FDP:Leise Revolte der Sozialliberalen

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Die Niederlage in NRW fordert von der FDP ein Abwenden von ihren Hardcore-Steuersenkern - entgegen einer mächtigen Steuerlobby.

Thorsten Denkler

Die Steuerpartei. Wenn die FDP mit einem Begriff gleichzusetzen ist, dann mit diesem. Einfach, niedrig und gerecht. Wer diese drei Begriffe nicht im Schlaf wie aus der Pistole geschossen aufsagen kann, der hat in der FDP nichts zu suchen.

Die Partei fest im Griff: Guido Westerwelle steht für eine FDP, die das Steuer-Thema zu ihrem Markenkern gemacht hat. Aber es gibt auch andere Flügel in der liberalen Partei. (Foto: Foto: dpa)

Die Partei hat das Steuerthema zu ihrem Markenkern gemacht, seit Jahren begleitet von den immer gleichen Claims: Leistung muss sich lohnen, die Leistungsträger der Gesellschaft müssen belohnt werden, Steuern runter für den Aufschwung. Die Strategie hat lange funktioniert und gipfelte im grandiosen Wahlsieg der FDP am 27. September 2009.

Nach dem Gipfelsturm aber kommt unweigerlich der Abstieg, bei der FDP gar der freie Fall. Seit der Bundestagswahl haben sich die Zustimmungswerte für die FDP quasi halbiert. In Nordrhein-Westfalen hat die FDP ihre Quittung bekommen. Bei der Bundestagswahl erreichten die Liberalen an Rhein und Ruhr noch 14,9 Prozent. Am vergangen Sonntag die harte Landung bei 6,7 Prozent. Im bevölkerungsreichsten Bundesland hat die FDP knapp eine Million Wähler verloren.

In der FDP rumort es seit langem. Offen reden wollte darüber niemand - alles war Friede, Freude, Eierkuchen. Und auch jetzt, wenige Tage nach dem Wahldesaster ist kaum jemand bereit, öffentlich Kritik zu wagen.

Doch es bewegt sich etwas in der FDP.

Vernehmbarer wird vor allem die Kritik an der Kernstrategie der Liberalen: Die FDP soll nicht länger nur eine Steuersenkungspartei sein. Sie muss auch soziale Themen für sich entdecken. Es bahnt sich eine Revolte der Sozialliberalen an.

Noch ist es eine leise Revolte. Noch fehlen die Wortführer. Und die, die sich äußern, wollen noch nicht ihren Namen damit in Verbindung gebracht sehen. Nicht unbedingt aus Angst. Eher aus Sorge, die Kritik könnte als Angriff auf den Bundesvorsitzenden aufgefasst werden.

Westerwelle genießt in der FDP noch immer Halbgottstatus - mehr bewundert als geliebt. Bis zur Bundestagswahl hat er alles richtig gemacht, hat die FDP von Wahlsieg zu Wahlsieg geführt. Die Schlappe in seinem Heimatland Nordrhein-Westfalen ist die erste größere Niederlage, die er zu verantworten hat. Das wird ihm noch verziehen.

Doch auch Westerwelle scheint zu spüren: In der Politik ist niemand unantastbar. Vielleicht hat er deshalb auf dem FDP-Parteitag Mitte April in Köln selten emotional seinen Parteifreunden für die Geschlossenheit der vergangenen Monate gedankt. Vielleicht deshalb hat er in der Bundesvorstandsitzung am Montag offen Fehler eingeräumt. Wenn auch die genaue Fehleranalyse auf eine Klausur des Parteivorstandes kurz vor der Sommerpause verlegt wurde.

Immerhin hat er signalisiert, dass Steuersenkungen gerade massiv an Aktualität verloren haben. "Das hat mich sehr beeindruckt", sagt ein Vorstandsmitglied.

So weiter wie bisher kann es also nicht gehen, das wurde in der Vorstandsitzung klar. Wie es weitergehen soll, ist aber offen. Es mehren sich die Stimmen, dass sich die FDP nicht länger als reine Steuerpartei definieren dürfe. Sie müsse sich breiter aufstellen. Die FDP sei von der Ein-Thema-Partei zur Null-Thema-Partei degradiert worden, sagte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles nach der NRW-Wahl nicht ganz unzutreffend.

Vor allem die Jüngeren in der Parteispitze und Fraktion wollen sich damit nicht zufriedengeben. "Wir sind doch nicht alle Hardcore-Steuersenker", sagte eine von ihnen aus der Fraktion. Eine andere Abgeordnete mit hohem Amt in der Bundestagshierarchie sekundiert: "Der Liberalismus hat viele Wurzeln, auch eine soziale."

