Europa:Jean-Claude Juncker ist in Europa zur Reizfigur geworden

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Dass EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker (r.) jovial mit dem britischen EU-Gegner Nigel Farage umgeht, wirkt auf viele Betrachter befremdlich. (Foto: John Thys/AFP)

Nicht nur in Großbritannien wächst der Unmut gegen den EU-Kommissionschef. Juncker muss sich ständig rechtfertigen - und zeigt Nerven.

Porträt von Daniel Brössler, Bratislava

Die Woche war Mist, aber sie scheint nett auszuklingen. In der prächtigen Redoute von Bratislava sitzt Jean-Claude Juncker neben Robert Fico. Der Ministerpräsident der Slowakei beginnt mit einer "persönlichen Bemerkung". Er wolle dem Präsidenten der EU-Kommission nicht nur danken "für die ausgezeichnete Zusammenarbeit und Freundschaft", sondern "auch für die Unterstützung, die wir als Slowakische Republik durch ihn stets gespürt haben". Juncker nickt zufrieden. Das lässt sich gut an.

Auf der europäischen Bühne wird gegeben: verkehrte Welt. Da steht in Bratislava ein Ministerpräsident, der noch vor ein paar Monaten Juncker und andere mächtige Europäer gegen sich aufgebracht hat mit seiner Klage gegen die Verteilung von Flüchtlingen per Quote und seiner Parole, wonach Muslime in der Slowakei keinen Platz hätten. Und nun - gefeiert wird der Beginn der halbjährigen slowakischen EU-Präsidentschaft - sitzt dieser Mann neben ihm und Juncker muss froh sein, dass er von ihm gelobt wird.

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Man hatte ursprünglich gedacht, dass die Präsidentschaft schwierig werden könnte für den Slowaken, dass ihm die Aufmerksamkeit der europäischen Öffentlichkeit zusetzen könnte. Nun aber ist es Juncker, auf den alle schauen an diesem heißen Tag in Bratislava. Wie hält er sich? Wirkt er angeschlagen?

Er lasse sich von der Kritik der Medien nicht entmutigen, giftet Juncker

Zwei Tage zuvor bei der Abschluss-Pressekonferenz des EU-Gipfels in Brüssel hatte Juncker Nerven gezeigt. Ob es nicht ein "PR-technischer Suizid oder zumindest ein mittlerer Fauxpas" sei, dass er ausgerechnet in dieser Brexit-Woche verkünde, das Freihandelsabkommen Ceta mit Kanada ohne Zustimmung der nationalen Parlamente in Kraft treten lassen zu wollen, wollte eine österreichische Fernsehjournalistin wissen. Nach ein paar gereizten Ausführungen blaffte der Kommissionschef schließlich: "Hören Sie mit diesem österreichischen Klamauk auf, so zu tun, als ob ich mich an der österreichischen Demokratie vergreifen würde. Das tue ich nicht."

Zuvor hatte ihn schon die Frage aufgebracht, ob er nach dem Brexit-Votum nicht zurücktreten müsse. Er sei "politisch aktiv seit mehr als 30 Jahren" und lasse sich von Kritik der Medien nicht entmutigen, hatte Juncker gegiftet - verbunden mit dem Rat an Jüngere, "meinen Lebensweg mal im Detail anzusehen". Dann komme man nämlich zu "anderen Erkenntnissen".

Vor 19 Monaten hat der Luxemburger sein Amt angetreten an der Spitze der, wie er selber sagte, "Kommission der letzten Chance". Als siegreicher Spitzenkandidat in den Europawahlen sah er sich und viele andere ihn mit einer demokratischen Legitimation ausgestattet, die seine Vorgänger nicht hatten. Juncker kannte das europäische Geschäft als fast ewiger luxemburgischer Finanz- und später Premierminister so genau wie nur wenige. Und er war immer ein Verfechter der Integration.

Auch dieses Bild zeigt die Jovialität zwischen Junker (l.) und Farage. (Foto: Olivier Hoslet/dpa)

Das macht ihn nun zur Reizfigur - nicht zuletzt in Großbritannien, wo Boulevardzeitungen den angeblich rachsüchtigen Kommissionspräsidenten nach dem Brexit-Votum zum größten Hindernis für reibungslose Scheidungsverhandlungen erklärten. "Es ist dieser aufgeblasene Zwergenpräsident, der die ganze Brüsseler Arroganz verkörpert, die die britischen Wähler nicht mehr verdauen konnten", agitierte - wenig überraschend - das Brexit-Blatt Sun.

