FDP-Parteitag:"Der Bundeskanzler hat das Vertrauen der FDP"

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"Guten Morgen aus Washington": Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner musste aus der Quarantäne zum Parteitag der Liberalen sprechen. (Foto: Michael Kappeler/dpa)

Christian Lindner verteidigt den Ukraine-Kurs der Regierung - doch nicht alle Liberalen geben sich so geschmeidig wie der Chef. Am deutlichsten wird Marie-Agnes Strack-Zimmermann, die sich von "Eskalationsszenarien" nicht beeinflussen lassen will.

Von Paul-Anton Krüger und Henrike Roßbach

Genau wie der Bundeskanzler hat auch Christian Lindner die Dinge gerne unter Kontrolle, angefangen bei sich selbst. Doch während Olaf Scholz sich mit ausgesuchter Schweigsamkeit dem Kontrollverlust entgegenstemmt, setzt FDP-Chef Lindner lieber auf die kontrollierte Rede. Und seit er Bundesfinanzminister ist, klingen seine Sätze bisweilen noch sorgsamer gedrechselt als früher.

Seit Mittwochabend aber befindet sich ausgerechnet der kontrollierte Christian Lindner in einer Lage, die sich seiner Kontrolle entzieht. Der Regierungsflieger ist ohne ihn von Washington zurück nach Berlin geflogen; Lindner sitzt mit Corona in einem Hotel in Washington, wohin er für das G-20-Finanzministertreffen und die Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds gereist war.

Die Folge dieser Misslichkeit ist, dass der erste Präsenzparteitag der FDP seit Ausbruch der Pandemie mit der bloßen Bildschirmpräsenz des Vorsitzenden auskommen muss. Eine Tatsache, über die Parteivize Wolfgang Kubicki bei der Eröffnung des Parteitags offenbar nicht hinweggehen kann. "Ich sage mal: Hätte Karl Lauterbach nicht den Beschluss der sechzehn Gesundheitsminister zurückgenommen, dass wir nicht mehr in Quarantäne müssen, wenn wir infiziert sind - dann wäre Christian Linder heute bei uns und nicht in Washington."

Sechs Sekunden Zeitverzögerung

Die Parteitagsleitung erläutert noch das Problem mit der Zeitverzögerung von sechs Sekunden über den Atlantik ("Einfach rechtzeitig klatschen!"), da erscheint Lindner schon auf den Videowänden. "Guten Morgen aus Washington", sagt er, um als erstes Erwartungsmanagement zu betreiben. Die interaktivste Parteitagsrede werde es nicht werden, sagt Lindner mit Blick auf die sechs Sekunden zwischen ihm und seinen Zuhörern, bloß die am weitesten entfernt gehaltene und die früheste. Bei ihm ist es sechs Uhr morgens.

Angesichts dieser Umstände ergibt es sich quasi von selbst, mit der Pandemie einzusteigen. Die sei nicht vorüber, sagt Christian Lindner. "Zeuge? Christian Lindner!" Trotzdem verteidigt er "den anderen Zugang", für den die Regierung sich zuletzt entschieden hat. Auch ein Teil der FDP-Wähler sei skeptisch gegenüber dieser Herangehensweise, gibt Lindner zu. Aber Zugeständnisse an Corona-Bedenken der eigenen Basis? Nicht, wenn's um die Freiheit geht. "In Fragen der Interpretation der Bürgerrechte", sagt er, könne es keine Orientierung an Umfragen geben. Da müsse man sich "von Überzeugungen leiten lassen".

Ein deutliches Handeln des Kanzlers zu fordern, sei "keine Majestätsbeleidigung"

Als Verstärker wird später Marco Buschmann fungieren, Bundesjustizminister und Autor des Buchs "Die sterbliche Seele der Freiheit". "Die Freiheit ist keine Belohnung", wird er sagen, sie gehöre den Bürgern. Doch ziemlich schnell wird deutlich, dass das mit den Überzeugungen auch in der FDP nicht immer so einfach ist. Zum Beispiel in Sachen Ukraine.

