Asylpolitik:Geste der Solidarität

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Ein Camp vor dem Camp: Das Lager Moria auf der Insel Lesbos ist überfüllt. Die Menschen bauen sich in der Nähe provisorische Zeltager auf. (Foto: Angelos Tzortzinis/dpa)
  • Deutschland will in der kommenden Woche 50 unbegleitete Minderjährige aus den überfüllten Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln aufnehmen.
  • Bundesinnenminister Seehofer hofft, dass andere europäische Staaten nachziehen.
  • Von ihrem Plan, tausende Kinder aus den Flüchtlingslagern auf die Mitgliedsländer zu verteilen, ist die EU derzeit noch weit entfernt.

Von Karoline Meta Beisel und Constanze von Bullion, Brüssel

Nach monatelangem Zaudern und Protesten auch aus den Unionsparteien will Deutschland in der kommenden Woche 50 unbegleitete Minderjährige aus den überfüllten Flüchtlingslagern auf den griechischen Inseln aufnehmen. "Wir können nicht nur Ankündigungen machen. Da muss mehr Tempo gemacht werden", sagte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) der Süddeutschen Zeitung am Dienstagabend. "Wir werden auch noch mehr Kinder aufnehmen. Aber das ist ein erster Schritt, um zu zeigen, dass wir unserer Verantwortung gerecht werden."

Schon vor Deutschland hatte Luxemburg am Mittag angekündigt, zwölf Kinder aus den Camps zu übernehmen.

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Die seit März aus der Türkei gekommenen Migranten dürfen nun doch Asylanträge stellen. Deutschland will die ersten 50 Minderjährigen aus den Camps aufnehmen.

Seehofer sagte weiter, er hoffe, "dass weitere Staaten bald nachziehen." Doch wann, das ist die Frage. Bis vor Kurzem hatte die EU-Kommission es hingenommen, wenn aus den Mitgliedsstaaten der Ruf kam, "die EU" müsse nun endlich anfangen, die unbegleiteten Minderjährigen aus den Camps auf den griechischen Inseln auf die Mitgliedstaaten zu verteilen. Inzwischen aber hat sich die Rhetorik merklich verändert. "An die acht Mitgliedstaaten, die zugesagt haben, Migrantenkinder von den griechischen Inseln aufzunehmen", schrieb EU-Innenkommissarin Ylva Johansson am Dienstag in einer Botschaft auf Twitter: "Danke für Eure Solidarität". Um danach hinzuzufügen: "Corona-Tests können in Griechenland oder bei Ankunft durchgeführt werden." Schon am Tag zuvor hatte ein Sprecher der Kommission gesagt, die Mitgliedstaaten könnten bereits anfangen, Jugendliche auszufliegen. Die griechischen Behörden hätten geeignete Migranten ausgewählt.

Damit trat die Kommission dem vor allem in Deutschland verbreiteten Eindruck entgegen, es liege an Brüssel, dass es mit dem Plan, 1600 Kinder aus den Camps auf den griechischen Inseln umzusiedeln, bis Dienstag kaum vorangegangen war. Zuletzt hatten am Montag mehr als 50 Abgeordnete der Unionsfraktion des Bundestags Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in einem Brief geschrieben, die Kommission sei "in der dringenden Verantwortung, initiativ zu werden". Von der Leyen müsse sich für dieses Ziel auch persönlich einsetzen. Im EU-Parlament aber nimmt man die Nachbarn aus dem Berlaymont-Gebäude fraktionsübergreifend in Schutz. "Das Problem liegt nicht bei der Kommission, sondern bei den Mitgliedsstaaten", sagt etwa die SPD-Abgeordnete Birgit Sippel. "Da findet ein Schwarze-Peter-Spiel statt." Der Grüne Erik Marquardt kommt mit einer anderen Metapher zum selben Ergebnis. Von der Leyen könne selbst gar nicht darüber entscheiden, Menschen nach Deutschland zu bringen, erwidert er auf den Brief der Unions-Abgeordneten. "Das ist so, als wenn ich bei einem Fußballspiel den Schiedsrichter anfeuere statt die Mannschaft." Auch Marquardt lobt die Kommission: Sowohl von der Leyen als auch Kommissarin Johansson seien "extrem engagiert". Selbst die CDU-Abgeordnete Lena Düpont spricht von einem Schwarze-Peter-Spiel, und sagt: "Die Wahrheit liegt wohl irgendwo dazwischen." Das ist bemerkenswert, denn nicht nur die Unions-Abgeordneten hatten die EU-Kommission zum Handeln aufgefordert, sondern auch der Bundesinnenminister persönlich, Horst Seehofer.

Luxemburg hatte als erstes EU-Mitgliedsland die Übernahme von Kindern angekündigt

Dass es bei der Umsiedlung der Mitgliedstaaten aber wohl nicht allein vom Engagement der Kommission abhängt, zeigt das kleine Land Luxemburg. Dessen Außenminister Jean Asselborn kündigte am Dienstag an, als erstes EU-Mitgliedsland habe sich Luxemburg mit Griechenland auf die Übernahme von zwölf Kindern geeinigt. In einer Mitteilung dankte er den griechischen Behörden und den beteiligten UN-Organisationen, dass sie diese "Geste der Solidarität mit Griechenland Wirklichkeit werden" lassen. Die EU-Kommission erwähnte Asselborn in seiner Mitteilung noch nicht einmal - offenbar hat sie aus seiner Sicht für die Vermittlung zumindest keine entscheidende Rolle gespielt.

Warum es in Berlin dennoch lange hieß, die Kommission sei am Zug? In Brüssel vermutet mancher vor allem innenpolitische Motive. Die Aufnahme der Minderjährigen mit nur einer Handvoll Mitgliedstaaten ist in der Union nicht unumstritten - zumal diese "Koalition der Willigen" durch die Corona-Krise ins Wackeln geraten ist: Außer Luxemburg unternahm bis Dienstag keines der beteiligten Länder, etwa Frankreich oder Portugal, konkrete Anstrengungen, Migranten umzusiedeln, obwohl erst Luxemburg und nun auch Deutschland zeigen, dass das trotz Corona möglich wäre. Wie weit der Wille zur Umsiedlung wirklich reicht, muss sich aber erst noch herausstellen: Ursprünglich hatte der Koalitionsausschuss von Union und SPD im März beschlossen, "Griechenland bei der schwierigen humanitären Lage von etwa 1000 bis 1500 Kindern" zu unterstützen.

© SZ vom 08.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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