Der Präsident ließ keinen Hauch eines Zweifels aufkommen. "Ärztliches Handeln darf nie mit dem Ziel übereinstimmen, ein Leben zu beenden", erklärte Hans-Joachim Sewering. Ein Kranker dürfe nicht Sorge haben, "dass der Arzt eines Tages mit der Spritze an sein Bett tritt, um den Patienten umzubringen," postulierte laut Spiegel der damalige Chef der Bundesärztekammer auf dem Bayerischen Ärztetag 1977.
Mehr als 30 Jahre später meldet das Hamburger Magazin: "Internisten-Verband verleiht Nazi-Arzt höchste Ehrung". Der Berufsverband Deutscher Internisten (BDI) habe einen Mediziner ausgezeichnet, der von 1942 an in das sogenannte Euthanasie-Programm involviert gewesen sei, bei dem behinderte Kinder umgebracht wurden. Der Name des Arztes: Hans-Joachim Sewering.
Neu ist die Causa nicht: Schon seit Jahren wird dem inzwischen 92-Jährigen vorgeworfen, er habe beim perversen "Ausmerzen" (Nazi-Jargon) des aus NS-Sicht "unwerten Lebens" mitgeholfen - seine Jugend-Vita verstärkt den Eindruck. Im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung wehrt sich der Arzt gegen die Vorwürfe.
Sewering erinnert sich an den 30. Januar 1933 - den Tag, an dem Adolf Hitler an die Macht kommt. Hans-Joachim Sewering hat Geburtstag, er wird 17 Jahre alt. Und bald begeistert sich der Gymnasialschüler für die "nationale Bewegung" - so wie später "die jungen Leute für Rockkonzerte", sagt er heute: "Wir sind einfach der Propaganda zum Opfer gefallen."
Eine Karriere beginnt. Noch 1933 tritt Sewering in die SS ein, ein Jahr später wird er Mitglied der NSDAP. Der Heranwachsende entscheidet sich für ein Medizinstudium. Nach dem Krieg lässt sich Sewering in Dachau im Norden von München nieder, tritt in die CSU ein und wird als Ärztefunktionär tätig - der Grundstock eines steilen Aufstiegs. Der umtriebige Internist sammelt Ämter und Mandate an (1973 summieren sie sich auf 26) und bringt es schließlich zum Präsidenten der Bundesärztekammer. Auch auf dem Gesundheitsforum der Süddeutschen Zeitung tritt der Jagdliebhaber bis in die neunziger Jahre regelmäßig auf.
Sewering habe sich "wie kaum ein anderer um die Freiheit des ärztlichen Berufsstandes" verdient gemacht, lobt Internisten-Präsident Wolfgang Wesiack. Deshalb verlieh ihm der Verband die Günther-Budelmann-Medaille, die höchste Auszeichnung der Internisten. Die Ehrung fand nach SZ-Informationen bereits am 30. März am Rande des Internistenkongresses in Wiesbaden statt.
Verhinderter Aufstieg zum Chef des Weltverbandes
"Er hat eine Menge für die deutsche Ärzteschaft nach dem Krieg getan", erklärt Michael Roelen im Gespräch mit der SZ "Aber die Mediziner waren ja im Dritten Reich fast alle in der NSDAP - und nach dem Krieg reaktionär bis in die Spitzen."
Der frühere Geschäftsführer der Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung (IPPNW) hat Anteil an der Kampagne, die sich Anfgang der neunziger Jahre gegen Sewering richtet. Damals laufen auch der Jüdische Weltkongress und die American Medical Association Sturm gegen Sewerings anstehende Wahl zum Präsidenten des Weltärztebundes. Die US-Regierung setzt ihn sogar auf die watch list. Er darf nicht in die Vereinigten Staaten einreisen, wie weiland der österreichische Bundespräsident Kurt Waldheim.
Sewering verzichtet 1993 schießlich auf den Posten als Chef des Weltverbandes - was ausdrücklich nicht als "Schuldanerkenntnis" (der damalige Ärztepräsident Karsten Vilmar zur SZ) gelten soll.