Lindner macht sich, was Waffenlieferungen angeht, abermals den Dreisatz des Kanzlers zu eigen: Erstens nur im Gleichklang mit den Alliierten. Zweitens müsse die Landes- und Bündnisverteidigung garantiert bleiben. Und drittens dürfe die Nato nicht Kriegspartei werden. "Die Ukraine benötigt militärische Hilfe und schwere Waffen, damit sie siegreich sein kann", sagt er. Die Kommunikation sei vielleicht noch zu verbessern, aber "gewisse CDU-Narrative und pauschale Kritik" am Kanzler könnten nicht die Sache der Liberalen sein. "Der Bundeskanzler hat das Vertrauen der FDP und auch ihrer Fraktion im Deutschen Bundestag."

Doch nicht alle Liberalen geben sich derart geschmeidig. Das Bild, das viele Vertreter der größten Regierungspartei gerade vor den Augen der Weltöffentlichkeit abgäben, sei "keines, das uns als Koalitionspartner zufriedenstellen kann", sagt etwa Kubicki. "Und manche sagen, auch der entscheidende Führungswille, der fehle derzeit." Ein "deutliches Handeln" des Kanzlers zu fordern, sagt auch Franziska Brandmann, die Chefin der Jungen Liberalen, sei "keine Majestätsbeleidigung".

Und dann ist da noch Marie-Agnes Strack-Zimmermann. Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses mahnt, man müsse dazu beitragen, den Krieg zu beenden "in Tradition von Hans-Dietrich Genscher mit Verhandlungen, aber auch durch Verteidigungswillen und vor allem -fähigkeit". Strack-Zimmermann durfte sich angesprochen fühlen, als Scholz seine Kritiker kürzlich als "Jungs und Mädels" abkanzelte. Beeindruckt hat sie das offenbar nicht. Die Freien Demokraten, ruft sie den Delegierten zu, "werden sich nicht verstecken oder von militärischen Eskalationsszenarien beeinflussen lassen". Das Gebot der Stunde heiße, "der Ukraine schwere Waffen zu liefern" - was der Parteitag später auch so beschließt. Der neu gewählte Generalsekretär Bijan Djir-Sarai zeigt sich am Sonntag stolz, dass sich die Liberalen "so geschlossen und unmissverständlich" an die Seite der Ukraine gestellt hätten.

Lindner für seinen Teil tat das auch mit einem Verweis auf den Bundeshaushalt, mit dem "schweres Gerät sofort verfügbar" gemacht werden könne. Vielleicht ist es einfach sehr deutsch, der Ukraine mit Paragraf 37 Absatz 1 Satz 4 der Bundeshaushaltsordnung helfen zu wollen; mit einer "außerplanmäßigen Ausgabe", in Haushälterkreisen liebevoll "apl." genannt. Dass aber die FDP sich diese Position zu eigen macht, die ja sonst so gerne Pragmatismus predigt, hat einen doch eher rauen Charme.

Das Bild friert ein, der Ton läuft weiter

Während die Ukraine das beherrschende Problem der aktuellen Politik ist, beginnen Lindners persönliche Probleme am Samstag mit der Union. Er kommt noch dazu, CDU und CSU dafür zu kritisieren, dass sie für die Grundgesetzänderung in Sachen Bundeswehr-Sondervermögen nur die absolut notwendige Zahl an Stimmen beisteuern wollen. Danach friert das Bild ein. Der Ton läuft zunächst weiter, doch der Vorsitzende flimmert zunehmend nur noch im Stakkato vom Atlantik herüber. Besonders heftig stottert es beim Stichwort "Schuldenbremse".

Ein paar Schlusssätze sind ihm aber noch vergönnt. "Putin wird diesen Krieg nicht gewinnen", sagt Lindner, als er aus dem Funkloch auftaucht. Erreicht aber habe Putin, "dass die liberalen Demokratien stärker zusammengerückt sind". Aus Lindners Sicht zeigt das, dass Gutes auch aus der Krise heraus entstehen kann - ein geradezu klassisches FDP-Motiv, seit die Partei 2013 aus dem Bundestag flog und nach vier Jahren Trümmerbeseitigung den Wiederaufstieg schaffte. Irgendwann geht jede Quarantäne zu Ende.

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