FDP-Vize Holger Zastrow im Gespräch:"Die Energiewende war ein Fehler"

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Die FDP liegt in Umfragen weit unter fünf Prozent. Der stellvertretende Parteichef Holger Zastrow sagt im Interview mit Süddeutsche.de, die Schwäche der Partei resultiere aus falschen Prioritäten und der Hysterie um den "linksgrünen Zeitgeist". Der FDP-Mann aus Sachsen erklärt, warum ein Generalsekretär auch mal holzen darf und warum man manchmal sogar Hans-Dietrich Genscher widersprechen muss.

Oliver Das Gupta

Süddeutsche.de: Herr Zastrow, die FDP befindet sich in der wohl schwersten Krise seit ihrer Gründung: Wahlen werden reihenweise verloren, die Partei bleibt in Umfragen seit langem unter der Fünf-Prozent-Hürde. Warum wollen die Deutschen nicht mehr FDP wählen?

Holger Zastrow, der FDP-Parteivize aus Sachsen, freut sich, dass mit dem neuen Generalsekretär Patrick Döring die "Abteilung Attacke" wieder besetzt ist. Dessen kritische Aussagen zu Parteichef Rösler dürfe man nicht überbewerten. (Foto: dapd)

Holger Zastrow: Jeder in diesem Land merkt, dass wir derzeit mit uns selbst noch nicht im Reinen sind. Hinzu kommt, dass sich zuletzt jeder ungestraft an uns abarbeiten konnte: in Fernsehsendungen, in Zeitungskommentaren, in Parlamentssitzungen.

SZ: Und das, obwohl das Attribut "liberal" in Deutschland durchaus positiv konnotiert ist.

Zastrow: Unsere Werte werden in der Bevölkerung geachtet und unterstützt. Aber man merkt, dass die FDP verunsichert ist. In den vergangenen zwei Jahren haben wir unsere Wähler stark irritiert.

SZ: Was meinen Sie genau?

Zastrow: Wir haben die Prioritäten anfangs nicht richtig gesetzt. Das Steuerthema, mit dem wir die Bundestagswahl gewonnen hatten, hätte von Beginn an eine unserer Prioritäten sein müssen. Ein weiterer Fehler war die abenteuerliche Energiewende, die für viele überraschend kam.

SZ: Sie meinen den Atomausstieg nach der Reaktorkatastrophe in Fukushima?

Zastrow: Nicht nur der Ausstieg an sich war entscheidend, sondern die Art und Weise, wie das über die Bühne ging. Gerade von der FDP ist man gewohnt, dass sie keinen Stimmungen hinterherläuft, sondern lieber etwas länger, aber dafür gründlicher nachdenkt. Leider war das nach Fukushima nicht der Fall: Auch wir haben uns von Hysterie treiben lassen. Wir haben es einer vermeintlichen Mehrheit recht machen wollen, obwohl es immer eine liberale Stärke war, auch dann für eine Meinung einzustehen, wenn sie unpopulär ist.

SZ: Sie sagen, die Liberalen seien mit sich nicht im Reinen. Was muss die FDP tun, damit sich das ändert?

Zastrow: Als erstes unser neues Grundsatzprogramm fertigstellen, damit wir zeigen können, wofür wir stehen und was uns von den anderen unterscheidet. Selbstbewusstsein tanken, Personaldiskussionen einstellen, einig und klar sein. Und dann können wir angreifen.

SZ: Am Grundsatzprogramm arbeitete maßgeblich Christian Lindner mit, der im Dezember überraschend als Generalsekretär zurücktrat, was Sie massiv enttäuscht hat. Wie wirkt sich der Abgang Lindners aus, der ja lange als der kommende Mann der FDP galt?

Zastrow: Mit ein bisschen Abstand kann man feststellen: Der Ausgang des Mitgliederentscheids und die Personalentscheidungen im Dezember waren für uns ein Befreiungsschlag.

SZ: Das müssen Sie erklären.

Zastrow: Der Mitgliederentscheid hat nach langer Debatte endlich eine klare Position beim Thema Euro-Rettung festgelegt, und der Wechsel des Generalsekretärs hat uns die Chance eröffnet, endlich ein Team an der Spitze der FDP zu werden. Wir hatten nach dem Parteitag im Mai 2011 in Rostock ein Führungsteam, das noch nicht als Mannschaft funktionierte. Es gab zu wenig Vertrauen, man zog nicht an einem Strang, und das manifestierte sich in Lindners Rücktritt. Nun haben wir ein Duo, das funktioniert: Philipp Rösler hat mit Patrick Döring endlich den Generalsekretär an seiner Seite, den er braucht. Ein Generalsekretär ist dafür da, die Partei offensiv und selbstbewusst zu vertreten. Das kann Döring. Und er darf dabei auch ruhig mal holzen.

