EU-Agrarreform:Bauernwut macht Wunder möglich

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Zum dritten Mal seit Anfang Februar legten Landwirte am Dienstag das Brüsseler Europaviertel lahm. (Foto: Yves Herman/Reuters)

Die europäischen Agrarminister ermöglichen im Schnellverfahren eine Aufweichung der Ökoregeln. Cem Özdemir verfolgt es mit Unbehagen, aber steht damit weitgehend alleine da.

Von Josef Kelnberger, Brüssel

Die Gesetzgebung der Europäischen Union ist ein Prozess, der viel Arbeit, Geduld und jede Menge Sitzfleisch erfordert. Für Wunder ist da eigentlich kein Platz. Und doch sagte der französische Landwirtschaftsminister Marc Fesneau am Dienstag, es grenze an ein Wunder, was die EU nun für die Landwirtschaft leiste. "Wir schaffen innerhalb von einem Monat etwas, das ansonsten drei Jahre dauert." Auf den Weg gebracht wurden am Dienstag Reformen, die den Bauern weniger Bürokratie und mehr Einkommen bringen sollen - aber auch die Umwelt- und Klimapolitik der EU gefährden, wie Cem Özdemir findet, Fesneaus deutscher Kollege.

Das zwiespältige Bauernwunder ist ein Ergebnis der seit Monaten tobenden europäischen Bauernwut. Zum dritten Mal seit Anfang Februar legten Landwirte am Dienstag mit Traktoren das Brüsseler Europaviertel lahm. Es wurde gehupt und getrötet, es flogen Eier auf Polizisten, mit Reifen und Holzpaletten wurden sogar einige Feuer entfacht.

Betriebe unter zehn Hektar Fläche sollen nicht mehr kontrolliert werden

Beim Treffen der für Landwirtschaft zuständigen Ministerinnen und Minister verlief hingegen alles nach Plan. Erst vor zwei Wochen von der Kommission vorgestellt, wurde das Reformpaket am Dienstag von den Mitgliedsländern formal gutgeheißen und an das Europaparlament weitergeleitet. Im April dürfte das Parlamentsplenum seine Zustimmung geben. Und fertig wäre die Reform - rechtzeitig vor den Europawahlen Anfang Juni.

Die Landwirtinnen und Landwirte werden demnach dauerhaft von der Pflicht entbunden, vier Prozent der Ackerflächen brachliegen zu lassen. Wer es dennoch tut, muss dafür vom Staat entlohnt werden. Aufgeweicht werden Regeln für die Fruchtfolge, die erlassen worden waren, damit die Böden sich besser erholen können. Die nationalen Regierungen können etliche andere Ökoregeln flexibler als bisher anwenden. Betriebe unter zehn Hektar Fläche sollen nicht mehr kontrolliert werden, ob sie die Regeln wirklich anwenden.

Özdemir: Umweltauflagen und Artenschutz keine "unnötige Bürokratie"

Cem Özdemir, der deutsche Minister, kam mit einiger Verspätung eingeflogen, ein Schaden an der Linienmaschine war der Grund. Mit großer Begeisterung war er ohnehin nicht angereist. Deutschland habe "den Weg freigemacht" für das beschleunigte Gesetzgebungsverfahren, sagte er. Gleichwohl meldete er große Bedenken an, vor allem an der Regelung für die Fruchtfolge, die ja nicht "aus Jux und Tollerei" erfunden worden sei. Umweltauflagen und Artenschutz seien keine "unnötige Bürokratie", sondern würden die Zukunft der Bauern sichern.

Was die EU nun beschließen wird, ohne Folgenabschätzung, wie sie in Gesetzgebungsverfahren üblich ist, bedeutet einen massiven Eingriff in die "Gemeinsame Europäische Agrarpolitik" (GAP). Sie bildet die Grundlage für die Subventionen an die Landwirtschaft, die ein Drittel des EU-Haushalts ausmachen. Auf sieben Jahre sind die Richtlinien jeweils ausgelegt, allerdings dauerten die Verhandlungen über die Periode von 2021 bis 2027 so lange, dass die Regeln erst 2023 in Kraft treten konnte. Gerade die Ökoauflagen waren heftig umstritten.

Cem Özdemir hält es im Prinzip für eine gute Idee, dass Landwirte für freiwillige öffentliche Leistungen besser entlohnt werden. Dafür müsse aber auch das Budget in der GAP entsprechend umgeschichtet werden, sagt er. In der aktuellen Reform ist das aber nicht vorgesehen, weshalb Özdemir fürchtet, es gebe nun zu wenig Anreize für Ökoleistungen.

Eigentlich ist der Grund für den Frust jahrzehntelange verfehlte Agrarpolitik

Generell sieht der Grüne die Gefahr eines Rollback, wie er sagt. Dabei sei der eigentliche Grund für den Frust der Bauern eine jahrzehntelange verfehlte Agrarpolitik. Sie habe die kleinen Landwirte benachteiligt, der Natur und den Tieren geschadet. "Zurück in die Vergangenheit" dürfe daher keine Lösung sein, sagte Özdemir. Er könne die Landwirte nur davor warnen, "auf falsche Freunde" zu hören.

Er steht mit seinen Bedenken derzeit weitgehend allein im Kreis der Ministerinnen und Minister, die den Bauern auf allen möglichen Politikfeldern so schnell wie möglich entgegenkommen wollen. Handelsbeschränkungen für ukrainische Bauern zählen dazu.

Eier, Zucker, Geflügel und einige andere Agrarprodukte aus der Ukraine sollen in der EU nur noch bis zu einem gewissen Kontingent zollfrei bleiben. Mehrere Mitgliedstaaten, allen voran Polen und Frankreich, drängen nun darauf, dass auch ukrainischer Weizen mit Zöllen belegt wird. Sie verlangen zudem, dass zur Bemessung der Kontingente nicht nur die Kriegsjahre 2022 und 2023 herangezogen werden, sondern auch 2021. Das würde bedeuten, dass die Ukraine viel Geld verliert. Özdemir warnt, die ganze Debatte spiele Putin in die Hände.

Mit schlechter Laune verfolgt der Grüne auch den Weg des Gesetzes zur Wiederherstellung der Natur. Es hat zum Ziel, 20 Prozent der Ökosysteme in Europa bis 2030 zu renaturieren. Zwei Jahre lang hatte das Gesetz seinen Weg durch die EU-Instanzen genommen, bekämpft von der Agrarlobby, von Konservativen und Christdemokraten im Parlament. Am Ende einigte man sich auf eine weitgehend entkernte Version. Sogar die deutsche Ampel, inklusive FDP, wollte zustimmen. Doch kurz vor der finalen Abstimmung unter den Mitgliedsländern, eigentlich eine Formalie, zogen erst die Niederlande und dann auch Ungarn ihr Ja wieder zurück, aus Rücksicht auf die Bauern. Es gibt keine Mehrheit, das Gesetz gilt jetzt als tot.

Cem Özdemir appellierte am Dienstag an alle Beteiligten, sich ihrer Verantwortung zu besinnen. Aber an eine Wiederauferstehung des Gesetzes glaubt niemand mehr. Sollte sie gelingen, wäre das ein weiteres Brüsseler Wunder.

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