Einer der wenigen, die das Dilemma der Partei offen ansprechen, ist der neue Chef der Jungliberalen, Lasse Becker. "Es war falsch, sich nur auf das eine Thema Steuern zu fokussieren", sagt er sueddeutsche.de. Die Partei habe auch noch andere Themen zu bieten, etwa Bürgerrechte und soziale Sicherung.

Die FDP, das sind im Grunde zwei Parteien. Auf der einen Seite die alles dominierende Steuerpartei um Steuerpapst Hermann Otto Solms. Auf der anderen Seite die lange vernachlässigte Bürgerrechtspartei um Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Beide Gruppierungen haben sich lange in einem Zustand offensiver Ignoranz gegenseitig in Ruhe gelassen.

Dieser Waffenstillstand scheint jetzt aufgehoben. In der Süddeutschen Zeitung verkündete die Justizministerin diese Woche, nichts gegen eine Finanztransaktionssteuer zu haben. Die Solms-Jünger dürften nach der Lektüre Schaum vor dem Mund gehabt haben. Der Tabubruch von Leutheusser-Schnarrenberger ist ein weiteres Zeichen dafür, dass das Ergebnis der NRW-Wahl die FDP bis ins Mark getroffen hat.

Einem Appendix gleich gibt es noch eine dritte Gruppe. Das sind die wenigen Sozialpolitiker in der FDP. In der Sozialstaatsdebatte haben sie den Scherbenhaufen zusammenkehren müssen, den Parteichef Westerwelle mit seinen Äußerungen zu spätrömischer Dekadenz und anstrengungslosem Wohlstand hinterlassen hat. Bei der Bundestagswahl haben noch gut eine Million Gewerkschafter und Arbeitslose für die FDP gestimmt. Die waren mit einem Schlag weg.

"Wir sind mit offenen Augen ins Messer gerannt"

Generalsekretär Christian Lindner und die Sozialexperten der Fraktion um Johannes Vogel haben dann ein Sozialstaats-Papier geschrieben, das selbst Sozialdemokraten in Teilen für beachtenswert halten. Es blieb ein Schriftsatz für die Galerie. Auf dem Parteitag der Liberalen in Köln Mitte April wurde es zwar mehrheitlich abgesegnet. Doch was interessiert die Liberalen schon die Sozialpolitik? Im Mittelpunkt stand mal wieder die Steuerdebatte.

Dass damit kein Blumentopf mehr zu gewinnen ist, dürften manche Liberale länger schon geahnt haben. Das Ergebnis vom Wahlabend hat kaum noch jemanden in der Partei überrascht. Genau das aber wirkt auf manche Liberale irritierend. Eine führende Liberale aus Süddeutschland sagt es so: "Das Ergebnis war ja absehbar. Was mich persönlich wundert, ist, dass niemand etwas dagegen unternommen hat. Wir sind mit offenen Augen ins Messer gerannt."

Noch versucht die FDP-Spitze die schlechten Umfragewerte für die Liberalen und auch das niederschmetternde Ergebnis in NRW mit dem "holprigen" Start der schwarz-gelben Bundesregierung zu erklären.

Nur: Die Koalition holpert und stolpert seit nunmehr sechs Monaten vor sich hin. Ein Achtel ihrer Regierungszeit hat sie so bereits vertrödelt. "Das reicht ab jetzt null als Entschuldigung aus", sagt ein führendes Parteimitglied. Die FDP müsse offensiv gegen das Image ankämpfen, die Partei der sozialen Kälte zu sein.

Die Frage ist, ob sich das noch versprengte Häuflein Sozialliberaler gegen die noch immer mächtige Steuerlobby in den eigenen Reihen wird durchsetzen können.

Dass es so wenige sind, hat mit einem Machtwechsel vor bald 30 Jahren zu tun. Als die FDP aus der sozialliberalen Koalition mit der SPD ausstieg und Helmut Kohl zum Kanzler wählte, verabschiedete sich eine ganze Generation von Parteilinken aus der FDP.

Übrig blieben ein paar Bürgerrechtler, Nationalliberale und vor allem die Wirtschaftsliberalen. Letztere haben in den vergangenen Jahren die Partei geprägt. Westerwelle gehörte von Anfang an dem Wirtschaftsflügel der Partei an.

Mit dem Steuerthema hat die Partei Wahl um Wahl gewonnen. Jetzt versuchen die ersten Steuerjünger bereits das Thema zu retten. Die Partei müsse sich stärker auf Steuerstrukturreformen, auf Steuervereinfachungen konzentrieren, sagt ein liberales Regierungsmitglied zu sueddeutsche.de. Um im Nachsatz zu prophezeien, er sei sich sicher, dass das nicht ohne Steuersenkungen gehen werde.

Aus der leisen Revolte der Sozialliberalen muss wohl erst eine sehr laute werden, bevor der Steuertanker FDP ernsthaft den Kurs ändert.

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