Rechtsstaatlichkeit in der EU:Die Samthandschuhe ausziehen

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Ende März setzte das EU-Parlament Ursula von der Leyen ein Ultimatum, den Rechtsstaatsmechanismus gegen Länder wie Polen oder Ungarn einzuleiten. Nun rückt eine Klage gegen die EU-Kommission näher.

Von Matthias Kolb, Brüssel

Das Ultimatum für Ursula von der Leyen war klar und unmissverständlich. Bis zum 1. Juni sollte die EU-Kommission den seit Januar gültigen Rechtsstaatsmechanismus anwenden. Damit können erstmals Fördergelder aus Brüssel gekürzt oder gestoppt werden, wenn deren korrekte Verwendung durch fehlende Unabhängigkeit der Gerichte oder fehlende Neutralität der Staatsverwaltung gefährdet ist. Andernfalls, so drohte das Europaparlament im März in einer mit Vier-Fünftel-Mehrheit angenommenen Resolution, werde man die Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) verklagen - wegen Untätigkeit.

Der Stichtag ist verstrichen, also werden die Abgeordneten am Mittwoch erneut über dieses für die EU so zentrale Thema diskutieren und über eine Resolution abstimmen. Ob darin Artikel 265 des EU-Vertrags erwähnt wird, der dem Europaparlament eine Klage gegen ein anderes EU-Organ erlaubt, müssen noch die Fraktionen klären. Der FDP-Politiker Moritz Körner, der die März-Resolution federführend verfasst hat, hält die Zeit gekommen, gegenüber Polen, Ungarn oder Bulgarien "die Samthandschuhe auszuziehen". Der Rechtsstaat erodiere in vielen Teilen der EU, klagt er, und fordert, der Entwicklung nicht tatenlos zuzuschauen.

Auch die Grünen rufen zur Eile. Das Verfahren sieht vor, dass die Kommission zwei Monate zur Stellungnahme erhalten würde und die Klage nach weiteren zwei Monaten, also Anfang Oktober, erhoben werden könnte. Dies beunruhigt Daniel Freund, der für die Grünen verhandelt, denn im Frühjahr 2022 stellt sich Viktor Orbán den Wählerinnen und Wählern: "Orbán hat Ungarn zu einer Autokratie umgebaut und EU-Gelder an Freunde und Familie verteilt. Lässt man ihn straffrei davonkommen, macht sich die Kommission zur Wahlkampfhelferin eines Autokraten und lädt zur Nachahmung ein."

Der Mechanismus soll gegen mehrere Länder angewendet werden

Um deren Blockade des EU-Haushalts und des Corona-Aufbaupakets zu brechen, hatten die Staats- und Regierungschefs Ungarn und Polen im Dezember zugesichert, vor einer möglichen Anwendung der Verordnung den EuGH anrufen zu können. Rechtlich bindend ist dies jedoch nicht - und wann der EuGH urteilt, ist offen. Viele Abgeordnete kritisieren, dass die Kommission zudem Leitlinien zur Anwendung der Rechtsstaatsklausel ausarbeitet und das EuGH-Urteile abwarten will. Nun sollen Entwürfe der Guidelines bald den Abgeordneten präsentiert werden. In Brüssel hört man, Haushaltskommissar Johannes Hahn wolle den Mechanismus gegen mehrere Mitgliedsländer anwenden. Jüngst sagte Vizepräsidentin Věra Jourová, die Kommission könnte ihn möglicherweise "in der zweiten Hälfte des Jahres" auslösen.

All das überzeugt Katarina Barley nicht. Die frühere Justizministerin betont, dass der Mechanismus erst mit der Benachrichtigung der betroffenen Staaten ausgelöst werde. Dafür brauche es keine Leitlinien. "Aus Erfahrung wissen wir, dass die Kommission zu zurückhaltend und zu spät handelt, wenn es um den Schutz der Rechtsstaatlichkeit geht", sagt die SPD-Politikerin und fordert, den Druck aufrechtzuerhalten. Etwas zurückhaltender äußerten sich zu Beginn der Woche die Christdemokraten. Für Monika Hohlmeier (CSU) ist es vor allem wichtig, dass die Verfahren gegen Rechtstaatssünder rechtlich wasserdicht vorbereitet werden.

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