Europäischer Gerichtshof:Das Begehen einer Straftat allein reicht nicht aus

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Der Europäische Gerichtshof muss über drei Fälle aus Österreich, Belgien und den Niederlanden entscheiden. (Foto: imago stock&people/imago stock&people)

Macht sich ein Asylberechtigter strafbar, darf ihm als Konsequenz nicht automatisch der Flüchtlingsstatus aberkannt werden, urteilt der EuGH. Unter bestimmen Voraussetzungen soll es aber möglich sein.

Von Julia Hippert

Kann einem Asylberechtigten sein Status aberkannt werden, wenn er oder sie eine schwere Straftat begeht? Darüber hatte der Europäische Gerichtshof (EuGH) an diesem Donnerstag zu entscheiden. Die Antwort der Richter: das Begehen einer Straftat allein reicht nicht aus. Die Straftat müsse eine "außerordentliche Schwere" aufweisen, die am stärksten gegen die Rechtsordnung der betreffenden Gesellschaft verstoße. Für die Schwere der Schuld reiche es nicht, dass ein Straftäter mehrere weniger schwere Straftaten begangen habe.

Als zweites Kriterium für die Aberkennung des Asylstatus' nennt der EuGH, dass der Asylberechtigte durch seine schwere Straftat "eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr" für die Allgemeinheit darstellen müsse. Die Richter mahnten dabei an, dass hierbei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren sei. Eine Gefahr für die Allgemeinheit bestehe nicht schon allein deswegen, weil der Asylberechtigte eine besonders schwere Straftat begangen habe und wegen dieser rechtskräftig verurteilt wurde.

Sind beide Voraussetzungen erfüllt - ist der Asylberechtigte für eine schwere Straftat verurteilt worden und geht von ihm eine "tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr" für die Allgemeinheit aus - so kann dem Drittstaatsangehörigen der Asylstatus entzogen werden. Hiervon müsse jedoch nicht verpflichtet Gebrauch gemacht werden, argumentieren die Richter des EuGH.

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Konkret ging es bei dem Verfahren um drei Fälle aus Österreich, Belgien und den Niederlanden. Im Fall aus Österreich hatte der österreichische Verwaltungsgerichtshof den EuGH angerufen, da sich während eines Verfahren Fragen zur Auslegung oder der Gültigkeit von EU-Recht stellten. Das Bundesamt für Fremdwesen und Asyl (BFA) hatte einem aus Syrien stammenden Mann Asyl in Österreich gewährt. Der Mann beging eine Straftat, in der Folge ihm das BFA den Status des Asylberechtigten wieder aberkannte und eine Rückkehrentscheidung erließ. Eine Rückkehr nach Syrien schloss das BFA aber aus, da "jene Gründe, die zur Zuerkennung von Asyl geführt hatten, immer noch gegeben seien."

Das österreichische Bundesverwaltungsgericht (BVwG) hob im Anschluss den Bescheid des BFA auf. Die Richter argumentierten, dass der Mann zwar eine schwere Straftat begangen habe und rechtskräftig verurteilt worden sei. Auch stimmte das Gericht dem BFA in der Einschätzung zu, dass der Mann eine Gefahr für die Allgemeinheit darstelle. Allerdings, so das Gericht, müsse eine Güterabwägung vorgenommen werden, "bei der die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung den Interessen des Schutzberechtigten am Weiterbestehen des Schutzes durch den Zufluchtsstaat gegenübergestellt werden müssten." Da dem Mann bei seiner Rückführung die gleichen Gefahren drohen würden, die zu einer Erteilung des Asylstatus' geführt hatten, urteilte das BVwG, dass dem Mann der Asylstatus nicht aberkannt werden dürfe.

Sind Rückführungsentscheidungen ohne die Absicht, sie durchzusetzen, zulässig?

Der österreichische Verwaltungsgerichtshof musste sich deshalb mit der Frage beschäftigen, ob dem Asylberechtigten, wenn er eine schwere Straftat begangen hat, der Status als solcher aberkannt werden kann - ungeachtet dessen, ob die zuständige Behörde tatsächlich eine Rückführung erwägt, oder wie im vorliegenden Fall, ausgesetzt hat.

In einer weiteren Frage sollte deshalb geklärt werden, was unter einer "wirksamen Rückkehrentscheidung" zu verstehen ist. In früheren Entscheidungen hatte der EuGH geurteilt, dass eine solche Rückkehrentscheidung nur zulässig ist, wenn ein Mitgliedsstaat auch tatsächlich beabsichtigt den Drittstaatsangehörigen innerhalb kürzester Frist tatsächlich abzuschieben. Das Vorgehen im vorliegenden Fall - bei dem einem vormalig Asylberechtigten der Status aberkannt wurde, ohne, dass die ausgesprochene Rückführung vorgenommen werden sollte - sei nach der Lesart des Gerichts also unzulässig.

Der EuGH urteilte nun, dass die zuständige Behörde nicht verpflichtet sei, die Gefahren zu berücksichtigen, denen der Drittstaatsangehörige bei einer Rückkehr in sein Herkunftsland eventuell ausgesetzt wäre.

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