Juncker müsste derlei nicht kümmern, spürte er nicht auch aus der Tiefe der Europäischen Union heraus wachsenden Unmut. Der tschechische Außenminister Lubomír Zaorálek, sonst kein Heißsporn, war mit Überlegungen zu einem Juncker-Rücktritt zitiert worden. Und hatte der deutsche Vizekanzler Sigmar Gabriel Junckers Kommission im Streit über das Ceta-Freihandelsabkommen nicht als "unglaublich töricht" getadelt? Juncker spürt den Gegenwind und reagiert gereizt.

Mehrere Fragen sind es, die sich nun vermischen: Junckers gesundheitlicher Zustand, die Lage Europas und - was sonst? - ein Machtkampf. Die Verfassung des 61-Jährigen ist immer wieder Gegenstand von Gerüchten in der EU-Metropole. Das hat, befeuert von Politico, dem Fachmagazin der Berufseuropäer, zuletzt zugenommen. Beim Treffen in Bratislava spricht Juncker davon, dass die Slowakei und Tschechien gegen die Verteilung von Flüchtlingen per Quote geklagt hätten. Tatsächlich waren es die Slowakei und Ungarn. Ein Flüchtigkeitsfehler womöglich, doch solche Patzer verstärken den Eindruck, dass Juncker nicht ganz bei der Sache ist.

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Hinzu kommt seine Art. Sich an sie zu gewöhnen, hatten die Luxemburger Jahrzehnte Zeit. Wenn Juncker befreundeten Staatschefs den Kopf tätschelt oder ausgerechnet den EU-Feind Nigel Farage stürmisch umarmt, wirkt das auf etliche Betrachter befremdlich. Juncker nimmt für sich in Anspruch, eben kein "Roboter" zu sein. Das aber führt spätestens dann zu Verwicklungen, wenn Juncker einen Nachlass auf Sparziele etwa freimütig damit begründet, dass "es Frankreich ist".

"Was in die richtige Richtung läuft, muss sich auch nicht ändern"

Nach der Brexit-Entscheidung geht es überdies darum, wie sich die Machtverhältnisse sortieren - zumal sich die Regierungschefs nicht wirklich damit abgefunden haben, dass der Kommissionspräsident per Spitzenkandidatur bestimmt wird. Beim EU-Gipfel Mitte der Woche haben sie erst einmal klargestellt, dass sie in einer Vertiefung der Europäischen Union keine Antwort auf das britische Brexit-Votum sehen.

Der Slowake Fico lud für den 16. September zu einem Nachdenk-Treffen der 27 Rest-Europäer nach Bratislava. Das ist ein ungewöhnlicher Schritt, denn auch Sondergipfel finden normalerweise in der EU-Metropole statt. Man treffe sich nun ganz bewusst nicht in Brüssel, sagte Fico, bevor er Juncker empfing. Davon werde man mehr sehen, es sei gar "eine Arbeitsmethode für die Zukunft".

Genau genommen scheint es eine Arbeitsmethode der Vergangenheit zu sein - eine, die einer wachsenden Brüssel-Skepsis Rechnung trägt und die den Staats- und Regierungschefs die führende Rolle garantieren soll. Beim Gipfel waren diese sich einig, dass sie der EU-Kommission zwar die technische Arbeit bei den Brexit-Verhandlungen überlassen müssen, aber zu jedem Zeitpunkt die Kontrolle behalten wollen. Der slowakische Außenminister Miroslav Lajčák hält das alles für eine "logische" Entwicklung. "Die europäischen Bürger leben in den Mitgliedstaaten, nicht in den Institutionen", sagt er. Der Lissabon-Vertrag habe viel Macht nach Brüssel verlagert, das müsse ausbalanciert werden.

Ob sich nach dem Brexit-Votum nicht Etliches ändern müsse, wird Juncker in Bratislava gefragt. Es ist eine Frage, mit der er nicht viel anfangen kann. Die Kommission habe bereits viel auf den Weg gebracht, Bürokratie abgebaut, allein hundert Gesetzesvorhaben begraben. "Ich sage nicht, dass sich nichts ändern muss. Aber was in die richtige Richtung läuft, muss sich auch nicht ändern", verkündet der Kommissionschef. Ob es personelle Veränderungen geben müsse, wird Junker noch mal gefragt. Das überhört er.

© SZ vom 02.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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