Europäische Union:Und das elfte kommt sogleich

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Vetomacht: Ungarns Premierminister Viktor Orbán lehnt Sanktionen gegen Russland ab. (Foto: Bernadett Szabo/Reuters)

Noch ist das zehnte Sanktionspaket gegen Russland nicht fertig, schon redet die EU über das nächste. Das zeigt auch, wie unzureichend die bisherigen sind.

Von Michael Bauchmüller und Josef Kelnberger, Brüssel, Berlin

Das Ringen um Sanktionen gegen Russland folgt in der Europäischen Union mittlerweile einer schönen Routine. Belgien sperrt sich dagegen, den Diamantenimport aus Russland zu verbieten, weil der Diamantenstandort Antwerpen darunter leiden würde. Atomenergieländer wie Frankreich wollen keinesfalls den russischen Konzern Rosatom auf die Liste setzen, weil ihre Kernkraftwerke auf russische Technologie angewiesen sind. Der Ungar Viktor Orbán lehnt Sanktionen sowieso ab - gibt aber grünes Licht, wenn er irgendeinen Deal schließen kann. Und so verhandeln die Diplomaten der 27 Mitgliedsländer tage- und auch nächtelang.

Auch bei den Verhandlungen über das zehnte Sanktionspaket in dieser Woche war das der Fall. Eine Einigung gab es aus einem vergleichsweise nichtigen Grund - einem Importverbot für Kautschuk - auch am Donnerstag nicht. Nun soll das Werk an diesem Freitag gelingen. Alles andere wäre eine Blamage für die Europäische Union, genau ein Jahr nach dem russischen Angriff auf die Ukraine.

"Gemeinsam ziehen wir die Schlinge um Russland immer enger", sagte Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, als sie den Entwurf des Pakets vergangene Woche vorstellte. Auch diese Rhetorik ist zu einer Routine geworden, eine Selbstvergewisserung, dass die Sanktionen auch wirklich greifen und Wladimir Putins Kriegswirtschaft irgendwann lahmlegen - was selbst Ölembargo und Gaspreisdeckel bislang nicht vermochten. Die Sanktionen entfalteten ihre Wirkung schleichend wie das Mordgift Arsen, sagte dieser Tage der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell.

Das zehnte Giftpaket für Russland also. Ausfuhrverbote in Höhe von mehr als elf Milliarden Euro standen als Punkt eins auf der Liste, sie sollen der russischen Wirtschaft kritische Technologie und industrielle Güter entziehen. Es geht um Elektronik, Spezialfahrzeuge, Maschinenteile, Ersatzteile für Lkws und Triebwerke, um Güter des Baugewerbes wie Antennen und Kräne, aber auch Asphalt und Kautschuk. An diesem Punkt verhakten sich die Verhandler am Donnerstag: Italien verlangte eine Ausnahmeregelung, mit der aber Polen nicht einverstanden war.

Zweitens soll die Ausfuhr von Bauteilen weiter eingeschränkt werden, die nicht nur für zivile Zwecke, sondern auch für russische Waffensysteme, für Drohnen, Raketen und Hubschrauber verwendet werden können. Auch Seltene Erden und Wärmebildkameras stehen auf der Liste.

Und drittens sollen mehr als hundert weitere russische Personen und Organisationen mit Einreiseverboten belegt und mit dem Einfrieren von Vermögen bestraft werden, unter ihnen Armee- und Staatsfunktionäre sowie Medienschaffende, die Kriegspropaganda betreiben. Die in den ersten neun Paketen verhängten Sanktionen werden um weitere sechs Monate verlängert, darauf hat man sich bereits am Mittwoch verständigt. Den Plan, die Gültigkeit der Sanktionen auf ein Jahr auszudehnen, verhinderte Viktor Orbán. Er möchte ja möglichst oft seine Vetomacht ausspielen.

Ursula von der Leyen kündigte an, auch den Oligarchen solle es an den Kragen gehen, die ihr Vermögen in Europa verstecken. Versteckte Gelder sollen aufgespürt werden, und es soll eine Liste aller eingefrorener Vermögenswerte der Russischen Zentralbank in der EU erstellt werden - das alles bereits mit Blick auf eine mögliche Verwendung für den Wiederaufbau der Ukraine nach dem Krieg. Die Kommission schlug deshalb vor, Strafen einzuführen für Personen, die russisches Vermögen nicht an die EU melden. Einige Länder, darunter Deutschland, meldeten jedoch rechtliche Bedenken an, der Punkt wurde gestrichen.

Die russische Armee verbaut angeblich Chips aus Kühlschränken in militärisches Gerät

Um zu verdeutlichen, wie die Sanktionen ihre Wirkung entfalten, erzählt man in Brüssel gern, dass die russische Armee mittlerweile die Chips aus Kühlschränken und Geschirrspülern in militärisches Gerät verbaut. Andererseits zeigt die Episode, dass Putins Russland ein großes Geschick entwickelt hat, die Sanktionen zu umgehen. Viele Güter, die aus der EU nicht mehr geliefert werden dürfen, kauft Russland auf dem Umweg über Drittstaaten. Kasachstan zum Beispiel soll sich in großem Umfang als Einkäufer für Russland betätigen. Deshalb diskutierten die EU-Botschafter diese Woche auch Mittel und Wege, die Umgehung von Sanktionen durch ein gemeinsames Vorgehen zu unterbinden, möglicherweise durch Gründung einer eigenen Aufsichtsbehörde. Der Vorschlag kam aus den Niederlanden, neun Länder schlossen sich an, auch Deutschland.

Denn längst ist auch in Berlin bekannt, dass Sanktionen alleine nicht reichen. "Wir haben uns in den letzten Tagen und Wochen noch einmal sehr genau die Handelsströme angeschaut", sagt Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) am Donnerstagabend in Berlin. Leider gebe es "deutliche Umgehungen, auch aus Deutschland heraus". Sanktionspaket Nummer elf müsse diese Lücken schließen.

Einen Zehn-Punkte-Plan dafür gibt es auch schon, er richtet sich vor allem an Unternehmen, aber auch an jeden Einzelnen. So sollten künftig Personen oder Unternehmen gelistet werden, wenn sie Sanktionen gezielt unterlaufen - und dann ihrerseits sanktioniert werden. Güter, die "von Bedeutung für die russische Kriegsmaschinerie sind" sollen in bestimmte Drittstaaten nur noch mit transparenten "Endverbleibserklärungen" exportiert werden. Und wer davon Wind bekommt, dass ein Unternehmen Europas Sanktionen missachtet, der solle dazu verpflichtet werden, das zu melden, schlägt Habeck vor: eine so genannte Jedermannspflicht. "Wir werden jedenfalls nicht zugucken", sagt Habeck am Donnerstag. Schließlich werde hier das Interesse jener untergraben, die für ihre Freiheit kämpfen: "Das gehört sich nicht."

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