Sigmar Gabriel hatte es wieder und wieder betont: das europäisch-kanadische Freihandelsabkommen Ceta dürfe auf keinen Fall als reines EU-Abkommen eingestuft werden. Unbedingt müssten die nationalen Parlamente beteiligt werden, daher müsse auch der Deutsche Bundestag darüber abstimmen.
Nun, da die EU-Kommission angekündigt hat, das Freihandelsabkommen ohne Beteiligung der nationalen Parlamente abzuschließen, ist Gabriel dementsprechend empört: "Die EU-Kommission will beim Freihandelsabkommen mit Kanada mit dem Kopf durch die Wand", sagte der SPD-Chef dem Tagesspiegel. Das Vorgehen der Kommission sei "unglaublich töricht" und verderbe jedes sachliche Klima. Mit ihrer Entscheidung falle die EU-Kommission "allen Gutwilligen in den Rücken" und mache ihnen die Arbeit noch schwerer, sagte Gabriel weiter.
Er befürchtet, das "dumme Durchdrücken von Ceta" werde alle Verschwörungstheorien zu den geplanten weiteren Freihandelsabkommen "explodieren" lassen. Kein Mensch werde dann noch glauben, dass es beim umstritten Freihandelsabkommen TTIP mit den USA nicht genauso laufen werde. "Wenn die EU-Kommission das bei Ceta macht, ist TTIP tot", warnt Gabriel.
Auch CSU-Chef Horst Seehofer hat EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker scharf angegriffen. Seehofer kritisiert Junckers Veto gegen eine Beteiligung der nationalen Parlamente als "unverantwortlich". "Das geht auf keinen Fall", sagte der bayerische Ministerpräsident.
Keine Verhandlungen sind auch keine Lösung
Juncker hatte am Dienstag beim EU-Gipfel in Brüssel gesagt, die Bestimmungen des Abkommens fielen allein in EU-Kompetenz. Viele Mitgliedstaaten sind anderer Meinung. Um sich gegen die Kommission durchzusetzen, bedarf es allerdings der Einstimmigkeit: Alle EU-Staaten müssten sich dafür aussprechen, Ceta als sogenanntes gemischtes Abkommen einzustufen. Dann erst dürften die nationalen Parlamente mitentscheiden. Der italienische Wirtschaftsminister hat jedoch beispielsweise bereits in einem Brief an EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström zugesagt, die Kommissionslinie zu unterstützen.
Auf Gabriels Kritik reagiert Juncker verärgert: Die EU-Kommission sei nach einer juristischen Analyse zu der Auffassung gelangt, dass Ceta ein ausschließlich europäisches Abkommen sei und die Zustimmung nationaler Parlamente damit nicht notwendig wäre. Allerdings sucht er in der Frage offenbar keinen Streit. "Mir persönlich ist das aber relativ schnurzegal", sagte Juncker. Ceta sei das beste Abkommen, das die EU jemals ausgehandelt habe. Inhaltlich habe auch niemand etwas dagegen auszusetzen. Wenn aber die Regierungen der EU-Staaten zur Auffassung kämen, dass Rechtsgutachten nicht zählten, wenn es um Politik gehe, sei er der Letzte, der sich dagegen wehre. "Ich werde nicht auf dem Altar juristischer Fragen sterben, aber ich hätte gern durch eindeutige Rechtsmittel belegt, dass dies kein EU-Abkommen ist."
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Die Brüsseler Behörde befürchtet, dass Parlamente einzelner Staaten mit einem Veto künftig die europäische Handelspolitik lahmlegen könnten - ganz zu schweigen von drohenden Referenden. Es genüge eine Abstimmung im Europaparlament sowie grünes Licht des Europäischen Rats.
Auch deshalb ist die Entscheidung über Ceta so bedeutend, denn das Abkommen gilt als Blaupause für TTIP. Juncker fragte die Staats- und Regierungschefs beim Brüsseler Gipfel: "Wollen wir TTIP überhaupt noch? Wenn wir aufhören sollen zu verhandeln, kann die Kommission die Verhandlungen gerne stoppen." Auch das dürfte nicht im Interesse des empörten Sigmar Gabriel sein.