UN-Abkommen:Die Bundesregierung hat beim Migrationspakt versagt

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In Bangladesch gehen Rohingya-Flüchtlinge mit ihrem Gepäck über ein Reisfeld. (Foto: dpa)

Erst als die Rechten ihn für sich genutzt haben, ist die große Koalition aufgewacht und hat versucht, ihn den Bürgern zu erklären. Das Desaster sollte eine Lehre sein, denn als nächstes steht der Flüchtlingspakt an.

Kommentar von Bernd Kastner

Es müsste ein Feiertag sein. Zu feiern gäbe es eine Sternstunde der internationalen Zusammenarbeit. 70 Jahre nach Verkündung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte hat die große Mehrheit der Staaten den UN-Migrationspakt angenommen. Er will ein globales Problem global angehen, er will chaotische und lebensgefährliche Zustände bekämpfen, er will Regeln etablieren.

Allein, der 10. Dezember 2018 war ein eher trauriger Tag. Es wurde eine ganz große Chance vertan. Die Sterne in Gestalt der 23 Ziele des Paktes sind kaum sichtbar aus der Perspektive vieler Menschen, zu dunkel sind die Wolken davor. Die Wolken sind gequollen aus den Ausdünstungen von Misstrauen, Propaganda und Lügen. Die Bundesregierung wie auch die Vereinten Nationen haben es versäumt, ein Klima zu schaffen, in dem sich diese Wolken rasch auflösen. Und so ist die Geschichte des "globalen Pakts für eine sichere, geordnete und reguläre Migration" auch eine Geschichte des kommunikativen Versagens.

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Von Nico Fried

Die Bundesregierung hat geschlafen. Erst als die Rechten den Pakt für ihre Theorie einer Weltverschwörung nutzten, die Deutschland und Europa die Identität raube, ist sie aufgewacht. Erst dann hat sie langsam angefangen, darüber nachzudenken, wie man dem Bürger alles erklärt. Die irrwitzigste Idee dabei war, den Pakt mit dem Hinweis zu verteidigen, dass er juristisch doch unverbindlich sei.

Von sich aus hätte die große Koalition den Pakt auf die Agenda setzen und für ihn werben müssen. Vor allem hätte sie sein Wesen erklären müssen. Warum heißt es auf seinen 32 Seiten immer wieder, dass er rechtlich nicht bindend sei, wenn etwa ebenso oft geschrieben steht, dass sich die Staaten "verpflichten", die 23 Ziele umzusetzen?

Angela Merkels Regierung hätte erklären müssen, dass man mit dem Pakt in der Hand nicht vom 11. Dezember an zu Gericht laufen kann, um etwas einzuklagen. Sie hätte erklären müssen, dass sich die 23 Ziele aber sehr wohl nach und nach in echte Regeln verwandeln können und sollen, politisch und juristisch. Und dass es von Vorteil wäre für die Bundesrepublik, wenn das völkerrechtliche "Soft Law" aushärtet. Von Vorteil wäre das für Migranten, die in vielen Ländern nicht wie Menschen behandelt werden, aber eben auch für Deutschland. Andere Staaten müssen nachholen, was hierzulande bereits Standard ist. Das fördert internationale Gerechtigkeit, das entlastet Deutschland.

Dies alles wäre zu thematisieren gewesen, stattdessen war zu lang Schweigen. Aus Ignoranz? Aus Angst vor dem Reizthema Migration? Im Zeitalter der sozialen Medien und einer erstarkten AfD musste der Pakt Schaden nehmen und mit ihm das Bemühen um menschliche Migrationspolitik. Immerhin, inzwischen sind sie aufgewacht in Berlin. Dass das Parlament dem Pakt zugestimmt hat, war notwendig. Dass die CDU ihn auf dem Parteitag diskutiert hat, war wichtig, alles andere hätte die Verschwörungstheorien befeuert. Dass die Kanzlerin nach Marrakesch gereist ist, ist ein gutes Zeichen.

Das aber reicht noch nicht. Nun muss die Politik erklären, Diskussionen befördern, Kritikern zuhören und darf auch nicht so tun, als wäre alles perfekt am Pakt. Vor allem aber sollte das Desaster eine Lehre sein. Der nächste Pakt steht an, und er trägt ein noch größeres Reizwort im Titel: UN-Flüchtlingspakt. Es ist Zeit, jetzt auch darüber zu reden.

© SZ vom 11.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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