Einen Tag nach ihrem 93. Geburtstag konnte Hilde M. ihre Geschichte in der Zeitung lesen. Ein Reporter der Welt am Sonntag hatte Wind von einem Ermittlungsverfahren (AZ: 7305 Js 1/15.) bekommen, das die Hamburger Justiz gegen die alte Frau eröffnet hatte und stand vor ihrer Haustüre.
Das Hamburger Sonderdezernat für nationalsozialistische Gewaltverbrechen ermittelt in der Tat gegen die alte Frau, wie die Staatsanwaltschaft der Freien und Hansestadt der SZ bestätigte. Hilde M. reagierte der WamS zufolge auf Reporter-Fragen nach ihrer Vergangenheit so, wie es NS-Täter gerne taten und tun: sich unwissend stellen, Fakten herunterspielen, sich selbst als Opfer stilisieren. "Ich habe nichts gemacht, ich war nur in der Küche", sagte sie dem Journalisten.
In der Lager-Küche war Hilde M. tatsächlich, wie Dora Almaleh bestätigt hatte. Am 13. Juni 1945 hat die jüdische Griechin aus Soloniki eine Zeugenaussage gemacht über das, was sie als Häftling erlebt hatte im KZ Bergen-Belsen, ein Lager im heutigen Niedersachsen, in dem mehr als 50.000 Menschen umkamen. Almaleh erzählte, wie brutal Hilde war, die damals noch ihren Mädchennamen L. trug.
Stockhiebe und Stiefeltritte
Im April 1945, wenige Tage vor der Befreiung durch alliierte Truppen, soll die SS-Aufseherin auf zwei männliche Gefangene losgegangen sein. Der Grund: Die Zeugin hatte den ausgemergelten Häftlingen erlaubt, Steckrüben zu nehmen.
Hilde soll die geschwächten Männer mit einem Stock traktiert haben. Als sie am Boden lagen, habe sie mit ihren Stiefeln auf die hilflosen Gefangenen getreten. Gegen ihre Brustkörbe in Herznähe, wie die Zeugin aussagte. Als die Jüdin zu weinen begann, soll sie ihr mit dem Tod gedroht haben. Die Männer seien reglos liegen geblieben. "Ich war der Meinung, dass sie tot waren", sagte Dora Almaleh dem Protokoll zufolge.
Für ihre Zeit in dem KZ musste die SS-Frau ein Jahr ins Gefängnis - ein mildes Urteil. Andere Angeklagte des Bergen-Belsen-Prozesses endeten am Galgen.
Seither lebte die NS-Verbrecherin unbehelligt ihr Leben, heiratete, wurde Mutter. Vor einigen Jahren vertraute die gläubige Katholikin ihre Vergangenheit einer irischen Nachbarin an. Der irische Filmemacher Gerry Gregg erfuhr von der Geschichte. Er fuhr mit einem Holocaust-Überlebenden zu der alten Frau. Es entstand der Dokumentarfilm "Close to Evil".
Hilde M. erzählte - allerdings nicht nur von Bergen-Belsen. Sondern von einem weiteren "dunklen Geheimnis", wie Gregg es formulierte. Sie war nach eigener Aussage bei einem sogenannten Todesmarsch dabei. Als die Rote Armee die deutschen Truppen immer weiter zurückdrängte, räumte die SS Anfang 1945 das Lager Groß-Rosen, ein KZ nahe der schlesischen Hauptstadt Breslau.