EU-Gipfel:Orbáns Machtspiel um Milliarden

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Ungarns Regierungschef Viktor Orbán mischt diese Woche mal wieder einen EU-Gipfel auf: Was kommt heraus bei seinem Machtspiel? (Foto: JOHANNA GERON/REUTERS)

Der ungarische Ministerpräsident bleibt bei seiner scharfen Rhetorik und will auf dem EU-Spitzentreffen sämtliche Ukraine-Beschlüsse blockieren. Lässt er sich noch umstimmen - mit Geld? Eine Anzahlung hat er nun erhalten.

Von Jan Diesteldorf, Brüssel

Um zu erahnen, wie schwierig ein EU-Gipfel wird, reicht ein Besuch in der Kantine. Dort, im Keller des Brüsseler Ratsgebäudes, stärken sich Beamte, Diplomaten und Journalisten mit Steak und Pommes frites, während nebenan die Staats- und Regierungschefs verhandeln, meist bis tief in die Nacht, mitunter in unberechenbarer Überlänge. Diesmal, so war es am Dienstag in der Kantine zu hören, habe man dem Personal gesagt, es solle sich darauf einstellen, auch am Samstag zu arbeiten. Denn womöglich reichen die zwei Gipfeltage Donnerstag und Freitag nicht. Die Liste an Themen ist lang, die Abstimmung unter 27 Ländern ohnehin immer kompliziert - und bislang ist Ungarn nicht von seiner Blockade-Rhetorik abgerückt.

Nimmt man den Budapester Regenten Viktor Orbán und seine Mannschaft beim Wort, dann wird das kleine Land alles verhindern, was sich die EU in Sachen Ukraine vorgenommen hat für diesen Gipfel: die Beitrittsverhandlungen mit Kiew anzukündigen und die Finanzierung der Ukraine mit frischem EU-Geld aus dem gemeinsamen Haushalt zu sichern, mit insgesamt 50 Milliarden Euro bis 2027. Beides geht nur per einstimmiger Entscheidung.

Der Ungar hat wieder die maximale Aufmerksamkeit erreicht

Orbán, der sich gern mit Russlands Präsident Wladimir Putin ablichten lässt und in Washington Anschluss an die Trumpisten sucht, hat wieder einmal die maximale Aufmerksamkeit erreicht. Von seinem Verhalten hängt der gesamte Verlauf des Treffens in Brüssel ab. Am Dienstagabend versah sein politischer Berater Balázs Orbán (nicht verwandt) das Wohlwollen seines Chefs via Bloomberg mit einem Preisschild: Ungarns Zustimmung hänge davon ab, dass Brüssel sämtliche Gelder an das Land freigibt, die es wegen Rechtsstaatsverstößen zurückhält, sagte er sinngemäß. Das sind in Summe mehr als 30 Milliarden Euro.

Die EU-Finanzierung Ungarns und die Finanzierung der Ukraine seien zwar zwei getrennte Themen, sagte Balázs Orbán, "aber wenn die EU darauf besteht, dass die Finanzierung der Ukraine aus einem geänderten EU-Haushalt kommen sollte, dann verbindet das diese beiden Themen miteinander". Neue Beiträge für den Mehrjährigen Finanzrahmen, wie der EU-Haushalt offiziell heißt, will Ungarn also nicht leisten, solange die EU-Kommission dem Land dessen Milliarden aus ebenjenem Haushalt vorenthält. Anders gesagt: alles oder nichts.

In einem zeitlich zumindest unglücklichen Zusammenhang zeichnete die Kommission am Mittwoch zehn Milliarden Euro frei, die Ungarn nun in den kommenden Jahren erhalten soll. Die Entscheidung wurde seit Tagen erwartet, und die Brüsseler Behörde will sie nicht als eine politische verstanden wissen: Man könne gar nicht anders, weil Budapest alle Bedingungen für die Freigabe dieses Teils der gesperrten Mittel erfüllt habe, erklären mit der Angelegenheit befasste Beamte.