SZ: Auch im Umgang mit dem eigenen Boss scheint der neue Generalsekretär nicht zimperlich zu sein. Der Stern zitiert Döring mit den Worten, Rösler sei "kein Kämpfer", sondern eher ein "Wegmoderierer". Halten Sie solche Aussagen für hilfreich?

Zastrow: Ach, ich würde das Ganze nicht überbewerten. Wir wissen doch, wie solche Äußerungen in Medien manchmal zustande kommen. Es ist ganz klar: Philipp Rösler ist ein anderer Typ als sein Vorgänger Guido Westerwelle, er ist nachdenklicher und unaufgeregter, und das ist gut. Und mit Patrick Döring als Generalsekretär hat er jetzt einen Frontkämpfer und jemanden, der dort hingeht, wo es wehtut. Die "Abteilung Attacke" ist jetzt endlich besetzt.

SZ: Als Guido Westerwelle noch Parteichef war, dominierte er die FDP, die prächtige Wahlergebnisse einfuhr. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger gilt Rösler als Mann der leisen Töne, der aufs Team setzt. Muss er lauter werden?

Zastrow: Einer der Fehler der Westerwelle-Ära war, dass sich alle hinter dem Vorsitzenden versteckt haben. Das funktioniert so nicht mehr. Es gilt, als Team zu agieren: Wir verfügen über unterschiedliche Charaktere, Erfahrungen und Fähigkeiten; übrigens nicht nur im Bund, sondern auch in den Ländern, in ganz vielen Kommunen und besonders in den erfolgreichen schwarz-gelben Landesregierungen. Die müssen wir einsetzen. Jeder muss seine Verantwortung übernehmen, um die Marke FDP wieder zu stärken.

SZ: Herr Zastrow, der FDP-Ehrenvorsitzende Hans-Dietrich Genscher forderte kurz vor Weihnachten einen sozial-liberalen Kurs, um die Partei zu retten: Pflichten Sie dem früheren Vizekanzler bei?

Zastrow: Nein, in diesem Punkt bin ich entschieden anderer Meinung. Liberalismus braucht keine Adjektive, wir sind eine Partei, deren Wurzeln 165 Jahre in die Vergangenheit reichen. Das sollte uns selbstbewusst machen. Wir sollten aufhören, den Begriffen "liberal" und "Marktwirtschaft" einengende Attribute hinzuzusetzen. Als Ostdeutscher bin ich 1989 auf die Straße gegangen, um für Freiheitsrechte zu kämpfen, die es in der DDR nicht gab. Die Marktwirtschaft zählt dazu: Ein System, in dem jeder die Chance hat, mit Fleiß etwas auf die Beine zu stellen. Ein System, in dem viele Unternehmen miteinander im fairen Wettbewerb stehen und nicht nur ein paar große Konzerne Monopole bilden, die womöglich noch vom Staat gesteuert werden. Ein System, in dem derjenige, der mehr leistet, mehr bekommt und auch mehr bekommen darf als derjenige, der weniger leisten will. Auch das habe ich zur Wendezeit von der Bundesrepublik erwartet.

SZ: Wurden Ihre Erwartungen erfüllt?

Zastrow: Offen gesagt habe ich mich gewundert, wie sehr Staatsgläubigkeit verbreitet ist, wie sehr Staat und Bürokratie in die Wirtschaft eingreifen und wie viel Misstrauen der Staat seinen Bürgern entgegenbringt. Gerade im Westen erkennen viele leider nicht, wie viel DDR diesbezüglich in der Bundesrepublik steckt. Linksgrüne Politiker misstrauen den Menschen und deren Fähigkeiten, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen. Dabei ist das gerade Kern der Marktwirtschaft und unserer freiheitlichen Gesellschaft: Eigenverantwortung. Wer, wenn nicht die FDP, soll denn für die Werte von Marktwirtschaft und Freiheit kämpfen?

SZ: Die liberale Lichtgestalt Genscher sagt: Als "Repräsentanten der sozialen Marktwirtschaft" sollte "das Wort sozial nicht kleingeschrieben" werden.

