Wenn Aussage gegen Aussage steht, dann muss in der Regel einer gelogen haben. So hart würde das FDP-Fraktionschef Rainer Brüderle natürlich nicht sagen. De facto aber hat er an diesem Morgen nichts anderes getan. Brüderle besteht darauf: In der letzten und entscheidenden Sitzung des Koalitionsausschusses zum Atomausstieg habe er "nicht vernommen, dass rechtliche Bedenken vorgetragen worden sind".
Er ist der Shootingstar der FDP: Der erst 32 Jahre alte Generalsekretär Christian Lindner.
(Foto: dapd)Jetzt steht seine Aussage gegen die des FDP-Generalsekretärs Christian Lindner. Der hatte am Dienstag öffentlich erklärt: "Wir haben davor gewarnt und hätten für dieses Risiko gerne Vorsorge getroffen. Aber die Bundeskanzlerin und insbesondere der bayerische Ministerpräsident haben dargelegt, dass sie keine rechtlichen Bedenken haben." Deshalb, so Lindners Argument, gingen die möglichen Schadensersatzforderungen der Energiekonzerne auf das politische Konto von Kanzlerin Angela Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer.
Das ist schon starker Tobak, wenn der Generalsekretär einer Regierungspartei zwei Tage nach der entscheidenden Sitzung die gemeinsamen Beschlüsse derart konterkariert. Regelrecht befremdlich aber wirkt es, wenn dann andere FDP-Kollegen, die in der Sitzung dabei waren, einen völlig anderen Eindruck von der Zusammenkunft vermitteln als der eigene Generalsekretär.
Schranken für den Jungstar
Lindner erweckte den Eindruck, die FDP sei in der juristischen Frage geschlossen aufgetreten. Justizminister Sabine Leutheusser-Schnarrenberger aber, von Amtswegen oberste Juristin der Liberalen, erklärt an diesem Mittwoch, das Gesetzespaket sei unbedenklich. Und kurze Zeit später legt Brüderle nach, er habe von solchen Bedenken nichts mitbekommen. So deutlich ist der junge Hoffnungsträger Lindner noch nicht in seine Schranken gewiesen worden.
Es geht um die auch für einige FDP-Frontleute überraschende und schwer zu verdauende Einigung der Kanzlerin mit den Ländern vom vergangenen Freitag. Die hatten sich unisono für einen gestaffelten Ausstieg aus der Atomkraft ausgesprochen. Merkel hat widerstandslos mitgemacht. Für jedes einzelne AKW soll nach diesem Stufenplan ein festes Abschaltdatum festgelegt werden.
Die Energiekonzerne fürchten nun Einnahmeausfälle in Milliardenhöhe, weil ihre gesetzlich festgelegten Reststrommengen so kaum noch vollständig produziert werden könnten. Für sie kommt der schwarz-gelbe Ausstiegsbeschluss damit einer Quasi-Enteignung gleich.
Lindner erweckt jetzt den Eindruck, die FDP-Seite habe im Koalitionsausschuss genau dieses Problem dezidiert angesprochen. Die FDP habe dort darauf hingewiesen, "dass die Klagen der Energiekonzerne nicht chancenlos sind". Doch angeblich hätten weder Merkel noch Seehofer auf die FDP gehört.
Möglicherweise gab es aber gar nichts zu hören, weil die Bedenken gar nicht vorgetragen worden sind. So zumindest lässt sich Brüderle verstehen.