Migration über das Mittelmeer:Italiens Regierung kassiert liberale Flüchtlingspolitik

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Die alten Regeln sollen wieder her, wünscht sich Lega-Chef Matteo Salvini. Er will den besonderen Schutz für Migranten abschaffen, den der parteilose Premier Mario Draghi eingeführt hat. (Foto: Italy Photo Press/Imago)

Besonders Lega-Chef Matteo Salvini setzt auf Abschreckung und will an seine Zeit als Innenminister anknüpfen.

Von Marc Beise, Rom

Marwa Mahmoud ist Mitglied des Führungsteams des sozialdemokratischen PD. Die größte italienische Oppositionspartei formiert sich gerade unter der neu gewählten jungen Elly Schlein zur medienwirksamen Konkurrenz für die Rechtsregierung der Giorgia Meloni. Insofern mag es nicht überraschen, dass Mahmoud die Migrationspolitik der Regierung mit harten Worten ablehnt.

Aber man kann der 38-jährigen Gemeinderätin aus Reggio Emilia, deren Eltern aus Ägypten stammen, abnehmen, dass sie ehrlich empört ist. Die Ausrufung des Ausnahmezustands nennt sie einen schweren Fehler. Es sei eine Schande, die Geflüchteten schon von der Wortwahl her wie eine Katastrophe zu behandeln, denn diese Maßnahme wurde bisher nur bei Naturereignissen oder zuletzt bei Covid angewandt, sagte Mahmoud im Interview mit der Zeitung La Repubblica: "Es entmenschlicht sie."

Zu dem Argument der Regierung, bei derzeit bis zu 1000 illegalen Migranten pro Tag auf dem Seeweg gebe es keine andere Möglichkeit, sagt die Sozialdemokratin: "Wir sind ein Land mit 60 Millionen Einwohnern. Mit den 2021 gezählten Flüchtlingen, weniger als 200 000, lässt sich nicht mal der Circus Maximus in Rom ausfüllen." Migranten seien auch eine Chance, sagt Mahmoud. In Italien trügen sie bereits elf Prozent zum BIP, also zur Wirtschaftsleistung des Landes, bei: "Italien ist ein multikulturelles Land." Das ist die eine Sichtweise.

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Die andere wird von der Drei-Parteien-Koalition von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni markiert. Vor allem der Vorsitzende der rechtspopulistischen Lega, Matteo Salvini, baut wieder Druck gegen Migranten auf. Salvini ist als Infrastrukturminister zwar nicht mehr wie vor einigen Jahren als Innenminister für Recht und Ordnung im Land zuständig, wohl aber für die Häfen.

Auch die Ministerpräsidentin will den besonderen Schutz für Migranten abschaffen

In seiner ersten Ministerzeit von Sommer 2018 bis Sommer 2019 wurde er damit bekannt, dass er die Häfen sperren ließ und heftig gegen Seenotretter vorging. Seine sogenannten Salvini-Dekrete verschärften die Aufenthaltsbedingungen der Migranten massiv.

Auch Meloni, Chefin der derzeit größten Partei, der postfaschistischen Fratelli d'Italia, war im Wahlkampf mit harten Positionen bis hin zu der Idee einer Seeblockade unterwegs. Einiges hat die Regierung auch bereits in die Wege geleitet: erneute Behinderungen der privaten Rettungsaktionen (wenn auch längst nicht so weitgehend wie einst unter Salvini) und höhere Strafen für Schlepperbanden. Der Lega reicht das nicht. Sie will die alten Regeln zurück, entsprechende Pläne liegen bereits vor.

Dabei geht es auch um die Abschaffung des sogenannten besonderen Schutzes für Migranten, den der parteilose Premier Mario Draghi eingeführt hat. Diese spezielle Aufenthaltserlaubnis greift ein, wenn die Voraussetzungen für die Gewährung internationalen Schutzes nicht gegeben sind, die Rückführung des Ausländers in das Herkunftsland aber als zu riskant bewertet wird. Meloni hat sich am Wochenende hinter die Pläne zur Verschärfung der Regeln gestellt, die Opposition ist entsetzt.

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