Prozess:„Vereinte Patrioten“: Erklärungen von Angeklagten

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Ein mutmaßliches Mitglied der Terrorgruppe „Vereinte Patrioten“ steht im Verhandlungssaal zwischen seinen Anwälten. (Foto: Thomas Frey/dpa POOL/dpa)

Tag zwei des Prozesses gegen die mutmaßliche Terrorgruppe der „Vereinten Patrioten“ steht im Zeichen von Erklärungen der Angeklagten - die einen kürzer, die anderen länger. Sie geben sie Einblick in die Gedankenwelt einiger Beschuldigter.

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Koblenz (dpa) – Mit Erklärungen mehrerer Angeklagter ist vor dem Oberlandesgericht (OLG) Koblenz der Prozess gegen die mutmaßliche Terrorgruppe „Vereinte Patrioten“ weitergegangen. Eine frühere Mainzer Lehrerin, die die Bundesanwaltschaft für die „politische Vordenkerin“ der Gruppe hält, wies die Vorwürfe in einer von ihrem Anwalt verlesenen Erklärung von sich.

Den insgesamt fünf Angeklagten - vier Männer im Alter zwischen 44 und 56 Jahren und die 75-jährige frühere Lehrerin, wird vorgeworfen, eine inländische terroristische Vereinigung gegründet zu haben oder darin Mitglied gewesen zu sein. Die Gruppe soll einen Umsturz geplant haben und wollte laut Anklage Chaos durch einen großflächigen Stromausfall verursachen. Die fünf wurden 2022 festgenommen, Auslöser war ein geplanter Waffenkauf bei einem verdeckten Ermittler.

Der Anwalt eines Angeklagten aus dem bayerischen Kreis Landshut verwies in einem verlesenen Statement darauf, dass es bei all den „großen Tönen“ von Hochverrat und terroristischer Vereinigung in der Anklage am Ende um individuelle Schuld einzelner Angeklagter gehe. Für den aus Brandenburg kommenden Sven Birkmann war einer von seinem Verteidiger vorgelesenen Erklärung zufolge war vor allem die Corona-Politik in Deutschland ausschlaggebend für sein Handeln.

Er habe die nach seiner Ansicht drohende „Zwangsimpfung“ der gesamten Bevölkerung als Angriff auf seine körperliche Unversehrtheit betrachtet, hieß es in der Erklärung des 55-jährigen gelernten Bankkaufmanns und Vaters eines Sohnes. Später habe er selbst als Ungeimpfter Diskriminierung erfahren. Ab Oktober 2020 sei er zunehmend der Ansicht gewesen, dass die Bundesrepublik kein demokratischer Bundesstaat mehr sei. „Er wollte Aktionen planen“, las der Anwalt weiter vor.

Es sei ihm nicht darum gegangen, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beseitigen, sondern sie wiederherzustellen. Die Pläne der vor Gericht stehenden Gruppe seien zum Zeitpunkt der Festnahmen aber noch nicht ausgereift gewesen. Es sei noch nicht zum Hochverrat gekommen, es sei noch keine terroristische Vereinigung gegründet worden. Weiter hieß es in der Erklärung, er sei kein AfD-Sympathisant, sei nie rechts gewesen und sei das bis heute nicht. Um die Jahrhundertwende sei er kurzfristig Mitglied in der FDP gewesen. 

Die Anklage sieht Birkmann als einen der Rädelsführer der Gruppe und ordnet ihn deren militärischem Zweig zu. Laut Bundesanwaltschaft soll der Mann federführend bei dem geplanten Vorhaben gewesen sein, Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zu entführen. 

In der kurz gefassten und von ihrem Anwalt verlesenen Erklärung der Lehrerin hieß es gleich zu Beginn: „Die erhobenen Vorwürfe sind falsch.“  Sie habe letztlich ihre Verhaftung provoziert, um nun in dem Prozess ein Forum dafür zu haben, das Wissen der Bevölkerung auf den Kopf zu stellen. Ihr war aufgrund ihres „Reichsbürger“-Gedankenguts das Ruhegehalt aberkannt worden, wogegen sie sich vergeblich juristisch zur Wehr setzte.

Am ersten Prozesstag war sie noch auf Socken und Zehenspitzen, von zwei Justizwachtmeisterinnen gestützt, in den Saal gekommen, hatte große Teile der Verhandlung mit dem Kopf auf ihrem Arm liegend verbracht. Am Mittwoch erschien sie mit Schuhen, Jacke und Schal, ging sicheren Gangs zu ihrem Platz – und hatte mehrere Bücher dabei mit reichlich Lesezeichen. 

An die von Birkmanns Anwalt verlesene Erklärung schloss sich über mehrere Stunden eine von dem 55-Jährigen selbst vorgetragene  Erklärung an. Darin beschrieb er sich als Atheist und betonte: „Ich bin kein Reichsbürger.“ Er sei ein Russland-Freund, las er weiter vor - und ergänzte mit Blick auf die angeklagte Gruppe: „Niemand von uns – mich eingeschlossen – wollte den Kaiser zurück.“

Birkmanns Erklärung ging auf seine Jugend zu DDR-Zeiten ein, auf eine Zeit, als er in Russland arbeitete, auf seine Ausbildung als Bankkaufmann, seine Tätigkeit als freiberuflicher Dozent, auf Besuche bei der Loveparade in Berlin in den 1990er Jahren, die er als Zeit der Freiheit empfunden habe. Der Angeklagte kritisierte die US-Außenpolitik, ungerechte Vermögensverteilung in Deutschland und warf Politikern Selbstbereicherung und Dekadenz vor.  

Am ersten Prozesstag hatte er noch vor Beginn der Verhandlung einen Zettel auf einem Aktenordner hochgehalten. Darauf stand in kyrillischer Schrift: „Mit unserem Bruder. Für Frieden und Freundschaft. Krieg gegen den Faschismus.“ Dazu war eine blaue Taube und ein rotes Herz gemalt. Die Vorsitzende Richterin, Anne Kerber, fragte ihn nun, was es damit auf sich gehabt habe. Birkmann sagte, er habe damit aussagen wollen, dass er wie viele andere Frieden möchte. In dem Prozess geht es am Donnerstag (25. Mai, ab 9 Uhr) weiter mit der Forstsetzung seiner Erklärung.

© dpa-infocom, dpa:230524-99-808778/4

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