Zastrow: Man muss das doch nicht extra betonen. In einer funktionierenden Marktwirtschaft in einem freien, liberal geprägten Land mit einem Rechtstaat sollte eines selbstverständlich sein: Man kümmert sich um Mitmenschen, die sich wirklich nicht alleine helfen können. Das ist sozial gerecht, da muss eine Gesellschaft großzügig sein. Aber denjenigen, die nicht wirklich bedürftig sind, die einfach nicht wollen, sollte man keine Sozialleistungen hinterherwerfen.

SZ: Zu welchem Flügel in der FDP zählen Sie sich, Herr Zastrow?

Zastrow: Ich wüsste nicht, wo ich mich einordnen sollte. Wir in Sachsen grenzen einander nicht ab, wir denken nicht in Kategorien wie wirtschaftsliberal oder sozialliberal. Ich rate allen Parteifreunden gerade in dieser schweren Zeit, nicht in Schubladen zu denken: Wir sind einfach alle Liberale, und jeder hat seine individuellen Schwerpunkte. Jeder darf für seine Meinung kämpfen und bei der FDP kann - im Gegensatz zu anderen Parteien - die Basis mitreden, wie beim Euro-Mitgliederentscheid.

SZ: Wenn sich die euroskeptische Initiative von Frank Schäffler durchgesetzt hätte, wäre die FDP wohl zerbrochen.

Zastrow: Das glaube ich nicht. Was zählt ist: Alle haben sich hinterher die Hand gereicht und ziehen nun an einem Strang. Auch Frank Schäffler gehört zu Recht in die FDP. Wenn die Partei nicht so offen wäre, dann wäre das unser Todesurteil. Deshalb bin ich gegen einen Adjektiv-Liberalismus.

SZ: Derzeit steht die FDP in Umfragen stabil unter fünf Prozent. Mit welchen Themen kann die FDP punkten?

Zastrow: Zuallererst: Deutschland trägt zusammen mit Frankreich die entscheidende Verantwortung zur Rettung des Euros. Und der FDP in der Regierung und ihrem Vorsitzenden, dem Wirtschaftsminister Philipp Rösler, kommt dabei eine zentrale Rolle zu.

SZ: Auf den entscheidenden agiert Angela Merkel. Stiehlt die Kanzlerin ihrem Wirtschaftsminister die Schau?

Zastrow: Einspruch! Die Zusammenarbeit mit Angela Merkel klappt gut, gerade weil sich die Kanzlerin in der Euro-Frage liberale Positionen zu eigen gemacht hat. Wir Deutschen helfen solidarisch, aber nur wenn die Empfängerländer bestimmte Bedingungen erfüllen. Und wir verhindern die Vergemeinschaftung von Schulden. Die FDP ist Garantin dafür, dass es keine Eurobonds gibt.

SZ: Welche anderen Schwerpunkte soll die FDP setzen, um aus dem Tal zu kommen?

Zastrow: Die Steuerreform soll 2013/2014 kommen. Auch wenn das Volumen nicht so groß ist, wie ich mir das gewünscht habe. Doch das wird ein schweres Stück Arbeit werden, die Reform durch den Rot-Grün dominierten Bundesrat zu bekommen. Außerdem müssen wir bei der Energiewende die Stimme der Vernunft sein. Strom muss bezahlbar und verfügbar bleiben; der Industriestandort Deutschland darf keinen Schaden nehmen.

SZ: Gehört die Verteidigung von Bürgerrechten auch dazu?

Zastrow: Selbstverständlich. Es darf nicht sein, dass wild Daten gesammelt und in alle Ewigkeit aufgehoben werden. Wir hatten hier in Sachsen am 13. Februar 2011 das Beispiel, dass Handydaten massenhaft gesammelt wurden. Das nehmen wir Liberale nicht hin. Unsere Parteifreundin und Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sorgt deshalb dafür, dass die Vorratsdatenspeicherung nicht so kommt, wie sich das die Union vorstellt.

SZ: Manche Stimmen klagen, für die existenzbedrohte FDP komme nun erschwerend hinzu, dass der Zeitgeist grün ist. Sehen Sie das auch so?

Zastrow: Fakt ist: Die Bundes-CDU sozialdemokratisiert sich immer weiter. Daher liegen große Felder im liberal-konservativen Spektrum brach. Dort kann und muss die FDP säen und ernten. Denn es gibt viele Bürger, die Sehnsucht nach einer Partei haben, die die Werte der Marktwirtschaft verteidigt, wirtschaftlichen Sachverstand einbringt, den Einzelnen vor zu viel Kollektivismus schützt und die Interessen der Berufstätigen in unserem Land vertritt. Andere Parteien reden gerne das Erreichte schlecht und schüren Ängste vor der Zukunft.

