Fachkräfte:Der Mangel bedroht den Wohlstand

Fachkräfte: Pflegekräfte werden besonders dringend gesucht.

Pflegekräfte werden besonders dringend gesucht.

(Foto: Oliver Berg/picture alliance)

Fehlendes Personal wird zu einem Problem für Deutschland. Viele Firmen fürchten um ihre Wettbewerbsfähigkeit. Eine Lösung wäre: mehr Zuwanderung.

Von Elisabeth Dostert

Im Grunde spürt ihn jeder jeden Tag. Aus dem neuen Bad wird leider dieses Jahr nichts mehr, der Handwerker hat erst 2023 wieder einen Termin frei. Eine Wärmepumpe wäre jetzt schön, wo die Preise für Öl und Gas steigen. Fehlanzeige. Es fehlen Menschen, die das Gerät herstellen und solche, die das Ding dann daheim einbauen. Das neue Auto wird erst im April 2023 geliefert, wenn's gut läuft. Die Ausbildungsplätze zum Krankenpfleger konnten wieder nicht alle besetzt werden. Dabei sind Azubis doch überall der Nachschub für die Babyboomer, die in den nächsten Jahren in Rente gehen.

Überall fehlen Fachkräfte. Die Klagen der Unternehmen und ihrer Lobbyisten werden immer lauter. Es vergeht kaum eine Woche, in der nicht ein Verband oder ein Institut eine neue Studie über das Ausmaß des Mangels veröffentlicht. Der Arbeitsmarkt für Ingenieure erreicht im zweiten Quartal 2022 mit 171 300 offenen Stellen einen neuen Rekordwert, meldet der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) am Freitag. Dies sei ein Zuwachs um 46,2 Prozent im Vergleich zum Vorjahresquartal, heißt es im Ingenieurmonitor, den der VDI gemeinsam mit dem Institut der deutschen Wirtschaft herausgibt.

Fachkräfte: SZ-Grafik; Jahresmonitor 2022, Stiftung Familienunternehmen, Berechnungen des ifo Instituts

SZ-Grafik; Jahresmonitor 2022, Stiftung Familienunternehmen, Berechnungen des ifo Instituts

Der Fachkräftemangel bringe die deutschen Unternehmen in immer größere Bedrängnis, heißt es in einer Umfrage des Ifo Instituts im Auftrag der Stiftung Familienunternehmen. 87 Prozent der für ihren Jahresmonitor 2022 befragten Firmen gaben an, die Auswirkungen des Fachkräftemangels zu spüren. Mehr als ein Drittel sieht darin eine Gefahr für ihre Wettbewerbsfähigkeit. Der Mangel an qualifizierten und an Mitarbeitern überhaupt sei neben Rohstoff- und Energieknappheit "die dritte Bedrohung" für den Standort Deutschland, wird Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen, in einer Mitteilung zitiert. Die Umfrage zeige, dass Familienunternehmen und Nicht-Familienunternehmen gleich betroffen sind.

Es dauert sehr lang, neue Stellen zu besetzen

Für den Monitor wurden 1742 Firmen befragt, davon waren etwa drei Viertel Familienunternehmen. Der Fachkräftemangel beschränke sich nicht auf einzelne Branchen oder Regionen, so eines der Ergebnisse. Es handele sich um ein "flächendeckendes Problem, das nahezu alle Wirtschaftsbereiche" betreffe. Der Aufwand, neue Fachkräfte zu gewinnen, sei für die Unternehmen massiv gestiegen. Mehr als 80 Prozent bezeichneten den Aufwand, offene Stellen zu besetzen als hoch oder sehr hoch. Die Rekrutierung zöge sich zum Teil "sehr in die Länge". Dies mindere die Flexibilität der Firmen erheblich, wenn es zum Beispiel darum gehe, zeitnah auf neue Aufträge mit der Einstellung von zusätzlichem Personal zu reagieren, heißt es im Monitor.

Die Autoren unterfüttern die Ergebnisse der repräsentativen Umfrage mit Erkenntnissen anderer Studien. Im zweiten Quartal 2022 gab es bundesweit 1,93 Millionen offene Stellen, so viele wie noch nie, meldete das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Laut Bundesagentur für Arbeit lag die durchschnittliche Vakanz, also die Zeit von der Ausschreibung einer offenen Stelle bis zur Besetzung, im Juni 2022 über alle Berufe hinweg im Schnitt bei 136 Tagen. In den vergangenen elf Jahren habe sich die Vakanzzeit mehr als verdoppelt. In einigen Berufen sei sie deutlich höher. In vielen handwerklichen Berufen oder Pflegeberufen dauere es im Schnitt mehr als ein halbes Jahr, eine neue Stelle zu besetzen. Fast alle Befragten des Monitors berichten über höhere oder stark gestiegene Personalkosten und eine zunehmende Arbeitsbelastung für die Belegschaft.

Der Arbeitskräftemangel sei absehbar gewesen, wird die Unternehmerin Angelique Renkhoff-Mücke in der Mitteilung zitiert: "Leider fällt es vor allem der Politik schwer, geeignete Gegenmaßnahmen zu ergreifen." Die Stiftung wäre keine Lobby, wenn sie die im Jahresmonitor gewonnenen Erkenntnisse nicht mit Forderungen an die Politik verknüpfte. Die Attraktivität der dualen Ausbildung müsse erhöht werden. Außerdem bedürfe es einer Strategie, um die Zuwanderung von Fachkräften gezielt zu steuern. Dazu gehöre auch die Identifizierung von Drittstaaten außerhalb der EU, aus denen Fachkräfte angeworben werden könnten. Außerdem müssten umfangreiche Anreize für die Migration in den deutschen Arbeitsmarkt geschaffen werden. Ältere Menschen, so der Wunsch der Firmen, sollten länger arbeiten können, nicht berufstätige Frauen Anreize erhalten, eine bezahlte Beschäftigung aufzunehmen.

Auch die Firmen tun etwas, das zeigt die Umfrage. Sie sorgen für eine Weiterbildung ihrer Mitarbeiter und flexibilisieren die Arbeitszeitmodelle. Knapp 17 Prozent der Befragten bieten zwar dauerhafte Home-Office-Stellen. Aber: Eine deutliche Mehrheit, gut 68 Prozent, plant das nicht.

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