Ukraine-Krieg:Die EU will russischen Touristen Grenzen setzen

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Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell will nicht "die Beziehungen zur russischen Bevölkerung kappen". (Foto: John Thys/AFP)

Fast eine Million Russen sind seit Kriegsbeginn auf dem Landweg in EU-Länder eingereist. Nun soll die Visavergabe eingeschränkt werden - aber wie? Ein kompletter Bann steht nicht zur Debatte.

Von Josef Kelnberger, Brüssel

Die Europäische Union will die Einreise russischer Bürgerinnen und Bürger in die EU weiter einschränken und erschweren - aber keinesfalls Reisen komplett unterbinden. Eine vollständige Visasperre sei "kein guter Vorschlag", sagte am Sonntag der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell mit Blick auf die informelle Tagung der Außenministerinnen und Außenminister am Dienstag und Mittwoch dieser Woche in Prag. "Ich glaube nicht, dass es positive Ergebnisse bringt, wenn wir die Beziehungen zur russischen Bevölkerung kappen." Außerdem, fügte Borrell hinzu, gebe es dafür nicht die notwendige Einstimmigkeit unter den 27 Mitgliedstaaten.

Um einen Kompromiss zu erzielen, wird in der EU nun unter anderem erwogen, das Abkommen zur Visa-Erleichterung mit Russland aus dem Jahr 2007 komplett auszusetzen, wie die Financial Times am Wochenende berichtete. Teile des Abkommens, die Regierungsbeamte und Geschäftsleute betreffen, werden bereits seit dem Angriff auf die Ukraine nicht mehr angewendet. Die Erleichterungen ganz auszusetzen, würde nun für alle Antragsteller die Fristen verlängern und die Gebühren verteuern.

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Borrell wollte den Plan weder dementieren noch bestätigen. Die EU müsse jedenfalls, wenn sie russische Bürgerinnen und Bürger aussperre, ausgewogen und zielgerichtet vorgehen, sagte der Spanier in einem Interview mit dem ORF am Rande des Europäischen Forums in Alpbach. Bisher hat die EU nur hochrangige Unterstützer Wladimir Putins mit Sanktionen belegt. Der Kreis könnte nun erweitert werden.

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskij hatte mit seiner Forderung nach einem Einreiseverbot für russische Touristen die Debatte in der EU angestoßen. Alle Russinnen und Russen müssten für Putins Angriffskrieg bestraft werden, sagt Selenskij. Prominentester Gegner eines solchen Schrittes ist der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz. Er warnt davor, den Kontakt zur russischen Zivilgesellschaft gänzlich abreißen zu lassen, ein Visum-Bann würde auch Putin-Gegner treffen. Außenministerin Annalena Baerbock hatte zuletzt angedeutet, die Bundesregierung werde sich einem Kompromiss in der Frage nicht verschließen, beharrte aber darauf, man dürfe nicht die 140 Millionen Menschen in Russland "in Sippenhaft nehmen".

Einige Länder stellen jetzt schon keine Touristenvisa mehr aus

Unterstützung findet Selenksij bei den baltischen Staaten, in Finnland, Polen und auch Tschechien, die keine Touristenvisa für Russen mehr ausstellen. Der tschechische Außenminister Jan Lipavský hat als Vertreter der aktuellen Ratspräsidentschaft deshalb das Thema auf die Tagesordnung in Prag gesetzt. Sein Argument: Es sei nicht hinnehmbar, dass Russinnen und Russen in Europa Urlaub machen und einkaufen gehen, während ihr Präsident einen Angriffskrieg führt. Auch könnten touristische Reisen genutzt werden, um die EU-Sanktionen zu umgehen und russische Propaganda zu betreiben. Niemand fordere ein allgemeines Einreiseverbot, sagt Lipavský vor dem Treffen in Prag. Es gehe um die Kurzzeitvisa für Touristen. Für Oppositionelle gebe es in Tschechien ein spezielles Visaprogramm.

Wie die EU-Grenzschutzagentur Frontex per Twitter mitteilte, sind seit Beginn des Krieges in der Ukraine knapp eine Million russische Bürgerinnen und Bürger auf dem Landweg in die EU eingereist, die meisten von ihnen über Finnland, Estland und Litauen. Diese Länder sind besonders betroffen, weil es wegen der EU-Sanktionen aus Russland keine Direktflüge mehr in die EU gibt. Allerdings sind in den Zahlen nicht nur Touristen mit Visa enthalten, sondern auch Inhaber einer doppelten Staatsbürgerschaft und einer Aufenthaltserlaubnis in der EU.

Die Regierungen in Estland und Finnland haben zuletzt beschlossen, nicht nur keine neuen Visa mehr auszustellen, sondern auch die von ihren Behörden ausgestellten alten Touristenvisa nicht mehr gelten zu lassen. Andere Staaten, Belgien etwa, haben die Visavergabe praktisch eingestellt - mit der Begründung, ihre Vertretungen in Russland seien personell stark ausgedünnt. Grundsätzlich sind die dem Schengen-Raum zugehörigen Staaten jedoch verpflichtet, Visa anzuerkennen, die andere Schengen-Staaten ausgestellt haben. So kann etwa Estland nicht ohne Weiteres einem Visum die Anerkennung verweigern, das deutsche Behörden ausgestellt haben.

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