FDP: Birgit Homburger:"Es haben alle gewusst"

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Birgit Homburger spricht in ihrem ersten großen Interview als Fraktionschefin der FDP über neue Schuldenrekorde und den Streit mit der Union. Sie verspricht: Die Steuern werden nicht erhöht.

Thorsten Denkler

Die 44-jährige Birgit Homburger kommt aus Baden-Württemberg und gilt als äußerst vielseitig. Nun ist die Liberale Nachfolgerin von Guido Westerwelle als Fraktionschefin.

Sie führt künftig die FDP-Fraktion im Bundestag: Birgit Homburger. (Foto: Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Frau Homburger, Sie sind seit Montag im Amt, die erste Frau auf diesem Posten. Spüren Sie schon den Machtzuwachs, das Mehr an Verantwortung?

Birgit Homburger: Natürlich. Das Amt ist eine große Herausforderung. Es kommt eine große Verantwortung auf einen zu, der man gerecht werden muss.

sueddeutsche.de: Sie treten in die Fußstapfen von Guido Westerwelle, der Sie für das Amt vorgeschlagen hat. Haben Sie keine Sorge, zu abhängig zu sein vom großen Vorsitzenden im Auswärtigen Amt?

Homburger: Überhaupt nicht. Wir werden sehr gut zusammenarbeiten. Unseren Regierungsmitgliedern ist klar, dass wir eine selbstbewusste Parlamentsfraktion sind. Sie wissen, dass die Gesetze im Parlament beschlossen werden und nicht von der Regierung. Darum werden wir sehr genau darauf achten, was uns vorgelegt wird und gegebenenfalls auch die Dinge verändern.

sueddeutsche.de: Was wird dann aus Westerwelle?

Homburger: Guido Westerwelle ist jetzt Außenminister und Vizekanzler der Bundesrepublik Deutschland. Er hat seine Aufgaben. Wir als Fraktion werden alles dafür tun, die Regierung zu unterstützen. Es ist unsere Wunschkoalition. Als FDP-Bundestagsfraktion werden wir vor allem dafür sorgen, dass die liberale Handschrift im Koalitionsvertrag sich auch in der konkreten Arbeit wiederfindet.

sueddeutsche.de: Haben Sie den Eindruck, dass auch Ihr Koalitionspartner Schwarz-Gelb noch als Wunschkonstellation empfindet?

Homburger: Ja. Wir hatten bei den Koalitionsverhandlungen wirklich ein sehr gutes Klima.

sueddeutsche.de: Auf dem kleinen Parteitag der CDU am Montag schimpften nicht wenige auf die neoliberale FDP, die den Sozialstaat vernichten wolle.

Homburger: Na ja, ich würde das nicht überbewerten. Diejenigen, die in der CDU so ticken, die kennen wir. Das beeindruckt mich nicht.

sueddeutsche.de: Aber es könnte ein Hinweis darauf sein, dass nicht alles in Butter ist, nur weil ein Koalitionsvertrag unterschrieben wurde.

Homburger: Wenn ich sage, das ist unsere Wunschkonstellation, heißt das nicht, dass wir in allen Punkten einer Meinung sein müssen. Es wird Phasen geben, in denen wird es auch mal schwierig. Dann muss man die Dinge eben ausdiskutieren. Manchmal hart, manchmal öffentlich, aber immer fair.

sueddeutsche.de: Dann können Sie damit ja jetzt schon mal anfangen. Nach dem, was aus der CDU derzeit zu hören ist, scheint noch nicht festzustehen, dass zum Jahreswechsel die großen Steuersenkungsversprechen umgesetzt werden. Wer hat da was falsch verstanden?

Homburger: In der Debatte werden gerade Steuerstrukturreform und Entlastung der Bürger wild durcheinander gewürfelt. Die Steuerstrukturreform mit Stufentarifen wird natürlich nicht schon zum 1. Januar 2010 kommen können. Dafür braucht es Zeit. Das muss gründlich vorbereitet werden. Das haben wir schon im Wahlkampf immer gesagt. Darum steht im Koalitionsvertrag, die Strukturreform soll "möglichst" zum 1. Januar 2011 in Kraft treten.

sueddeutsche.de: Das hat auch Kanzlerin Merkel jetzt noch bekräftigt. Aber was ist mit den Steuersenkungen?