Brüsseler Diplomaten ringen darum, dass Orbán sein Pokern verliert

Dabei ging es um vier Maßnahmen, mit denen die Justiz in Ungarn wieder unabhängiger werden soll. Seit dem Frühjahr hat Orbáns Regierung zumindest auf dem Papier unter anderem die Selbstverwaltung der Richter gestärkt und ein Verfahren gestrichen, mit dem sie höchstrichterliche Entscheidungen anfechten konnte. Ungarn hat die Reformen aber nach Angaben aus Kommissionskreisen erst sehr kurzfristig offiziell in Brüssel notifiziert - und damit provoziert, dass die Frist zur Entscheidung just mit Beginn des Gipfels abläuft. Dennoch hat dieser Beschluss eine politische Komponente. Es wird sich nicht vermeiden lassen, dass es in der Öffentlichkeit wie der Versuch wirkt, Viktor Orbáns Zustimmung zu erkaufen.

Zusätzlichen Druck übte am Mittwoch das EU-Parlament aus, wo einige der ärgsten Gegner des Ungarn sitzen. In einem gemeinsamen Brief an Kommissionschefin Ursula von der Leyen warnen die Fraktionschefs der Christ- und Sozialdemokraten, der Liberalen und der Grünen vor einer Freigabe der zehn Milliarden Euro: Die Kriterien hinsichtlich der Unabhängigkeit der Justiz seien gerade nicht erfüllt. Zugleich bereite Orbán neue Reformen vor, welche die Rechtsstaatlichkeit zusätzlich bedrohten.

Brüsseler Diplomaten versuchen schon seit Wochen, ihre ungarischen Kollegen umzustimmen und dafür zu sorgen, dass Orbán dieses Machtspiel verliert. Ob das erfolgreich gewesen sein wird, traut sich momentan niemand vorherzusagen: Es wird sich erst im Saal zeigen, wenn Orbán allein im Kreise seiner 26 Amtskollegen, im Beisein von Charles Michel und von der Leyen über die Gipfelerklärung verhandelt. Schon früher hat der autokratisch veranlagte Ministerpräsident rhetorisch gezündelt, dann aber sämtliche Beschlüsse zur Ukraine mitgetragen. Diesmal aber scheint er ernst zu machen. Die Erwartungen von Diplomaten liegen entsprechend weit auseinander. Vorsorglich hat man einen Plan B und C entworfen: eine Ukraine-Finanzierung für die kommenden Jahre außerhalb des Haushalts - oder frische Mittel nur für 2024. Letzteres würde, sofern man Balázs Orbán beim Wort nehmen kann, sogar Ungarn mittragen.

Aber es gibt noch andere Unzufriedene außer Orbán

Es liegt aber längst nicht nur an Ungarn, dass bei diesem Gipfel die schwierigsten Gespräche den Finanzrahmen betreffen werden. Die Kommission will den Haushalt um insgesamt knapp 100 Milliarden Euro aufstocken, wovon 66 Milliarden als Zuschüsse aus den Mitgliedstaaten kämen und davon wiederum 17 Milliarden als direkte Finanzierung an die Ukraine gingen.

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Die restlichen knapp 50 Milliarden müsse die Kommission im bestehenden Haushalt auftreiben, finden die Bundesregierung und mit ihr andere Nettozahler. Es geht um frische Mittel für die Herausforderungen der Migration, ein Programm zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit, um höhere EU-Verwaltungskosten und gestiegene Zinskosten des Corona-Wiederaufbaufonds. In einem am Dienstag verteilten Papier von Ratspräsident Michel sind all diese Posten kleingerechnet. Aber in Berliner Regierungskreisen klingt es nicht so, als reiche das schon als Verhandlungsgrundlage aus, damit Deutschland von seiner rigiden Haltung abrückt.

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