EU:Ursula von der Leyen verteidigt Milliarden für Ungarn

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Wegen der 10 Milliarden Euro für Ungarn hat sie eine Mehrheit der EU-Abgeordneten gegen sich aufgebracht: Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. (Foto: Frederick Florin/AFP)

Die Kommissionspräsidentin widerspricht der Lesart, man habe Viktor Orbán dazu bringen wollen, die Beitrittsgespräche der Ukraine nicht zu behindern. Trotzdem droht nun eine Klage gegen die Freigabe des Geldes.

Von Jan Diesteldorf, Brüssel

Am Ende seines Auftritts verwandelt Guy Verhofstadt die düsteren Mienen im Plenarsaal in strahlende Gesichter, und auch seine Gegnerin muss lachen inmitten dieser sonst so ernsten Aussprache am Mittwochmorgen. "Ich habe einen schlechten Ruf in diesem Haus", sagt der frühere belgische Ministerpräsident und EU-Abgeordnete der liberalen Renew-Fraktion, "vielleicht auch bei Ihnen, weiß ja nicht." Manchmal habe er auch einen schlechten Charakter, und bisweilen sei er rücksichtslos. "Darf ich Sie nur um eines bitten? Seien Sie doch ein klein wenig von alledem, wenn es um Viktor Orbán geht!", ruft er Ursula von der Leyen zu.

Die Präsidentin der EU-Kommission stellt sich an diesem Morgen den Abgeordneten im Straßburger Parlament. Keine 24 Stunden zuvor haben die eine Resolution auf den Weg gebracht, die es in sich hat: Sie drohen der Brüsseler Behörde mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof, weil sie im Dezember gut zehn von etwa 30 Milliarden Euro an Geldern freigab, die sie wegen Verstößen gegen rechtsstaatliche Grundsätze gesperrt hatte. Eine Mehrheit der Abgeordneten hält das für falsch. Schließlich wirkt es ganz so, als hätte die Kommission Ungarns Regierungschef Viktor Orbán einen Tag vor dem EU-Gipfel Mitte Dezember mit Milliarden besänftigt, damit er für die Eröffnung von EU-Beitrittsgesprächen mit der Ukraine stimmt.

"Ungarn hat die Reformvorgaben nicht erfüllt", sagt der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund

Die Kommission wehrt sich gegen diese Lesart und besteht darauf, die Freigabe der Mittel sei eine rein technische Entscheidung gewesen, nachdem Ungarn bestimmte Kriterien erfüllt habe. Aber von der Leyen nimmt die Androhung des Parlaments offenbar ernst, sonst nähme sie nicht einen Tag vor der Abstimmung über die Resolution selbst so ausführlich Stellung zu den Vorwürfen.

"Es geht hier um die fundamentalen Werte, die uns zusammenbringen", sagt sie. Man habe alle zur Verfügung stehenden Instrumente genutzt, um zugleich die europäischen Werte und die finanziellen Interessen der EU zu schützen. Allerdings: Ungarn habe im Mai 2023 ein Gesetz verabschiedet, das die Unabhängigkeit der Justiz stärke und eine politische Einflussnahme auf die Judikative erschwere. "Das haben wir verlangt - und Ungarn hat geliefert", sagt sie. Im Übrigen seien 20 Milliarden Euro weiterhin eingefroren, wegen Bedenken hinsichtlich der Rechte sexueller Minderheiten, akademischer Freiheiten und der Rechte von Asylbewerbern. Das bleibe so, "bis Ungarn die notwendigen Bedingungen erfüllt".

Ob die Regierung in Budapest wirklich alle Kriterien erfüllt hat, um die zehn Milliarden Euro erhalten zu können, daran gibt es Zweifel. Denn vieles bleibt Auslegungssache. "Ungarn hat die Reformvorgaben nicht erfüllt", sagt der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund der SZ. "Die Kommission hat sich noch nicht einmal die Zeit genommen, das überhaupt zu prüfen." Stattdessen habe sie im Eilverfahren zehn Milliarden Euro freigegeben, "um Viktor Orbáns Veto zu kaufen". Freund war wesentlich daran beteiligt, dass die Kommission auf Druck des Parlaments den Rechtsstaatsmechanismus gegen Ungarn angewendet hat.

Aus Sicht der Abgeordneten reicht dieser Mechanismus - Geld nur gegen Reformen - aber nicht aus. In der Resolution fordert das Parlament den Rat zur Tat auf, um festzustellen, "ob Ungarn schwerwiegende und dauerhafte Verstöße gegen EU-Werte" gemäß Artikel 7 des Vertrags von Lissabon begangen habe. Dieser Artikel ermöglicht die Maximalstrafe für ein EU-Mitglied, das zu weit aus dem Kreis der demokratischen Rechtsstaaten ausschert: Die Staats- und Regierungschefs können ihm mit einer einstimmigen Entscheidung von 26 Ratsmitgliedern das Stimmrecht entziehen.

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Dazu müssten laut Vertrag zunächst 22 von ihnen beschließen, dass "die eindeutige Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung" der in Artikel 2 ausbuchstabierten Werte durch einen Mitgliedstaat besteht: die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit sowie der Rechte von Minderheiten. Manfred Weber (CSU), Chef der christdemokratischen EVP im EU-Parlament und Vorkämpfer einer zweiten Amtszeit von der Leyens, sagt am Mittwochmorgen: "Das Wichtigste, was ich vom Rat gerne sehen würde, ist eine Antwort auf unsere Anfrage zu Artikel 7." Den Staats- und Regierungschefs fehle dazu bislang der Mut.

Das bleibt auf absehbare Zeit auch so, weshalb das Artikel-7-Verfahren zur Kategorie der frommen Wünsche gehört. Am Donnerstag werden die Parlamentarier im Plenum über die Resolution abstimmen. Eine Mehrheit gilt als sicher. Die geringe Kompromissbereitschaft des Parlaments im Umgang mit Ungarn wird von der Leyen auch langfristig zu spüren bekommen - nicht zuletzt aus den Reihen ihrer eigenen Parteienfamilie.

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