Über das Ziel sind sich alle einig: Deutschland braucht mehr Arbeitskräfte aus dem Ausland. Ob in der Gastronomie, auf dem Bau oder in Kliniken, überall fehlt es an Personal - und die Deutschen allein werden diese Lücke nicht schließen können. Die Bundesregierung will deshalb Ausländer mit einer Chancenkarte zur Jobsuche nach Deutschland einladen. Bevorzugt werden soll dabei, wer in einem Punktesystem bei Ausbildung, Sprache und Erfahrung gut abschneidet, kündigte Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) kürzlich an. Nun aber warnt der Sachverständigenrat für Integration und Migration (SVR) in einem Gutachten: So wie geplant, wird es nicht funktionieren.
Das Problem steckt in einer kleinen Formulierung im Koalitionsvertrag: "Zur Jobsuche" sollen Arbeitskräfte demnach gesteuerten Zugang zum deutschen Arbeitsmarkt erhalten. Allerdings dürfen Fachkräfte, die Deutsch sprechen und ihr Leben im Voraus finanzieren können, schon heute zur Jobsuche nach Deutschland einreisen. Ein entsprechender Aufenthaltstitel zur Arbeitsuche findet sich seit 2012 in Paragraf 20 Aufenthaltsgesetz.
Genutzt wird er kaum. Warum auch? Der Schreiner aus Indien oder der Programmierer aus Belarus kann genauso gut mit einem Touristenvisum kommen, um ein paar Vorstellungsgespräche zu führen. "Einzig und allein für den Bereich der Arbeitsplatzsuche lohnt ein Punktesystem nicht", sagt deshalb die SVR-Vorsitzende Petra Bendel anlässlich der Veröffentlichung des Gutachtens an diesem Donnerstag. "Es müssen also mehr Menschen davon profitieren können, als dies derzeit der Fall ist."
Wenn mehr Leute kommen sollen, müsse man auch mehr einbeziehen
Konkret schlägt der Rat vor, das Punktesystem nicht nur für die Arbeitssuche, sondern für die Einwanderung von Arbeitskräften generell zu nutzen. Gleichzeitig solle die Bundesregierung den Kreis der möglichen Bewerber weiter ziehen als bisher. Denn klar ist: Hochqualifizierten Ausländern steht der deutsche Arbeitsmarkt ohnehin schon seit Langem weit offen. Seit 2020 können zudem auch Menschen einwandern, die eine der deutschen Ausbildung vergleichbare Qualifikation nachweisen können. Wenn noch mehr Leute kommen sollen, müsse man womöglich auch solche einladen, die viel Arbeitserfahrung, aber keine formalen Abschlüsse mitbringen, so der Rat. Der Maler aus Ägypten oder der Bäcker aus Syrien etwa, der seine Arbeit kennt, aber kein Zertifikat vorlegen kann.
In einem Punktesystem könnten neben der Berufserfahrung noch andere Dinge zählen: Sprachkenntnisse oder besondere Bindungen zu Deutschland etwa, ein konkretes Jobangebot, ein vereinbartes oder zu erwartendes Mindestgehalt. Bevorzugt werden könnte zudem, wer eine Arbeit in einem Mangelberuf anstrebt, heißt es in der Stellungnahme. Dass andere als formale Ausbildungsnachweise künftig eine Rolle spielen sollen, hatte auch schon Arbeitsminister Heil angekündigt, allerdings war dies bei ihm noch auf vorübergehende Einreisen zur Jobsuche beschränkt.
Einwandern auch ohne formalen Abschluss? Bislang ist das nur Menschen aus den Westbalkanstaaten erlaubt. Für sie gilt eine Sonderregel: Kommen darf jeder, der ein Jobangebot vorlegen kann. Dieses Schlupfloch in den deutschen Arbeitsmarkt gilt als erfolgreich, es birgt jedoch auch Risiken. Wer keine anerkannte Ausbildung hat, steigt in der Regel schwerer im Job auf, wechselt nicht so leicht den Arbeitgeber, ist somit abhängiger. Auch auf diese Risiken weist der Sachverständigenrat hin.