SZ: Können Sie Beispiele nennen?

Zastrow: Wahlweise die Angst vor dem Klimaerwärmung oder Angst vor der nächsten Eiszeit, Angst vor neuen Technologien, und in Baden-Württemberg macht die Partei des Ministerpräsidenten sogar Angst vor einem Bahnhof. Die anderen sehen immer nur Probleme, wir suchen nach Lösungen und erkennen die Chancen.

SZ: Politiker sagen gerne, dass sie "die Ängste der Menschen ernst nehmen". Tut ein Politiker nicht gut daran?

Zastrow: Nur weil eine Zeitung von Ängsten schreibt, bedeutet das noch lange nicht, dass sie existieren oder begründet sind. Einen linksgrünen Zeitgeist halte ich für eine Erfindung, es ist ein herbeigeschriebener Zeitgeist. Es ist ein Konstrukt vermeintlicher Eliten, die Realität sieht anders aus.

SZ: Ihre Medienkritik ist hart. Wie belegen Sie Ihre These?

Zastrow: Gäbe es diesen Zeitgeist wirklich, hätte sich die Bevölkerung in Baden-Württemberg nicht für den Bau von Stuttgart 21 ausgesprochen, und die Waldschlößchenbrücke hier in Dresden wäre nicht gebaut worden. Deutschland ist nicht so technikfeindlich und zukunftsängstlich, wie manche Medien suggerieren. Es ist gut, wenn die Leute ihr Demonstrationsrecht in Anspruch nehmen. Aber es wird oft vergessen, dass die diejenigen, die laut schreien, nicht zwangsläufig die Mehrheit des Volkes repräsentieren. Die meisten Menschen gehen arbeiten, kümmern sich um ihre Familien, engagieren sich vor Ort in Vereinen und haben gar keine Zeit und sehen auch keinen Grund, Leserbriefe zu schreiben, sich an Bäume zu ketten und Gleise zu schottern. Diese Menschen hätten, wenn alle Parteien immer weiter nach links rücken und sich von kleinen Eliten um ihren Verstand bringen lassen, bald keine politische Vertretung mehr. Diese Menschen können wir für die FDP gewinnen, wenn wir einig sind, selbstbewusst und unmissverständlich unsere Politik vertreten.

SZ: Die FDP hat auf diesen Zeitgeist doch auch reagiert - unter anderem, indem Sie die Abkehr von der Atomkraft mitgetragen hat.

Zastrow: Wir haben uns von dieser Hysterie auch anstecken lassen. Keine Frage: Jeder, der sich Sorgen macht, muss ernst genommen werden. Aber man muss sich diese Sorgen doch nicht gleich zu eigen machen und darf niemals den eigenen Kompass aus den Augen verlieren. Das ist der FDP in den vergangenen zwei Jahren zu oft passiert. Das ändert sich jetzt. Wir müssen schlichtweg zu unseren Überzeugungen stehen. Und dann wird unser Profil für die Bürger besser sichtbar. Wir müssen es nicht allen recht machen.

SZ: Das könnten Sie wohl auch nicht: Für viele Bürger ist die FDP inzwischen ein rotes Tuch, nicht wenige wünschen, dass sie von der Bildfläche verschwindet. Schmerzt Sie das?

Zastrow: Jeder, der in die FDP eintritt, muss sich im Klaren sein, dass er nicht von allen geliebt werden wird. Wer das will, muss in eine Stimmungspartei gehen, wie das SPD und CDU sind. Wir werden deshalb wohl niemals die Ergebnisse einer großen Volkspartei erzielen. Aber es gibt genug Leute, die wir für unsere Inhalte begeistern können. Deshalb könnten wir auch einfach aus der Krise kommen: Wir kennen die gemachten Fehler, wir wissen, was wir tun müssen, wir haben das Potential. Und uns ist bewusst, dass mit dem Dreikönigstreffen nicht alles anders sein wird, wohl aber ein wichtiger positiver Impuls gesetzt wird für den Weg der Erneuerung.

SZ: Finale Frage: Was wünschen Sie den Parteifreunden, mal abgesehen von steigenden Umfragewerten und einem guten Ergebnis bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein?

Zastrow: Vor allem Kampfgeist und etwas mehr Gelassenheit. Wir haben in der Vergangenheit schon mehrfach schwierige Situationen gemeistert. Als ich beispielsweise 1999 Landesvorsitzender der FDP in Sachsen wurde, lagen wir bei einem Prozent. Inzwischen sind wir etablierte Regierungspartei.

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