Europäische Union:EU-Gipfel der unlösbaren Aufgaben

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Schwierige Zeiten für Juncker, Merkel und Hollande: Die EU steht vor großen Problemen und blickt ohnmächtig auf Krisen und Kriege. (Foto: REUTERS)

Ceta-Fiasko, Ukraine-Abkommen in Gefahr, Brexit. Die Staats- und Regierungschefs der EU wollen zeigen, dass Europa trotzdem handlungsfähig ist - und drohen Russland im Syrien-Streit mit weiteren Sanktionen.

Von Daniel Brössler und Thomas Kirchner, Brüssel

Die Europäische Union steht von vielen Seiten unter Druck. Jahrelang wurde über ein Freihandelsabkommen mit Kanada verhandelt, nun könnte die kleine Wallonie es zu Fall bringen. Ohnmächtig blickt die EU auf Krisen und Kriege wie in der Ukraine und Syrien. Überdies steht der Austritt Großbritanniens vor der Tür. Beim Gipfel an diesem Donnerstag und Freitag will die EU zeigen, dass sie dennoch handlungsfähig ist.

Ceta

Das Thema Ceta hat in einer Weise an Dynamik und Widerborstigkeit gewonnen, die selbst altgediente Europäer schwindelig machen kann. Gut möglich, dass die EU auf ein Desaster zusteuert, an dem auch der volle Gipfel-Einsatz der Staats- und Regierungschefs nichts ändern wird. Die Wallonie hält an ihrem Kurs gegen das EU-Freihandelsabkommen mit Kanada fest und will sich auch von einem De-facto-Ultimatum der EU nicht umstimmen lassen. "Ja, ich bleibe bei meinem Nein zu Ceta, auch wenn das politische Konsequenzen haben wird", bekräftigte Paul Magnette, der Ministerpräsident der südbelgischen Region, im belgischen Radio.

Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass in dieser Woche keine Lösung gefunden werden kann. Das müsste aber geschehen, um im Zeitplan zu bleiben. Spätestens am Montag müssten die EU-Handelsminister ihre am Dienstag wegen der belgischen Bedenken verschobenen Unterschriften nachholen, damit das Abkommen wie vorgesehen am Donnerstag zusammen mit Kanadas Premier Justin Trudeau feierlich unterzeichnet werden kann. Dafür brauchen die Minister ein positives Signal vom Gipfel - das es nicht geben wird.

Die EU-Kommission hatte eine endgültige Entscheidung bis Freitagabend in Aussicht gestellt. Auch Rumänien und Bulgaren melden noch Vorbehalte an, sie fordern von Kanada Visafreiheit für ihre Bürger. Dieses Problem ist nach Ansicht von Diplomaten aber lösbar, im Gegensatz zum belgischen. Man habe Handelskommissarin Cecilia Malmström "schon vor einem Jahr" mitgeteilt, dass die Wallonie noch Probleme mit dem Abkommen habe, sagte Magnette. "Bis 4. Oktober ist nichts geschehen. Erst jetzt fangen sie an, unsere Forderungen zu akzeptieren." Magnette besteht auf mehr rechtlicher Verbindlichkeit für die Zusatzerklärung zu Ceta sowie grundsätzlich auf neuen Verhandlungen. Das alles lasse sich nicht bis Freitagabend klären, sondern werde "einige Wochen" dauern.

Und jetzt? "Nun müssen wir Trudeau wohl das Flugticket erstatten", flüchtete sich ein EU-Diplomat in Galgenhumor. In Wahrheit wird es wohl so ausgehen: Die Unterzeichnung wird verschoben, die EU entschuldigt sich und äußert ihr Bedauern. Es folgen Wochen des Hickhacks: erst Verhandlungen mit den belgischen Widerständlern, anschließend möglicherweise Neuverhandlungen mit Kanada. Dass Ceta am Ende von allen Staaten ratifiziert wird, wäre auch dann noch lange nicht sicher.

Niederlande und Ukraine

Es gibt noch ein eigentlich unlösbares Problem, das die Gipfelteilnehmer beschäftigen wird. Was wird aus dem EU-Assoziierungsabkommen mit der Ukraine, dessen Ratifizierung die Niederländer im April per Referendum abgelehnt hatten? Zwar sind Teile provisorisch in Kraft, für den Rest braucht es aber die Zustimmung aller.

Premier Mark Rutte, der für das Abkommen eintritt, hatte zunächst auf Zeit gespielt und versprochen, auf europäischer Ebene eine Lösung zu finden. Weit ist er damit nicht gekommen, merkt aber inzwischen, dass er das Thema angesichts der im März bevorstehenden Wahl in seinem Land möglichst bald vom Hals haben sollte. Und sein Parlament fordert bis ersten November eine Information von ihm.