Homburger: Es wird zum 1. Januar 2010 Steuererleichterungen geben. Das steht explizit und ganz genau im Koalitionsvertrag. Wir werden die Familien besserstellen, die kalte Progression entschärfen, die Unternehmenssteuer und die Erbschaftssteuer reformieren.

sueddeutsche.de: Im Koalitionsvertrag heißt es, alles stünde unter Finanzierungsvorbehalt. Meint Finanzminister Wolfgang Schäuble das, wenn er sich nicht festlegen lassen will auf die massiven Steuersenkungen?

Homburger: Noch mal: Was wir vereinbart haben, wird kommen. Wir haben nicht auf der Basis von Wünschen gearbeitet, sondern auf der Basis einer soliden Berechnung. Wir werden die Menschen zum 1.1.2010 in Summe um 21 Milliarden Euro entlasten. Das ist ein beachtliches Signal.

sueddeutsche.de: Herzlichen Glückwunsch: Schwarz-Gelb wird als die Regierung in den Geschichtsbüchern stehen, die in ihrem ersten Amtsjahr eine Neuverschuldung von alles in allem 90 Milliarden Euro zu verantworten hat.

Homburger: Es war die bisherige Regierung, die uns die Rekordverschuldung mit auf den Weg gegeben hat. Die schwarz-rote Koalition ist es gewesen, die uns nach der größten Steuererhöhung in der Geschichte der Bundesrepublik auch den höchsten Schuldenberg hinterlassen hat.

sueddeutsche.de: Sie packen da jetzt noch mal mindestens 21 Milliarden oben drauf.

Homburger: Nein, wir packen nichts oben drauf. Wir werden konsolidieren. Das ist fest vereinbart. Außerdem wird es einen Selbstfinanzierungseffekt geben.

sueddeutsche.de: Warum steht dann nichts Konkretes zum Thema Sparen im Koalitionsvertrag?

Homburger: Ein Koalitionsvertrag ist kein Haushaltsplan. Aber: Konsolidierung und Entlastungen gehen Hand in Hand. Ich betone nochmals: Der Staat wird nur dann mehr Einnahmen haben, wenn wir wirtschaftliche Dynamik entfachen. Die erreichen wir nicht durch Verzagtheit, nicht durch Herumwurschteln und nicht durch immer neue Ausgabenprogramme.

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sueddeutsche.de: Wie dann?

Birgit Homburger neben Guido Westerwelle, ihrem Vorgänger als Chef der FDP-Fraktion. (Foto: Foto: dpa)

Homburger: Durch Entlastung bei denen, die den Staat tragen. Das ist die Mitte dieser Gesellschaft, die Mittelschicht und der Mittelstand. Diesen Menschen müssen wir helfen, wieder investieren zu können.

sueddeutsche.de: Warum glaubt eigentlich außerhalb der FDP kaum ein namhafter Ökonom an den in Ihrer Partei so beschworenen Selbstfinanzierungseffekt der Steuersenkungen - und zweitens noch weniger daran, dass das alles einen erkennbaren Effekt auf die Konjunktur haben könnte?

Homburger: Erstens trifft das nicht zu. Ökonomen sind unterschiedlicher Meinung. Zweitens ist doch die Frage: Sind wir bereit, ein Aufbruchsignal zu senden, ein Signal der Veränderung? Haben wir den Mut, etwas anzugehen? Wir haben den Mut.

sueddeutsche.de: Hat die Ministerpräsidenten der auch CDU-geführten Länder jetzt der Mut verlassen? Sie wollen offenbar nichts mehr von Steuersenkungen wissen.

