei helfe, Frankreich weiterzubringen.