Laut Medienberichten wird er am Donnerstagabend vorschlagen, den Niederlanden eine Art "opt-out" für den "militärischen Teil" des Abkommens zu gewähren. In den betreffenden Passagen geht es darum, die Ukraine stärker an zivilen und militärischen Kriseneinsätzen zu beteiligen und eine engere Kooperation bei der Verteidigungstechnik zu erwägen. Bei Ruttes Kollegen wird das wenig Freude auslösen. "Damit fangen wir gar nicht erst an. Das wäre das falsche Signal", wird ein EU-Diplomat zitiert. In Brüssel sähe man lieber eine Art schriftliche Versicherung, dass das Abkommen keinen ersten Schritt in Richtung EU-Mitgliedschaft darstellt. Fraglich ist, ob das Rutte zu Hause in Den Haag reicht.

Russland

Es fügt sich, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident François Hollande die anderen Gipfelteilnehmer nach ihrem Berliner Ukraine-Treffen mit frischen Eindrücken von Wladimir Putin versorgen können. Schon lange nämlich ist für diesen EU-Gipfel die fällige grundsätzliche Diskussion über das Verhältnis zu Russland geplant. "Es geht darum, sich unseren umfassenden, langfristigen Beziehungen zu diesem wichtigen Nachbarn zu widmen", schrieb EU-Ratspräsident Donald Tusk in seiner Einladung an die Staats- und Regierungschefs.

Man kann es deutlicher sagen: "Seit dem Fall der Mauer über die EU-Erweiterung bis vor Kurzem ist Europa von der Prämisse ausgegangen, dass Russland so etwas ist, sein könnte oder sein soll wie ein strategischer Partner. Wir leben aber in einer Zeit, in der immer klarer wird, dass Russland ein strategisches Problem ist", formuliert es ein EU-Botschafter aus Mitteleuropa.

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Die Frage ist, ob dieses strategische Problem gelöst werden kann. Seit der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland und dem Beginn des Krieges im Donbass ist es der EU mühsam gelungen, eine einheitliche Haltung gegenüber Moskau zu wahren. Zu ihr gehören Gesprächsbereitschaft einerseits und die Sanktionen, die vor allem den russischen Finanzsektor treffen, andererseits. Jede neue Verlängerungsrunde gerät für die Union aber zum Kraftakt. Eine Reihe von Staaten zweifelt den Sinn der Sanktionen an und bringt immer wieder deren Aufweichung oder Aufhebung ins Gespräch. Wortführer dieser Gruppe, zu der Länder wie Griechenland und die Slowakei gehören, ist der italienische Ministerpräsident Matteo Renzi.

Genau ihm will Tusk mit der zum Abendessen angesetzten Russland-Debatte entgegenkommen. Bevor im Dezember wieder die Verlängerung der Sanktionen ansteht, soll Gelegenheit sein, grundsätzlich zu sprechen. Dabei soll es auch darum gehen, in welchen Bereichen mit Moskau zusammengearbeitet werden kann. Tusk hatte sich ursprünglich vorgestellt, dass Syrien so ein Bereich sein könnte. Angesichts der russischen Bombardements und des Leidens der Menschen in Aleppo könnte es aber auch hier am Ende wieder um Sanktionen gehen.

Diese Option liege auf dem Tisch und werde dort auch nach dem Gipfel noch liegen, hieß es aus Berliner Regierungskreisen. Dies bestätigte sich dann auch am frühen Donnerstagmorgen. In einer Beschlussvorlage des Gipfels wird gewarnt: "Die EU zieht alle Optionen in Erwägung, sollten die Gräuel andauern. Einschließlich weiterer Sanktionen gegen Einzelpersonen und Entitäten, die das syrische Regime unterstützen." Dies könnte auch auf Russland gemünzt sein.

Konkrete Beschlüsse zu Russland sollen aber nicht gefasst werden, um der Debatte freien Lauf zu lassen. Die Staats- und Regierungschefs riskieren damit allerdings den Eindruck, dass es eine strategische Diskussion gab, aber eine Strategie nach wie vor fehlt.

Migration

Das Abkommen mit der Türkei wird in Brüssel inzwischen definitiv als Erfolg angesehen. Die stark gesunkene Zahl der in Griechenland ankommenden Flüchtlinge spreche für sich, sagen Diplomaten. Nun will sich die EU der Route im zentralen Mittelmeer widmen und weitere Abkommen mit Herkunfts- und Transitländern schließen. Sie sollen belohnt werden, wenn sie Flüchtlinge zurücknehmen oder gar nicht erst ausreisen lassen. Man müsse "den nötigen Hebel schaffen und anwenden", heißt es in den Schlussfolgerungen.

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Ratspräsident Tusk wird der britischen Premierministerin Theresa May im informellen Teil des Gipfels das Wort erteilen. Sie will den Stand der Vorbereitungen für das offizielle Austrittsgesuch schildern, das sie bis Ende März einzureichen gedenkt. Erst nach dieser Mitteilung soll verhandelt werden. Auch deshalb ist für diesen Gipfel keine Diskussion geplant, ausgeschlossen ist sie aber nicht. Seit May ihre Präferenz für einen "harten" Brexit bekundet hat, ist die Stimmung noch gereizter als zuvor. Die Alternative zu einem harten Brexit sei gar kein Brexit, sagte Tusk kürzlich.

© SZ vom 20.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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