Homburger: Den Weg, den wir jetzt gehen, haben diese Ministerpräsidenten in den Koalitionsverhandlungen mit beschlossen. Sie waren einbezogen in die Verhandlungen. Sie haben dem Finanztableau zugestimmt. Drei Parteitage haben den Koalitionsvertrag abgesegnet. Alle einstimmig. Und auch da waren Vertreter der Länder dabei.

sueddeutsche.de: Manchmal kommt die Erleuchtung erst nach Parteitagen.

Homburger: Es soll mir jetzt keiner damit kommen, er hätte jetzt erst kapiert, dass wir eine schwierige Finanzlage haben. Das wussten wir vor der Wahl und das war auch allen während der Verhandlungen bewusst.

sueddeutsche.de: In Deutschland geht jetzt die Angst vor der Kopfpauschale um. In der Krankenversicherung und in der Pflegeversicherung sollen die Versicherten künftig die Mehrbelastungen alleine und über Sonderpauschalen finanzieren. Geht so gerechte Sozialpolitik?

Homburger: Unser Modell war nie die Kopfpauschale. Wir wollen die Finanzierung des Gesundheitswesens auf ein Prämiensystem mit sozialem Ausgleich umstellen. Im Koalitionsvertrag steht auch eindeutig, dass das mit einem sozialen Ausgleich einhergehen wird. Das ist viel gerechter.

sueddeutsche.de: Das heißt: Alle zahlen gleich hohe Prämien. Wer sich die nicht leisten kann, bekommt einen Zuschuss aus Steuergeld. Viele empfinden es aber als nicht gerecht, wenn der Vorgesetzte den gleichen Beitrag zahlen soll, wie man selbst und dann auch noch die Arbeitgeber an den steigenden Gesundheitskosten nicht beteiligt werden.

Homburger: Unser Ziel ist, dass alle eine Krankenversicherung haben und sie sich auch leisten können. Wir wollen auch deshalb mehr Wettbewerb unter den Kassen. Und zwar unter allen Kassen. Darum soll sich jeder bei einer Krankenkasse seiner Wahl versichern können. Die Versicherer werden verpflichtet, die notwendige Grundversorgung ohne Risikozuschläge sicherzustellen. Es bleibt beim Leistungskatalog, den heute die gesetzlichen Krankenversicherungen anbieten.

sueddeutsche.de: Das geht doch heute auch schon. Die gesetzliche Krankenversicherung ist die Grundlage. Private Kassen bieten zusätzliche Versicherungen an. Was ist so neu an Ihrem Vorschlag?

Homburger: Nein. Der Gesundheitsfonds hat den Versicherten die Wahlmöglichkeiten genommen. Der Einheitsbeitrag lässt keinen Vergleich mehr zu. Das Ziel des Gesundheitsfonds war die Einheitskasse. Da müssen wir raus. Wir wollen Wahlmöglichkeiten für alle Versicherten. Sie sollen frei entscheiden können, bei welcher Kasse sie was versichern.

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sueddeutsche.de: Was ist mit der Familienversicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung? Wird die Prämie künftig für jedes Familienmitglied einzeln erhoben?

Homburger: Die Frage ist doch, ob die Familienmitversicherung von der Krankenkasse bezahlt werden muss. Das ist ein sozialer Ausgleich, der über das Steuersystem finanziert werden sollte. Wenn kleine Selbständige oder Handwerker, bei denen ein Elternteil gesetzlich versichert ist, ihre Kinder extra versichern müssen, nur weil sie selbständig sind und die Kinder deshalb nicht in der gesetzlichen Krankenversicherung mitversichert werden können, ist das ungerecht.

sueddeutsche.de: Die Gemeinschaft der Steuerzahler soll also dafür sorgen, dass auch die privat Versicherten mit in der Regel hohen Einkommen in den Genuss einer günstigen Familienversicherung kommen?

Homburger: Hören Sie endlich auf mit den Vorurteilen. Die kleinen Handwerker und Selbständigen verdienen kein Vermögen und haben oft genug zu kämpfen, um Familie und Betrieb und damit auch ihre Arbeitnehmer über Wasser zu halten.

sueddeutsche.de: Die CDU beschwichtigt, jetzt bleibe erst mal alles beim Alten. Nichts werde sich grundsätzlich ändern. Wollen die Christdemokraten vielleicht gar keinen Systemwechsel?

Homburger: Wir werden das System umstellen. So ist es beschlossen. Aber klar ist auch: Das geht nicht von heute auf morgen.

sueddeutsche.de: Wenn der Sozialausgleich über Steuern finanziert werden soll, dann müssen Sie doch zwangsläufig die Steuern an anderer Stelle erhöhen. Oder soll das auch auf Pump gemacht werden?

Homburger: Wir werden die Steuern nicht erhöhen. Dabei bleibt's! Deutschland ist eines der Länder mit den höchsten Ausgaben im Gesundheitswesen. Davon kommt zu wenig beim Patienten an. Es geht zu viel in Bürokratie, zu viel in die Verwaltung der Kassen. Wir werden das System effizienter und kostengünstiger gestalten. Da können wir viel Geld sparen. Nehmen Sie die elektronische Gesundheitskarte. Die verursacht hohe Ausgaben, der Nutzen ist nicht belegt.

sueddeutsche.de: Guido Westerwelle hat alle als "hirnverbrannt" hingestellt, die der FDP jetzt noch soziale Kälte vorhielten. Das sei schon deshalb falsch, weil die FDP mit dem höheren Kindergeld und den höheren Kinderfreibeträgen die Kinderarmut bekämpfe. Stimmt es nicht, dass das Kindergeld voll auf Hartz IV angerechnet wird und dass von den Steuerfreibeträgen Kinder in Hartz-IV-Familien auch nichts haben?

Homburger: Das ist die falsche Debatte. Ein Vergleich zeigt, dass in der Realität Facharbeiter mit Kindern am Ende nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben oft nicht oder nur unwesentlich mehr haben, als Familien, die von Hartz IV leben müssen.

sueddeutsche.de: Hat der Hartz-IV-Empfänger zu viel oder der Arbeitnehmer zu wenig?

Homburger: Den Arbeitnehmern bleibt zu wenig. Ich akzeptiere es nicht, dass politisch immer nur darüber diskutiert wird, ob Hartz-IV-Empfänger mit dem Geld klarkommen können, aber von Berufstätigen mit niedrigem Einkommen stillschweigend erwartet wird, dass sie mit ihren Einkünften ihre Familie durchbringen. Auf beides werden wir achten.

sueddeutsche.de: Westerwelle hat auch die Anhebung des Schonvermögens als Segen für Hartz-IV-Empfänger gelobt. Können Sie sagen, welchen Hartz-Empfänger er gemeint hat?

Homburger: Wir werden das Schonvermögen von 250 Euro auf 750 Euro pro Lebensjahr erhöhen und die selbstgenutzte Immobilie vor dem Zugriff des Staates schützen, weil diejenigen, die freiwillig und unter Verzicht auf anderes für das Alter vorsorgen, nicht bestraft werden dürfen, wenn sie in Hartz IV rutschen.

sueddeutsche.de: Den jetzigen Hartz-IV-Empfängern hilft das kein Stück.

Homburger: Wir können doch nichts dafür, dass Schwarz-Rot und Rot-Grün diese Menschen unfair behandelt haben. Wir können nur dafür sorgen, dass das jetzt abgestellt wird. Wir korrigieren, was die SPD in elf Jahren Regierungszeit nicht gemacht hat.

sueddeutsche.de: Rot-Grün wollte damals ein ebenso hohes Schonvermögen wie Sie jetzt. Es gibt dazu einen Kabinettsbeschluss. Warum haben das damals im Bundesrat auch schwarz-gelbe Landesregierungen verhindert?

Homburger: Das ist eine Verdrehung der Tatsachen. Damals hat Dirk Niebel für die FDP im Vermittlungsverfahren zum entsprechenden Gesetz verhandelt. Er hat für die FDP schon damals die Erhöhung des Schonvermögens gefordert.

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